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Konflikt mit der PKK: Was die türkische Provinz darüber denkt

Der Friedensprozess zwischen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem türkischen Staat scheint am Ende: Seit Ende Juli übt die PKK wieder Attentate aus, das Militär geht im Gegenzug mit aller Härte vor. Was denkt das türkische Volk? Ein Stimmungsbild aus der ostanatolischen Provinz Erzincan.
von Kristina Karasu · 5. August 2015
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Es könnte der perfekte Sommertag sein. Am Fuße eines Wasserfalls nahe der Stadt Erzincan weit im Osten der Türkei haben Freunde ein großes Picknick aufgebaut. Die Luft ist angenehm frisch, die beste Abkühlung von der brüllenden Augusthitze. Doch Grundschullehrerin Aysel (31, Name geändert) ist wenig nach Vergnügen zumute. Drei Tage zuvor wurde ein Verwandter von ihr bei einer Attacke der PKK auf einen Armeestützpunkt in der südöstlichen Şırnak getötet. Er war Wehrdienstleistender, erst 21 Jahre alt. „Was für eine Schuld trägt er?“ fragt Aysel voller Trauer und Wut. „Wenn man mir ein Gewehr geben würde, ich würde sofort gegen die PKK kämpfen.“

Seit zwei Wochen ist der Konflikt zwischen PKK und türkischem Staat wieder entflammt. Das neue Terror-Kapitel begann nach einem Bombenattentat in der türkischen Grenzstadt Suruç am 20. Juli mit 32 Todesopfern, mutmaßlich begangen vom „Islamischen Staat“ (IS). Als Vergeltung tötete die PKK angeblich zwei Polizisten, die mit dem IS kollaboriert haben sollen.

Die türkische AKP-Übergangsregierung reagierte sofort und mit aller Härte – nicht nur gegen den IS, sondern vor allem gegen die PKK. Sie bombardiert seitdem Stellungen der PKK, nahm hunderte Terrorverdächtige fest. Die PKK wiederum verübt seither zahlreiche Attentate auf türkische Sicherheitskräfte, täglich werden Soldaten und Polizisten zu Grabe getragen.

Hoffen auf Neuwahlen und eine absolute Mehrheit für die AKP

Dabei galt seit 2013 ein Waffenstillstand zwischen der PKK und dem türkischen Staat, der damalige Premier und heutige Präsident Recep Tayyip Erdoğan initiierte den Friedensprozess. Doch diese Zeiten scheinen vorbei. Sowohl PKK als auch Erdoğan erklärten den Friedensprozess in den letzten Tagen für sinnlos. Und viele nationalistisch gesinnte Türken ebenso.

„Der größte Fehler der Regierung war es, den Friedensprozess zu beginnen und sich mit diesen Terroristen an einen Verhandlungstisch zu setzen. Erst dadurch sind wir in diese Lage gekommen“, erklärt der 19-jährige Enes. Er fürchtet sich nun vor dem Militärdienst – aber den harten Kurs Ankaras hält er für absolut angemessen. Der Absolvent eines religiösen Imam-Hatip-Gymnasiums ist Anhänger der islamisch-konservativen AKP. Wie viele andere im konservativen Erzincan: Bei der Parlamentswahl am 7. Juni holte die AKP hier mit 49,2 Prozent überdurchschnittlich viele Stimmen. Landesweit verlor die AKP jedoch ihre Regierungsmehrheit, eine Koalition wurde bisher noch nicht gebildet. Für Enes der Grund allen Übels: „Hoffentlich gibt es bald Neuwahlen und schafft es die AKP wieder allein an die Regierung – dann kehrt auch wieder Stabilität im Land ein.“

Das Vertrauen in die Parteien bröckelt

Regierungsnahe Medien propagieren seit Wochen genau diese Meinung. Doch bei immer mehr Menschen in der ostanatolischen Stadt regen sich Zweifel. Wie bei Zeynep (30, Name geändert), Verkäuferin eines Brautmodengeschäftes und gläubige Muslimin. Sie vertraut der AKP nicht mehr, noch sonst irgendeiner Partei in diesem Land. „ Die jetzigen Zustände sind doch eine Strategie Erdoğans, Chaos im Land zu stiften, ein Imperium der Angst zu errichten und schließlich wieder alleine an die Macht zu kommen.“

Das schlägt sich in ihrem Alltag nieder, sie und ihre Familie leben in ständiger Anspannung. Zeynep fürchtet sich vor Bombenanschlägen oder den Straßenkontrollen der bewaffneten Gendarmerie. Ihren wirklichen Namen will sie – wie fast alle Interviewpartner – nicht nennen. Die eigene Meinung laut zu sagen, das scheint den Türken zurzeit zu gefährlich.

Die kurdennahe HDP im Visier von Erdoğan

Nur der 50-jährigen Landwirt Yüksel Hat gibt bereitwillig seine Identität preis. Als Angehöriger der in Erzincan stark vertretenen alevitischen Minderheit sei er Unterdrückung gewohnt, betont er. Für ihn ist schlussendlich gar nicht die PKK das Hauptziel der Regierung, sondern die kurdennahe Partei HDP. Die schaffte bei der Wahl am 7. Juni zum ersten Mal den Einzug ins Parlament und verhinderte damit die Regierungsmehrheit der AKP. Das mache sie zum Feind Erdoğans. „Die HDP kämpft gegen die Diskriminierung der Kurden und anderer Minderheiten, ja generell für mehr Freiheit und Demokratie in der Türkei. Die Regierung hat im Friedensprozess versprochen, sich dafür einzusetzen. Doch  statt ihr Wort zu halten, erklärt sie die HDP mitsamt aller Linken im Land zu Terroristen.“

Sein Heimatdorf in der benachbarten Provinz Tunceli kann Yüksel Hat in diesen Tagen nicht besuchen – die Region wurde am Sonntag zur vorübergehenden Sicherheitszone erklärt, Zivilisten ist der Zugang versperrt. Der Grund: Die Berge Tuncelis gelten als Rückzugsgebiet der PKK. Maßnahmen wie diese erinnern viele Erzincaner schmerzhaft an die 1990er Jahre, als die Kämpfe zwischen PKK und Staat ihren Höhepunkt fanden. Dieses blutige Jahrzehnt wünscht sich keiner hier zurück. Doch mag der Konflikt aus politischem Kalkül wieder angeheizt worden sein – so schnell wie er begonnen wurde dürfte er kaum wieder zu beenden sein.

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Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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