Kocheler Kreis: 10-Punkte-Programm zur Wirtschaftskrise
Erklärung des Kocheler Kreises zur aktuellen Wirtschaftskrise
Im Gleichschritt mit der Weltwirtschaft befindet sich Deutschland auf dem Weg in die tiefste Krise der Nachkriegszeit. Sie kann nur durch eine wirtschaftspolitische Doppelstrategie aus
kurzfristigen konjunkturstimulierenden Maßnahmen und aus langfristigen Struktur¬maßnahmen im Finanzsektor bekämpft werden. Kurzfristig muss zum einen der Finanzsektor stabilisiert werden. Mit den
bereits beschlossenen Schutzschirmen wurde prinzipiell ein richtiger Weg beschritten. Zum anderen muss mittels eines Konjunkturprogramms die gesamt¬wirtschaftliche Nachfrage stimuliert werden, um
den Ausfall der privaten Investitions¬nachfrage zu kompensieren. Schließlich verstärken sich die Krise der Finanzmärkte und die Konjunkturkrise wechselseitig.
Die Bundesregierung plant ein Konjunkturprogramm in Höhe von 50 Mrd. € für 2009 und 2010. Die zeitliche Streckung auf zwei Jahre lässt befürchten, dass dem bevorstehenden schweren
konjunkturellen Einbruch nicht adäquat begegnet wird. Gefordert ist vor allem eine schnelle Reaktion. Nur so können in diesem Jahr Massenentlassungen und dramatische Insolvenzzahlen vermieden
werden. Folgende Maßnahmen sollten ergriffen werden:
1. Die Bundesregierung muss sofort im Verbund mit den Ländern und Kommunen ein Konjunkturpaket in Höhe von mindestens 50 Mrd. Euro, das sind rund 2 % vom BIP, für 2009 auflegen. Je
zeitiger und kräftiger ein solches Programm in Kraft tritt, desto besser lässt sich die Konjunkturkrise mit ihm bekämpfen.
2. Die wesentliche Komponente eines solchen Konjunkturprogramms sollten die öffentlichen Investitionen, insbesondere im Bildungssektor, sein. Dabei müssen die Länder von Anfang an in die
Finanzierung einbezogen werden.
3. Da das Inkrafttreten eines solchen Programms erfahrungsgemäß einige Zeit in Anspruch nimmt, ist es um eine kurzfristige Komponente zu ergänzen. Dies können Konsumgutscheine, einmalige
Kindergeldzulagen oder befristete Abgabensenkungen sein. Allgemeine Steuersenkungen wären wegen ihrer großen Sickerungsverluste hingegen nur ein Mittel dritter Wahl.
4. Das nationale Konjunkturprogramm muss mit den übrigen Ländern in der EU koordiniert werden. Nur so lassen sich wechselseitig die Exporte stabilisieren.
5. Die Banken müssen verpflichtet werden, ihr Eigenkapital auf dem Kapitalmarkt zu erhöhen oder staatliche Gelder gegen eine Eigentumsbeteiligung zu erhalten.
6. Sollte der Staat riskante Anleihen aus dem Besitz der Banken übernehmen, darf dies nur mit der Gegenleistung einer staatlichen Eigentumsbeteiligung geschehen. Auf diese Weise lassen
sich die Verluste der öffentlichen Hand durch mögliche Kursgewinne bei Bankaktien zumindest teilweise finanzieren.
7. Langfristig ist der Finanzsektor weltweit stärker zu regulieren. Ziel muss es dabei sein, ihn stärker an die Realwirtschaft zu koppeln. Zugleich dürfen Regeln anders als bisher nicht
im Widerspruch zur gesamtwirtschaftlichen Stabilität stehen. Dies gilt insbesondere für Bilanzierungsregeln.
8. Es ist kontraproduktiv, zum derzeitigen Zeitpunkt eine Schuldenbremse in Kraft zu setzen. Die Regierung würde Gefahr laufen, sie bereits jetzt wieder aussetzen zu müssen, weil sie die
Anforderungen in einer tiefen Krise niemals wird erfüllen können. Die auf Dauer notwendige Konsolidierung muss im Aufschwung einsetzen.
