Kurswechsel der USA gegenüber Nordkorea dringend notwendig
„Die US-Politik der letzten Jahre gegenüber Nordkorea ist gescheitert“, sagt Christoph Pohlmann, Leiter des Korea-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul, im Interview mit vorwärts.de. Nötig seien nun „Schritte der Deeskalation aus der Position des Stärkeren“ heraus, „und das sind nun einmal die USA“. Der Einfluss Chinas auf Nordkorea dagegen werde „deutlich überschätzt“.
Alle Welt rätselt über Nord-Korea: Was will Kim Jong Un mit seinem Kurs der Kriseneskalation bewirken?
Hier muss man zwei Hauptmotivationen unterscheiden, eine innenpolitische und eine außenpolitische: Nach innen geht es Kim Jong Un darum, seine Machtposition als neuer, sehr junger Staatsführer zu festigen. Das künstliche Schaffen einer Bedrohungssituation Nordkoreas soll die Bevölkerung hinter der Führung vereinen und ihn gleichzeitig insbesondere gegenüber den Hardlinern im nordkoreanischen Militär als entschlossenen Oberbefehlshaber darstellen. Nach außen dient der Eskalationskurs dazu, die US-Außenpolitik der Obama-Administration der letzten vier Jahre zu beenden. Dieser als „strategic patience“ bezeichnete Ansatz bestand im Kern darin, Nordkorea weitgehend zu ignorieren und gleichzeitig das Sanktionsregime zu verschärfen, während andere Konfliktherde weltweit priorisiert wurden. Die nordkoreanische Führung sieht nur den Weg der Eskalation, um auf diese Weise die USA zu Konzessionen auf dem Weg von Verhandlungen zu zwingen. Hauptziele Pjöngjangs sind das Schließen eines Friedensvertrags mit den USA sowie Sicherheitsgarantien durch die USA, um die Regimestabilität zu sichern. Wirtschaftshilfe steht erst an zweiter Stelle.
Wird Pjöngjang auf diesem Weg seine Ziele erreichen?
Bis vor wenigen Tagen schien dies nicht der Fall zu sein. Die US-Regierung hatte sich entschlossen, Stärke zu zeigen und hat im Rahmen der jährlich stattfindenden gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea modernstes Kriegsgerät, z.B. nuklear bewaffnet, auf südkoreanisches Territorium verbracht. Gleichzeitig wurden Verhandlungen mit Nordkorea von der Aufgabe seines Atomprogramms abhängig gemacht. Angesichts der deutlichen Zunahme der Spannungen scheint die US-Regierung nun aber umzudenken und setzt auf einen Kurs der Deeskalation, zumindest mit Blick auf das militärische Schaulaufen. Es bleibt abzuwarten, ob Außenminister John Kerry auf seiner Nordostasienreise im Laufe der Woche auch ein an Nordkorea gerichtetes konkretes diplomatisches Verhandlungsangebot unterbreiten wird.
Wie bewerten Sie die Reaktion der US-Regierung auf die Krise?
Einerseits ist es verständlich, dass die US-Regierung sich und ihre Alliierten Südkorea und Japan nicht durch ein Land wie Nordkorea vor sich hertreiben lassen will. Gleichzeitig hat das einseitige Setzen auf militärische Stärke jedoch die Eskalationsdynamik befeuert. Letztlich ist die US-Politik der letzten Jahre gegenüber Nordkorea gescheitert, ein Kurswechsel ist dringend notwendig. Die US-Regierung sollte erkennen, dass Nordkorea sich ernstlich durch die USA bedroht fühlt, ob gerechtfertigt oder nicht. Es gilt also, einen neuen, flexibleren Verhandlungsansatz gegenüber Nordkorea zu entwickeln, der China und Südkorea einschließt, aber auch bilaterale Verhandlungen mit Nordkorea ermöglicht.
Wie ist die Stimmung in Süd-Korea angesichts der sich steigernden Drohungen aus dem Norden?
Die südkoreanische Bevölkerung verhält sich bisher sehr gelassen und ruhig, von Panik oder größerer Unruhe ist keine Spur. Auch die mediale Berichterstattung ist viel weniger alarmistisch bzw. sensationsheischend, als derzeit häufig in der westlichen Presse zu beobachten ist. Allerdings hat am Freitag zum ersten Mal der südkoreanische Aktienindex KOSPI größere Verluste aufgrund der Zunahme der Spannungen erlitten. Wenn die Lage sich weiter zuspitzt, wird auch die Besorgnis in der Bevölkerung zunehmen.
Für wie groß halten Sie die Gefahr einer militärischen Eskalation auf der koreanischen Halbinsel?
Angesichts des verschlossenen Charakters des nordkoreanischen Regimes ist dies nicht genau zu beantworten. Auch wenn ich regelmäßig nach Nordkorea reise und dort politische Gespräche führe, fehlt es an der nötigen Transparenz, um das Kalkül der Entscheidungsträger dort belastbar einschätzen zu können. Wie die meisten Experten und Beobachter gehe ich aber nach wie vor davon aus, dass keine Seite ein Interesse an einer größeren militärischen Eskalation haben kann. Ein Krieg würde definitiv das Ende des nordkoreanischen Regimes bedeuten, auch wenn die menschlichen und sonstigen Verluste im Süden hoch wären. Dennoch bleibt ein gewisses Risiko militärischer Eskalation bestehen. Es gibt kaum Kommunikationskanäle zwischen den Konfliktparteien, so dass Fehlwahrnehmungen schnell zu Fehlschlüssen führen könnten, die sich militärisch auswirken. Um so wichtiger sind nun Schritte der Deeskalation aus der Position des Stärkeren, und dies sind nun einmal die USA und Südkorea – trotz aller nicht zu rechtfertigenden Aggressionen der nordkoreanischen Seite in den letzten Wochen und Monaten. Ebenso zentral ist, dass die USA und China ihr wechselseitiges Misstrauen überwinden und ein gemeinsames strategisches Verständnis zur Bearbeitung des Nordkorea-Problems zu entwickeln. Es muss gelingen, dass keine der beiden Großmächte durch die Korea-Frage einen strategischen Vorteil in ihrer Großmächterivalität erlangen will. Nur dann kann es zu einer konstruktiven und nachhaltigen Verhandlungslösung kommen, die über erste Schritte der Deeskalation hinausreicht.
