Korruption im Europaparlament: „Der Schaden ist enorm!“
IMAGO/U. J. Alexander
Vor einer Woche ist der Korruptionsskandal um die – inzwischen abgewählte – Vize-Präsidentin des Europaparlaments Eva Kaili bekannt geworden. Wie groß ist der Schaden für das Parlament?
Der Schaden ist enorm! Der Korruptionsskandal ist eine Katastrophe für das Europäische Parlament. Parlamente und ihre Abgeordneten benötigen das Vertrauen derjenigen, die sie repräsentieren, also der Bürgerinnen und Bürger. Dieses Vertrauen müssen wir uns durch konkretes Handeln verdienen. Mit ihrem Verhalten haben Eva Kaili und die anderen das genaue Gegenteil erreicht. Sie haben die harte Arbeit von Jahren mit einem Schlag zerstört. Ich musste mich in dieser Woche mehr als einmal dazu erklären, ob ich nicht korrupt sei. Es ist ein Drama.
Eigentlich gelten die Transparenz-Regeln des Europaparlaments als vorbildlich. Wie konnte es dennoch zu diesem Fall kommen?
Eine Person, die korrumpierbar ist, ist das mit oder ohne Regeln. Wer von der eigenen politischen Meinung so wenig hält, dass er sie für Geld verkauft, wird das unter egal welchen Umständen machen. Das heißt aber nicht, dass unsere Regeln schon ausreichen. Es gibt zwar etwa ein verpflichtendes Lobbyregister (das so genannte EU-Transparenzregister), in das sich Drittsaaten aber nicht eintragen müssen. Das war genau das Schlupfloch, das Katar genutzt hat. Wir sollten es dringend schließen.
Wo sehen Sie weitere Einfallstore für Korruption im Europaparlament?
Unsere Transparenzpflichten für Abgeordnete gelten nur für Abgeordnete in ihrer Funktion als Ausschussvorsitzende, Berichterstatter oder Schattenberichterstatter. Das heißt, wenn man keine dieser Rollen hat, ist man nicht dazu verpflichtet, Treffen mit Lobbyisten öffentlich zu machen. Eva Kaili hat mit den Vertretern von Katar nie in einer Funktion gesprochen, die einer Veröffentlichungspflicht unterliegt. Wir sollten die Veröffentlichungspflichten deshalb auf alle Abgeordneten ungeachtet ihrer konkreten Rolle ausweiten.
Transparency International fordert die Einrichtung einer unabhängigen Ethikkommission für das Europaparlament. Wäre das sinnvoll?
Solch eine Institution halte ich auf jeden Fall für sinnvoll, egal wie man sie am Ende nennt. Wenn wir das Transparenzregister stärken, ist unser geschriebenes Recht zwar verbessert, aber an der Praxis hat sich dadurch noch nichts geändert. Der aktuelle Fall zeigt aber, dass man schon fast mit staatsanwaltschaftlichen Methoden arbeiten muss, wenn ein Verdachtsfall vorliegt. Das könnte eine unabhängige Ethikkommission leisten, die Ermittlungsbefugnisse bekommt und Sanktionen auferlegen kann. Ursula von der Leyen hat sie bereits versprochen. Sie muss jetzt auch einen Vorschlag machen, wie sie aussehen soll.
Müssen vielleicht auch die Parteien besser hinschauen, welche Kandidat*innen sie für die Wahl zum Europaparlament küren?
Das ist ein ganz entscheidender Punkt, der in der Debatte bisher allerdings unterbelichtet ist. Die Parteien müssen ihre eigenen Verfahren für die Personalauswahl dringend überprüfen. In der SPD sehe ich das Problem zwar nicht, aber es gibt andere Parteien, in denen zum Teil fragwürdige Auswahlverfahren für die Kandidat:innen zur Europawahl stattfinden. Hier brauchen wir dringend mehr Transparenz. Ich sehe deshalb auch die europäischen Parteien in der Pflicht, die Aufstellungsverfahren ihrer Mitgliedsparteien genauer unter die Lupe zu nehmen. So könnten wir als Sozialdemokratie zeigen, dass wir den Ernst der Lage verstanden haben.
Und wie lässt sich das verloren gegangene Vertrauen, von dem Sie anfangs sprachen, wieder herstellen?
Zum einen, indem man die institutionellen Fragen, die ich erwähnt habe, zügig angeht. Zum anderen aber auch, indem wir die Rhetorik ändern. Es wäre ein Fehler zu sagen, Eva Kaili war ein fauler Apfel, ansonsten ist aber alles gut. Natürlich müssen wir die aktuellen Verfehlungen klar benennen und vor allem aufklären. Wir müssen aber auch deutlich machen, dass wir als Europaparlament noch dringend Hausaufgaben zu erledigen haben. Innerhalb der S&D-Fraktion werden wir deshalb interne Untersuchungen einleiten, um die Vorgänge aufzuarbeiten und zu untersuchen, wie Entscheidungen zustande kommen und wo es Einflussmöglichkeiten von außen gibt.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.