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Knappe Mehrheit: von der Leyen als Kommissionspräsidentin gewählt

Eine deutliche Zusage sieht anders aus, aber Ursula von der Leyen hat es geschafft: Die CDU-Politikerin ist trotz des Widerstands von Grünen, Linken und den europäischen SPD-Abgeordneten zur Kommissionspräsidentin gewählt worden. 383 von 747 Abgeordneten im Europaparlament stimmten für die Deutsche.
von Benedikt Dittrich · 16. Juli 2019

Es war eine knappe Mehrheit, aber am Ende war es eine Mehrheit im Europaparlament. Ursula von der Leyen, vor wenigen Tagen im Kampf um die europäische Spitze noch gänzlich bedeutungslos, wurde am Dienstagabend von mehreren Fraktionen zur neuen Kommissionspräsidentin gewählt. Der Europäische Rat hatte die Bundesverteidigungsministerin aus Deutschland vorgeschlagen, nachdem sich die EU-Abgeordneten und die Regierungschefs sich nicht auf einen der Spitzenkandidaten aus dem Europawahlkampf einigen konnten.

Die Niedrersächsische CDU-Politikerin wurde mit 383 von 747 Stimmen im Parlament gewählt - sie hatte damit nur neun Stimmen mehr als die notwendige absolute Mehrheit. Die kommissarischen Parteivorsitzenden der SPD in Berlin gratulierten der frisch gewählten CDU-Politikerin, mahnten aber auch an: Es gehe jetzt darum, Europa wieder zusammenzuführen: "Denn nur ein starkes Europa hat die Kraft, unsere Werte, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen."

Um diesen Prozess zu unterstützen, müsste künftig aber auch das Prinzip der Spitzenkandidaten institutionell verankert werden - das würde das Europaparlament weiter stärken. "Frau von der Leyen hat nun die Chance, ein Europa mitzugestalten, das nicht auf nationale Egoismen setzt, sondern auf Zusammenhalt und Einigkeit", erinnerten Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel in einer ersten Reaktion, "Auf diesem Weg wird die SPD sie nach Kräften unterstützen."

Nach der Abstimmung gratulierten auch die SPD-Abgeordneten im Europaparlament Ursula von der Leyen zur Wahl.  An der Kritik hielt der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier, aber fest: "Ursula von der Leyen hat sich in keinem europäischen Wahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern Europas vorgestellt. Die SPD-Europaabgeordneten, mehr als ein Drittel der S&D-Fraktion sowie zahlreiche Abgeordnete anderer Fraktionen sehen das ähnlich und haben deshalb gegen den Vorschlag des Rates gestimmt." SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley und andere Abgeordnete streckten dennoch die Hand zur Zusammenarbeit aus:

Herzlichen Glückwunsch, liebe Ursula @vonderleyen , und eine glückliche Hand als #Kommissionspräsidentin. Wir waren nicht einer Meinung auf dem Weg hierher. Aber für ein friedliches, freies, nachhaltiges, soziales und gerechtes #Europa hast du meine Unterstützung.

— Katarina Barley (@katarinabarley)
16. Juli 2019

Grund zur Freude ist es für Parteikollegin Maria Noichl dennoch nicht: "Es macht mich unsäglich traurig, dass es dem europäischen Rat gelungen ist, seine Interessen gegen die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen.

Widerstand und Zuspruch von links und rechts

Vor allem rechte Kräfte, EU-Kritiker und Konservative hatten schon am Vormittag ihre Zustimmung für den Personalvorschlag des Rates signalisiert, Linke und Grüne lehnten von der Leyen auch nach ihrer Rede im Parlament noch ab, auch die SPD-Abgeordneten in der sozialdemokratischen S&D-Fraktion hatten immer wieder betont, sie nicht wählen zu wollen. Die Spitze der Fraktion verkündete kurz vor der Abstimmung aber, dass die Gruppe die Kandidatin unterstützen werde - dem widersprach unter anderem Tiemo Wölken von der SPD. Der Tagesspiegel meldete, dass rund 100 Sozialdemokraten in der Fraktionssitzung angekündigt haben sollen, von der Leyen wählen zu wollen.

Dieser Tweet gibt den Verlauf der Fraktionssitzung nicht richtig wieder. Eine Mehrheit der nationalen Delegationen war für eine Unterstützung, es gab aber auch viel Kritik. Die deutschen #SPD Angeordneten, wie viele KollegInnen werden #vonderLeyen nicht wählen. Versprochen. https://t.co/El3VgnbeCf

— Tiemo Wölken?? (@woelken)
16. Juli 2019

Eine Probeabstimmung bei den Liberalen soll eine breite Zustimmung ergeben haben, Widerstand gab es aber kurz vor der Wahl innerhalb der rechtskonservativen Fraktion EKR, zu der auch die polnischen PiS-Abgeorndeten gehören. Welche Stimmen der CDU-Politikerin nun den Weg an die Spitze der EU-Kommission geebnet haben, blieb allerdings unklar, da die Abstimmung geheim war.

Ehemalige Spitzenkandidaten warben für von der Leyen

Die Spitzen von Liberalen und auch der S&D-Fraktion hatten zuvor keine klare Empfehlung an ihre Parteimitglieder ausgesprochen, Frans Timmermanns, ehemaliger Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, signalisierte nach der Rede von von der Leyen allerdings schon Zustimmung, auch die Fraktionsvorsitzende Iratx Garcá Pérez stimmte versöhnliche Töne an.

Addressing the climate crisis; minimum wage for all European workers; fair taxation; defending our values and upholding the rule of law: these are things I promised voters in the electoral campaign. Good to see they are part of @vonderleyen’s programme.

— Frans Timmermans (@TimmermansEU)
16. Juli 2019

Während Jörg Meuthen von der rechtspopulistischen Fraktion ID klar gegen die Unions-Politikerin aussprach, äußerte sich die Liberale Margrethe Vestager ähnlich versöhnlich wie Timmermanns:

Strong, warm, balanced speech by @vonderleyen in @Europarl_EN - we can #RenewEurope, sustainably #GrowTogether and fight climate change: Vote #vonderLeyen!

— Margrethe Vestager (@vestager)
16. Juli 2019

Ursula von der Leyen wird ihr Amt ab November antreten, die 60-Jährige ist die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission. Schon vor dem Abstimmungsergebnis hatte sie angekündigt, als Verteidigungsministerin der Bundesrepublik am Mittwoch zurückzutreten. Mit dem Wechsel der CDU-Politikerin an die Spitze der EU wird sich also auch das Kabinett der Bundesregierung verändern.

Kommentar zur Abstimmung: Jetzt muss von der Leyen liefern

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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