Will oder kann China keinen Beitrag leisten, um die Situation zu entspannen?
Aus meiner Sicht wird der Einfluss Chinas auf die Außen- und Sicherheitspolitik Nordkoreas im Westen deutlich überschätzt. Nordkorea richtet seine Außenpolitik vor allem an den USA aus, um seine Sicherheit durch einen Friedensvertrag und Sicherheitsgarantien zu erhöhen. China hat zwar wirtschaftliche Druckmittel angesichts seiner überragenden Stellung als Handelspartner Nordkoreas, aber man sollte die Leidensfähigkeit der nordkoreanischen Bevölkerung und die Härte der nordkoreanischen Führung in dieser Hinsicht nicht unterschätzen. Im Übrigen ist die Position der neuen chinesischen Führung zu Nordkorea derzeit im Fluss. Es gibt eine Fraktion, die in Nordkorea nach wie vor einen wichtigen Pufferstaat zu in Südkorea stationierten US-amerikanischen Truppen sieht. Auch fürchtet man sich vor großen Flüchtlingsströmen aus Nordkorea für den Fall, dass das nordkoreanische Regime bei Entzug chinesischer Unterstützung zusammenbrechen würde. Eine andere Fraktion dagegen hält die Unberechenbarkeit Nordkoreas sowie das steigende Kriegsrisiko in der chinesischen Nachbarschaft mittlerweile für das größere Sicherheitsrisiko für China und eine stärkere Bedrohung eines möglichst stetigen Wiederaufstieg Chinas. Resultat ist eine schwammige Außenpolitik Chinas gegenüber Nordkorea, so dass fraglich erscheint, ob China die Kraft und die Fähigkeit hat, die entscheidende Rolle zur friedlichen Beilegung des Konflikts zu spielen.
Wie würde sich China im Falle eines Krieges verhalten?
Dies ist nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Einerseits gibt es eine vertraglich festgelegte militärische Beistandspflicht Chinas im Falle eines Angriffs auf Nordkorea. Demnach könnte sich eine Situation wie im Korea-Krieg 1950-53 wiederholen, als so genannte chinesische Freiwilligentruppen die nordkoreanische Seite entscheidend dabei unterstützte, die von den USA geführte UN-Streitmacht vom Norden Nordkoreas in die Gegend des 38. Breitengrades, also der heutigen Demilitarisierten Zone, zurückzudrängen. Allerdings hat China heutzutage kein Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung mit den USA oder Südkorea, da die Folgen kaum abzusehen wären. Wenn die USA im Kriegsfall China glaubhafte Sicherheitsgarantien geben und nicht bis in die Nähe der nordkoreanisch-chinesischen Grenze vorrücken, würde ich davon ausgehen, dass China nicht aktiv in einen Krieg eingreift. Es ist allerdings gut vorstellbar, dass zwischen China auf der einen und den USA und Südkorea auf der anderen Seite ein Wettlauf um die Bemächtigung der nordkoreanischen Atomwaffen einsetzt, der wiederum ein gewisses Konfliktpotenzial birgt. Auch für den Kriegsfall gilt, dass eine belastbare Vertrauensgrundlage zwischen den USA und China eine mögliche Weiterung des Konflikts verhindern könnte – dieser Vertrauensaufbau mit China sollte im Zentrum der China-Politik der Obama-Administration stehen.
Seit Jahren treibt Nordkorea sein Atomprogramm immer weiter voran. Ist es überhaupt noch zu stoppen?
Ein Stopp im Sinne eines „Einfrierens“ des Atomprogramms könnte möglich sein. Aber niemand sollte davon ausgehen, dass Nordkorea kurz- und mittelfristig zu einer kompletten Denuklearisierung bereit ist. Dafür ist die subjektive Bedrohungswahrnehmung Nordkoreas zu groß, und die völkerrechtswidrige Irak-Invasion der USA 2003 sowie das Schicksal Muammar al-Ghaddafis wenige Jahre nach dessen Aufgabe seines Atomprogramms für Libyen sind der nordkoreanischen Führung sehr präsent. Es stimmt zwar, dass der Besitz von Atomwaffen objektiv die Sicherheit der nordkoreanischen Machthaber nicht erhöht, sondern verschlechtert, aber sie sehen dies anders. Wichtig ist deshalb, dass die Nachbarstaaten Nordkoreas und vor allem die USA im Rahmen eines ehrlichen Verhandlungsangebots Sicherheitsgarantien für Nordkorea entwickeln – ggf. in Kombination mit Wirtschaftshilfen – die ein sicheres Umfeld für Nordkorea schaffen, um im Gegenzug sein Atomprogramm einzufrieren. Am Ende eines längeren Prozesses der Vertrauensbildung könnte dann eine Aufgabe des nordkoreanischen Atomprogramms stehen. Keineswegs wird Nordkorea bereit sein, die Aufgabe seines Atomprogramms als Ausgangsbedingung für Verhandlungen zu akzeptieren. Von dieser Vorstellung sollte man sich verabschieden, weil sie eine dringend notwendige Verhandlungslösung nur immer weiter hinauszögert, einhergehend mit einer Erhöhung der Spannungen.