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Koalitionspoker in Finnland: Können die Sozialdemokraten ihre Wahlversprechen umsetzen?

Keine Partei über 20 Prozent – das macht eine Regierungsbildung nach den Wahlen in Finnland kompliziert. Die Sozialdemokraten als stärkste Kraft werden es schwer haben, ihre sozialpolitischen Wahlversprechen umzusetzen.
von Dietmar Dirmoser · 18. April 2019
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Die finnischen Sozialdemokraten (SDP) haben am Sonntag nach 20 Jahren wieder eine Wahl gewonnen; 55.000 Wähler mehr als bei den letzten Parlamentswahlen bescherten ihnen sechs zusätzliche Mandate. Die seit 2003 kontinuierlich voranschreitende Erosion der Wählerbasis ist damit gestoppt und die Partei hat nun die Chance, jene politische Gestaltungsfähigkeit zurückgewinnen, die sie in den SDP-geführten Regierungen bis in die 1990er Jahre immer wieder bewiesen hat. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es ihr unter Führung des ehemaligen Gewerkschaftsvorsitzenden Antti Rinne gelingt, eine funktionsfähige Regierungskoalition zusammenzubringen.

Komplizierte Regierungsbildung erwartet

Beobachter und Beteiligte erwarten einen langen und komplizierten Verhandlungsprozess, denn eine Regierungsmehrheit ist angesichts der Zersplitterung des Parteienfeldes ohne eine oder mehrere Parteien des rechten Lagers rechnerisch unmöglich. Die Sozialdemokraten, die konservative Nationale Sammlungspartei und die rechtspopulistische Finnenpartei, erhielten um 17 Prozent der Wählerstimmen, knapp dahinter mit 13,8 Prozent die liberalkonservative Zentrumspartei. Die links der Mitte zu verortenden Grünen, die Linke Allianz und die seit Jahrzehnten an allen Regierungen beteiligte Schwedische Volkspartei kommen zusammen auf ein knappes Viertel der Wählerstimmen. Die Wahlen vom Sonntag waren die ersten seit über 100 Jahren, bei denen keine der angetretenen Parteien über 20 Prozent der Stimmen erreichte.

Bei den Koalitionsverhandlungen wird sich herausstellen wie tief die Gräben sind, die durch die harte Liberalisierungspolitik der bisherigen Regierung von Zentrum, Nationaler Sammlungspartei und der Finnenpartei aufgerissen wurden. Die Sozialdemokraten haben den Abbau von Leistungen des vergleichsweise großzügigen finnischen Wohlfahrtsstaates sowie eine aggressiv arbeitnehmerfeindliche Arbeitsmarktpolitik als parlamentarische Opposition bekämpft und die Verteidigung des Sozialsystems in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt.

Vier- oder Fünfparteienkoalitionen keine Seltenheit

Dabei waren Versprechungen wie die Erhöhung der unter 1400 Euro liegenden Renten um 100 Euro, gewiss auch wahltaktisch motiviert. Antti Rinne, sollte er Premier werden, wird sich jedenfalls dem Problem der steigenden Aufwendungen für den Wohlfahrtsstaat stellen müssen, denn dessen Kosten drohen, wegen der Alterung der Bevölkerung, aus dem Ruder zu laufen.

Auf der anderen Seite haben programmatische und weltanschauliche Unterschiede zwischen den Parteien sowie die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager in Finnland eine deutlich geringere Bedeutung als anderswo. Alle im Parlament vertretenen Parteien haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zusammen regiert; bunte Vier- oder Fünfparteienkoalitionen waren keine Seltenheit. Die Sozialdemokratie war in den letzten Jahrzehnten fast immer Teil der Regierungsallianz, wenn auch seit 1999 nicht mehr federführend. Es mag Visionen einer rot-grünen Wunschkoalition geben, doch regiert hat die SDP mit der Nationalen Sammlungspartei ebenso wie mit dem Zentrum und oft waren zudem die Grünen und die Linken mit von der Partie und die schwedische Volkspartei sowieso.

Gefahr durch Finnenpartei

Gefahr droht dem parteibasierten konsens- und kompromissorientierten Parlamentarismus finnischer Prägung indes durch die Erfolge der rechtspopulistischen Finnenpartei. Sie war bei der Wahl am Sonntag ebenso wie bereits 2015 die zweitstärkste Kraft. Damals wurde sie vom Zentrum und der Nationalen Sammlungspartei in die Regierung geholt. Das Experiment der Einbindung der fremden-, islam- und europafeindlichen Partei war über Finnland hinaus umstritten und kann als gescheitert gelten. Denn nach der Wahl des aggressiven Rechtsaußen Jussi Halla-aho zum Parteichef kündigte Zentrumspremier Sipilä 2017 die Koalition, behielt aber die Finnenminister, nachdem diese aus ihrer Partei ausgetreten waren und eine gemäßigt rechtsnationalistische Organisation gegründet hatten. Doch nicht diese, sondern – zu dessen eigener Verwunderung – Halla-ahos Gruppierung konnte am Sonntag an den früheren Erfolgen anknüpfen.

Profitiert hat die Finnenpartei in den Monaten vor der Wahl vor allem durch eine Debatte über kriminelle Immigranten, nachdem einige in der Stadt Oulu wegen organisiertem sexuellem Missbrauch von Minderjährigen unter Verdacht gerieten. Wählerstimmen von Autofahrern und Fleischkonsumenten brachte der Finnenpartei ihre Stimmungsmache gegen die „Klimahysterie“ der Etablierten.

Verteidigung des Sozialsystems schwierig

Es ist unübersehbar, dass die Rechtspopulisten Geschmack am Regieren gefunden haben. Ob der sprichwörtliche finnische Pragmatismus ausreicht um die auch bei den bürgerlichen Konservativen bestehenden Vorbehalte gegen eine neuerliche Regierungsbeteiligung der Finnenpartei zu überwinden, ist unklar, wenngleich denkbar: selbst Sozialdemokrat Rinne mochte sie als Koalitionspartner nicht von vornherein ausschließen.

Letztlich wird eine sozialdemokratisch geführte Regierung nur zustandekommen, wenn sich entweder das Zentrum oder die Nationale Sammlungspartei zum Mitregieren bereitfindet und gegen die bestehende Mitte-rechts-Machtoption entscheidet. Die Umsetzung der sozialpolitischen Wahlversprechen der SDP dürfte in einer breiten ideologisch bunten Allianz unter Einschluss des Zentrums oder der Sammlungspartei allerdings nicht einfach werden.

Aus europäischer Perspektive darf man gespannt sein, wer im Juli im Namen Finnlands die rotierende europäische Ratspräsidentschaft übernimmt.

 

Autor*in
Dietmar Dirmoser

ist Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung FES Nordic Countries in Stockholm.

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