International

Land gegen Frieden mit dem IS?

Die Alternative zu Militärschlägen gegen den IS wäre: die Akzeptanz der Staatsbildung durch den IS – in der Hoffnung, dieser wird ein akzeptiertes Mitglied der Staatengemeinschaft. Kann die Territorialisierung eine Pazifizierung des IS bewirken? Das sollte der Westen prüfen.
von Herfried Münkler · 3. Dezember 2015
placeholder

Terroristische Netzwerke lassen sich mit militärischen Mitteln nicht bekämpfen. Das ist eine Binsenwahrheit. Eingebettet in die Tiefe des sozialen Raumes sind sie kein Ziel, das mit Bomben und Granaten bekämpfbar ist. Aber sobald sie einen politischen Körper ausgebildet haben, etwa in Form von Ausbildungslagern, wie das bei al-Qaida in Afghanistan der Fall war, oder durch die Eroberung größerer Territorien und die Entwicklung von Herrschaftsstrukturen in diesem Raum, wie dies der „Islamische Staat“ in Syrien und Nordirak getan hat, sind sie für Militär sehr wohl fassbar. Die Frage ist freilich, welche Effekte ein solcher Militäreinsatz hat. Er kann den politischen Körper zerschlagen, aber die Netzwerkstrukturen vernichten kann er nicht. Möglicherweise erzwingt er bloß die Rückverwandlung der Dschihadistengruppe aus einer Territorien kontrollierenden Miliz in eine genuin terroristische Organisation. Der Terrorismus wäre dann nicht besiegt, sondern würde womöglich an Intensität noch zunehmen. Das ist der Basiseinwand gegen einen Militäreinsatz mit dem Ziel der Zerschlagung des IS.

Territorialherrschaft des IS würde Kräfte binden

Tatsächlich gründet sich dieser Einwand aber auf eine Annahme, die in diesem Fall nicht offen ausgesprochen wird, aber immer mitzudenken ist: dass es auf längere Sicht möglich sei, mit dem IS ein Tauschgeschäft nach der Formel „Land gegen Frieden“ zu machen. Man setzt darauf, dass die Ausübung von Territorialherrschaft die Kräfte des IS dauerhaft binden und das Netzwerk sich dadurch in einen quasistaatlichen Körper verwandeln werde. Die zu Ende gedachte Alternative zu einer Politik der Militärschläge gegen den IS läuft also auf die Akzeptanz eines Staatsbildungsprozesses hinaus, der irgendwann in einem akzeptierten Mitglied der Staatengemeinschaft enden werde. Territorialisierung als einschleichende Pazifizierung der Organisation.

Man kann – und sollte – über diese Alternative nachdenken und prüfen, ob darin eine politische Option des Westens läge. Sie hat zugegebenermaßen eine zynische Komponente, nämlich die, dass man die Menschen, die in dem vom IS beherrschten Raum leben, dessen Regime ausliefert und seine religiös-fundamentalistische Säuberungspolitik als Normbasis der Staatsbildung akzeptiert. Aber das wäre nur die Spiegelung der Zusammenarbeit mit Diktatoren oder religiösen Regimen, wie sie jetzt zwecks Bekämpfung des IS auch praktiziert wird. Schon eher geht es um die Frage, ob man davon ausgehen kann, den IS räumlich tatsächlich beschränken zu können, den Gewaltherd durch Staatsbildung, also lokalisieren zu können. Und das ist eher unwahrscheinlich, jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass der IS nur ein Teil des Dschihadismus ist, der von Westafrika bis nach Pakistan reicht und ständig seine Erscheinungsform wechselt. Es wäre der Versuch, ein tief im Boden befindliches rhizomartiges System durch oberirdische Grenzziehung am Wachstum zu hindern.

Ein dauerhafter Zustand zwischen Krieg und Frieden

Bleibt freilich die Frage, ob es nicht klüger wäre, auf die Anschläge von Paris (und die wahrscheinlich folgenden Attacken) eher nach dem Kriminalitäts- als dem Kriegsparadigma zu reagieren, den Kampf gegen die Terroristen also vorwiegend als ein Problem der Polizei sowie der Geheimdienste und nicht eines des Militärs zu begreifen. Nun schließt sich das indes nicht aus, und wenn ein Zustand permanent drohender Terrorattacken zwischen Krieg und Frieden angesiedelt ist, dann besteht die Klugheit strategischen Gegenhandelns darin, ebenfalls in diesem Spalt zwischen Krieg und Frieden zu operieren: Eigentlich führt man keinen Krieg, aber man befindet sich auch nicht in einem sicheren Frieden. Die Bewohner von Brüssel haben das jetzt ein paar Tage lang erfahren. Das könnte hinfort häufiger eintreten.

Die unter dem Eindruck der Pariser Anschläge um sich greifende Kriegsrhetorik birgt die Gefahr, dass die Menschen im Westen die Auseinandersetzung mit dem IS nach den Vorgaben von Sieg und Niederlage begreifen und erwarten, es mit einer zeitlich begrenzten Konfrontation zu tun zu haben. Das ist jedoch gerade nicht der Fall. Im Gegenteil: schon jetzt ist klar, dass in dieser Konfrontation derjenige erhebliche Nachteile hat, der die geringeren Zeitressourcen mobilisieren kann. Wir sind gewohnt, uns in der Frage von Krieg und Frieden auf den Raum zu konzentrieren – und die Vorstellung, es gehe darum, den IS jetzt in Syrien zu besiegen, folgt ganz diesem Raumparadigma. Es geht aber um die Zeit, und die Räume, in denen die Auseinandersetzung ausgetragen werden, wird immer wieder wechseln: Es kann Nigeria sein, der Jemen, selbstverständlich auch Syrien und der Irak, es können aber auch Städte in Europa, Russland oder den USA sein. Dabei geht es darum, einen langen Atem zu haben. Man kann diese Auseinandersetzung einen Krieg nennen, sollte aber bedenken, dass dies ein gänzlich anderer Krieg ist als das, was wir uns unter dem Eindruck Kriege der Vergangenheit darunter vorstellen.

Autor*in
Herfried Münkler

ist Politikwissenschaftler und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare