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Kopf-an-Kopf-Rennen von Labour und Tories

Am Donnerstag finden in Großbritannien die Unterhauswahlen statt. Der konservative Amtsinhaber David Cameron und Herausforderer Ed Miliband von Labour liegen nach der jüngsten BBC-Umfrage weiter gleichauf. Eine Regierungsbildung dürfte wohl nur mit Hilfe einer der kleineren Parteien, den Liberaldemokraten von Vizepremier Nick Clegg, der rechtspopulistischen und europakritischen Ukip von Nigel Farage oder der Schottischen Nationalpartei (SNP) möglich sein.
von Tina Stadlmayer · 4. Mai 2015
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Die jungen Frauen rufen: "Ed! Ed! Ed! Selfie! Selfie! Selfie!" und stürzen sich auf Ed Miliband, den  verdutzten Premierminister-Kandidaten der Labour-Partei. Miliband ergreift die Gelegenheit und grinst fröhlich in die gezückten Smartphones. Die Videoaufnahmen vom zufälligen Zusammentreffen Milibands mit einer aufgedrehten Frauenrunde machen im Fernsehen und in den sozialen Medien die Runde. Tatsächlich kommt der Labour-Chef bei den Wählerinnen besser an als bei den Wählern. Auf der Internetplattform Twitter gibt es sogar einen Fanclub weiblicher Teenager.

Miliband gilt plötzlich als bürgernah

Das ist erstaunlich, denn Miliband galt bis vor Kurzem noch als ungelenk und hölzern. In diesem Wahlkampf wirkt er dagegen souverän und bürgernah. Jüngste Umfragen zeigen, dass er nach der Wahl am 7. Mai durchaus Premierminister werden könnte. Doch noch liefern sich die beiden großen Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Eine Fortsetzung der amtierenden Koalition aus Tories und Liberaldemokraten ist wegen der drohenden Verluste der Liberalen unwahrscheinlich geworden. Es könnte für eine von Miliband angeführte Minderheitsregierung reichen. Eine solche Regierung müsste sich aber von der linken Scottish National Party (SNP) unterstützen lassen. Die SNP wird den Umfragen zufolge als drittstärkste Partei aus den Wahlen hervor gehen.

Tolerierung durch Scottish National Party (SNP)

Miliband verkündete in den vergangenen Tagen immer wieder, dass er keinen "Deal" mit der SNP eingehen werde. Das bedeutet, dass die SNP keine Gegenleistungen für eine Unterstützung erwarten kann. Doch inhaltlich liegen Labour und SNP nahe zusammen. Miliband könnte in einer - traditionellerweise von der Queen verlesenen - Regierungserklärung strittige Themen wie die schottische Unabhängigkeit auslassen. Wenn die Mehrheit der Abgeordneten die Erklärung annimmt, kann er eine Regierung aufstellen.  

Das wäre natürlich eine riskante Sache, denn als Chef einer Minderheitsregierung  wäre er bei jedem Gesetzesvorhaben auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Die konservativen Tories schlachten denn auch die Risiken einer Minderheitsregierung im Wahlkampf genüsslich aus. Schützenhilfe erteilen rechte Zeitungen wie die Daily Mail. Sie nannte SNP-Chefin Nicola Sturgeon auf der Titelseite die  "gefährlichste Frau Britanniens".

SNP gewinnt linke Wähler

Obwohl die SNP nur in Schottland zur Wahl antritt, ist sie zu einer großen Herausforderung für Labour geworden. Umfragen zufolge könnte sie alle 41 bisherigen Labour-Mandate in Schottland gewinnen. Nach dem nur knapp verlorenen Unabhängigkeits-Referendum im September vergangenen Jahres bekam die SNP sehr viel Zulauf. Viele Linke waren für die Unabhängigkeit, die schottische Labour-Partei hatte sich jedoch für den Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen.

Weg von New Labour

Miliband versucht den Erdrutsch in Schottland zu verhindern, indem er auf linke Themen setzt. Er hat seine Partei in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt von New Labour weg geführt, dem Projekt der politischen Mitte. Tony Blair hatte mit New Labour drei Wahlsiege gefeiert, bevor er durch die Beteiligung am Irakkrieg die Sympathien der Briten verspielte.

Unter Blairs Nachfolger Gordon Brown war Ed Miliband Energieminister, sein Bruder David war Außenminister. Als Brown 2010 die Wahl verlor und als Parteichef zurücktrat, bewarben sich beide Brüder um die Nachfolge. Ed schlug seinen an der Basis und in der Fraktion beliebteren Bruder knapp, dank der Stimmen der Gewerkschaften.

Die beiden Brüder kommen aus einer sehr politischen Familie. Ihr Vater Ralph Miliband war ein bekannter marxistischer Theoretiker polnisch-jüdischer Herkunft. Die Mutter Marion Kozak ist eine linke Intellektuelle. Sie stammt ebenfalls aus einer jüdischen Familie in Polen und überlebte dort als Kind den Holocaust.

Kluft zwischen Arm und Reich wächst

Im Wahlkampf warnt Ed Miliband davor, dass die Konservativen weitere Kürzungen im Sozialbereich planen. Tatsächlich ist die britische Wirtschaft im vergangenen Jahr mit 2,8 Prozent zwar deutlich gewachsen, die Kluft zwischen Arm und Reich ist aber auch größer geworden. Labour will deshalb die Energiepreise regulieren, die Studiengebühren senken, das staatliche Gesundheitssystem verbessern und den Mindestlohn erhöhen. Miliband gibt sich im Wahlkampf auch als verantwortungsbewusster Haushälter und verspricht, die Staatsschulden jedes Jahr ein Stück weit zu verringern. Dafür will er den Spitzensteuersatz auf 50 Prozent erhöhen und eine Steuer auf Luxusimmobilien erheben.

Wirtschaft fürchtet Referendum über EU-Austritt

Die meisten Unternehmer im Land sind vom Wahlprogramm der Labour-Partei nicht begeistert. Sie fürchten aber auch das Versprechen der Konservativen, spätestens in zwei Jahren ein Referendum über den Austritt aus der EU abzuhalten. Denn dies, da sind sich Wirtschaftsexperten einig, würde bereits im Vorfeld für ökonomische Unsicherheit sorgen.

Premierminister David Cameron spricht deshalb das Thema Europa im Wahlkampf nur selten an. Er betont dagegen, dass sein "langfristiger Wirtschaftsplan" erste Erfolge zeige und deshalb fortgesetzt werden müsse. Außerdem legt er den Briten täglich neue Wahlgeschenke zu Füßen: Eine Preisbremse für Bahnfahrten, niedrigere Erbschaftssteuer und staatliche Unterstützung für weniger Wohlhabende, die sich eine Wohnung kaufen wollen. 

Am Donnerstag werden wir wissen, wie die Briten gewählt haben. Die Regierungsbildung  könnte aber schwierig werden.

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Tina Stadlmayer

lebt in London und berichtet für deutsche Medien über Politik, Soziales und Kultur in Großbritannien.

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