9. Nichts beschreibt die derzeitige Lage so falsch wie die Aussage, Deutschland habe über seine Verhältnisse gelebt. Das Gegenteil ist richtig. Die Binnennachfrage in Deutschland ist
seit Jahren viel zu schwach. Dies liegt auch daran, dass die realen Lohnzuwächse zum Teil weit hinter dem Produktivitätstrend zurückliegen. Dies hat die Binnennachfrage geschwächt und belastet in
der derzeitigen Krise. Jede Forderung nach weiterer Lohnzurückhaltung in der Konjunkturschwäche würde diese verschärfen. Die Lohnentwicklung muss sich auch in einer globalen Nachfragekrise an der
Produktivitätsentwicklung ausrichten.
10. In Zukunft muss die Wirtschaftspolitik in Deutschland ohnehin ihrer Verantwortung für die internationale Stabilität stärker nachkommen, indem sie der Förderung der Binnennachfrage
ein höheres Gewicht zumisst. Denn die USA werden in Zukunft eine weitaus geringere Rolle bei der Absorption internationaler Produktion spielen als bisher. Diese Lücke muss jetzt von den Ländern
mit hohen Handelsüberschüssen wie China, Japan und auch Deutschland gefüllt werden.
All dies zusammengenommen wird dazu beitragen, die gegenwärtige Krise zu überwinden. Voraussetzung ist, dass die Bundesregierung ihre Maßnahmen rasch, entschlossen und eindeutig festlegt.
Rückfragen an
Dr. Michael Dauderstädt (Friedrich-Ebert-Stiftung): 0228-883-8301 oder 0172-2020934
Prof. Dr. Harald Hagemann (Universität Hohenheim): 0711-2369210
Prof. Dr. Hagen Krämer (Hochschule Karlsruhe): 0170-8839196
Der Kocheler Kreis der Friedrich-Ebert-Stiftung
ist ein Forum der Begegnung von Wissenschaftlern und Praktikern zum Zwecke der wirtschaftspolitischen Beratung. Es handelt sich um einen lockeren Zusammenschluss von Vertretern
universitärer und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, der Bundes- und Landespolitik, Gewerkschafts- und Unternehmensvertretern sowie Vertretern der staatlichen Verwaltung. Der Kocheler
Kreis trifft sich in der Regel zweimal pro Jahr, um aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu erörtern.
Folgende Mitglieder des Kocheler Kreises haben die vorstehende Erklärung zur aktuellen Wirtschaftskrise unterzeichnet:
Name Institution
Dr. Michael Dauderstädt Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Prof. Dr. Harald Hagemann Universität Hohenheim
Prof. Dr. Hagen Krämer Hochschule Karlsruhe
Dr. Dieter Vesper ehem. DIW Berlin
Prof. Dr. Peter Spahn Universität Hohenheim
Prof. Dr. Frank C. Englmann Universität Stuttgart
Prof. Dr. Peter Kalmbach Universität Bremen
Prof. Dr. Michael von Hauff Universität Kaiserslautern
Prof. Dr. Hans-Michael Trautwein Universität Oldenburg
Prof. Dr. Gustav Horn Direktor des IMK Düsseldorf
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk MdB a.D.
Dr. Wolfgang Roth MdB, a.D. / Vizepräsident EIB
Dr. Lothar Böckels Unternehmensberater, Düren
Prof. Dr. Bernd Rahmann Universität Paderborn (emeritiert)
Prof. Dr. Otto Roloff Universität Wuppertal (emeritiert)
Prof. Dr. Ronald Schettkat Universität Wuppertal
Andreas Botsch DGB-Bundesvorstand, Berlin
Prof. Dr. Sebastian Dullien FHTW Berlin
Prof. Dr. Wolfgang Filc Universität Trier
Dr. Dietrich Sperling Staatssekretär a.D.
Gerhard Juchum ehem. BM der Finanzen, Berlin
Dr. Friedrich Wilhelm Haug Ministerialrat, Berlin
Prof. Dr. Klaus D. John TU Chemnitz
Christoph Majewski SPD-Thüringen
Marko Wolfram Bürgermeister Probstzella
Prof. Dr. Karen Cabos Fachhochschule Lübeck
Markus Schreyer Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Klaus Barthel MdB, SPD-Bundestagsfraktion
Wolfgang Roth war 1969 bis 1972 stellvertretender und von 1972 bis 1974 Bundesvorsitzender. Er war Mitglied im Parteivorstand der SPD und arbeitete viele Jahre als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg.