Krieg in Syrien: Worum es Putin wirklich geht
Ist Putin wirklich der potentielle Verbündete im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), für den er sich Anfang auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen noch ausgab? In seiner Rede hatte er zwar Assad verteidigt und gefordert, mit ihm als dem rechtmäßigen Herrscher über Syrien zusammenzuarbeiten – immerhin bot er aber so etwas Ähnliches wie eine Partnerschaft gegen den IS an: US-Präsident Obama teilte er in einem Gespräch mit, man wolle sich über Flugeinsätze gegenseitig informieren.
Der Mimik der beiden Staatsoberhäupter nach zu urteilen, war das Gespräch aber eher unterkühlt. Für Obama kommt eine Zusammenarbeit mit dem Fassbombenwerfer Assad nicht in Frage. Er scheint aber von seiner Forderung, einen Waffenstillstand gäbe es nur ohne Assad, abzurücken. Immerhin: Vorsichtige Ansätze einer Annäherung! Darauf hatte man Anfang letzter Woche hoffen können.
Zurück auf Anfang
Doch Ende der Woche kam dann die Ernüchterung. Es scheint wieder alles beim Alten zu sein. Schlimmer noch: Zurück auf Anfang. Zurück in den kalten Krieg. Russische Kampfflugzeuge bombardieren nicht nur IS-Stellungen, sie zerstören genauso militärische Einrichtungen gemäßigter Rebellen – also jene Gruppen, auf die die Amerikaner nach wie vor setzen. „Wir greifen nur Terroristen an“, lässt Putin über seine Militärsprecher verkünden. Das aber ist die Sprache Assads, der seit Beginn der Rebellion 2011 jeden als Terroristen diffamiert, der sich gegen ihn stellt – egal, ob Dschihadist oder Säkularist. Für die Amerikaner, deren Ausbildungsprogramm gemäßigter Rebellen gegen den IS gerade gescheitert ist, müssen diese russischen Angriffe eine enorme Provokation sein.
Ganz offensichtlich geht es Putin gar nicht so sehr um den IS, wie er in New York noch verkündete. So schreibt Nahost-Experte Guido Sternberg im Tagesspiegel, Putin wolle den Kopf seines in militärische Not geratenen Vasallen Assad retten, „insbesondere weil eine Rebellenkoalition unter der Führung der dschihadistischen Nusra-Front und der salafistischen Ahrar ash-Sham fast die gesamte Provinz Idlib einnehmen konnte. Dies dürfte der Anlass für den russischen Truppenaufbau in der Küstenprovinz Latakia sein, die direkt an Idlib grenzt. Da das Regime geschwächt ist, könnte der Zeitpunkt für Verhandlungen mit Assad tatsächlich günstig sein.“
Putins Strategie
Nur wird Putin Verhandlungen im Augenblick nicht wollen. Stattdessen könnte seine Strategie so aussehen: Erst alle Gegner Assads im syrischen Schlachthaus schwächen, Assad stärken, dann vielleicht verhandeln. Dabei ist Putin egal, wie viele syrische Zivilisten noch sterben. Egal, wie viele sich auf den Weg nach Europa machen. Hauptsache, Putin kann seine Muskeln spielen lassen. Hauptsache, er kann zeigen, dass es ohne ihn nicht geht, und er den Rhythmus der syrischen Schlachtgesänge diktiert.
Obama hat bisher relativ hilflos auf die Skrupellosigkeit Putins reagiert. Was bleibt ihm auch? Die russischen Flugzeuge angreifen? Das verbietet sich. Oder Assads Armee ins Visier nehmen? Das verbietet sich aus den gleichen Gründen. Es bleibt Obama offensichtlich nichts anderes übrig, als so weiter zu machen wie bisher. Das heißt, den IS weiter aus der Luft anzugreifen, wissend, dass dadurch das Problem nicht gelöst werden kann. Vielleicht noch mehr Waffen an die gemäßigten Rebellen zu liefern, wo auch immer diese zu finden sind. Durch Waffenlieferungen sind solche Konflikte allerdings noch nie gelöst worden.
Die Extremisten profitieren
Wenn sich die Rebellengruppen aber endgültig vom Westen im Stich gelassen fühlen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass viele Kämpfer zum IS überlaufen. Oder zu Jabat al Nusra, dem Al-Kaida-Ableger in Syrien, dessen Ideologie sich von der des IS nur unwesentlich unterscheidet. Putins Aggressivität und Obamas Zaudern: Beides nützt den Extremisten. Sollte man Schutzzonen für Zivilisten einrichten, die von Assads Fassbomben-Hubschraubern nicht mehr angegriffen werden? Auch das geht nur mit Zustimmung Putins. Und die ist eher fraglich.
Wer also Anfang letzter Woche auf Verhandlungen hoffte, sieht sich nun bitter enttäuscht: kalte Kriegsgegnerschaft statt neuer Friedenspartnerschaft zwischen Moskau und Washington. Der syrische Krieg wird immer mehr zu einem neuen Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Großmächten.