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Kenia und Corona: Warum die Krise das Land besonders hart trifft

Kenia ist abhängig von seiner Exportwirtschaft. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie treffen das ostafrikanische Land daher besonders stark.
von Henrik Maihack · 31. März 2020
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Der Corona-Virus ist in Kenia angekommen. Die potentiellen Auswirkungen für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft, aber auch für den gesellschaftspolitischen Zusammenhalt sind bedrohlich. Gleichzeitig sind diese Auswirkungen politisch gestaltbar. Dazu braucht es internationale Solidarität und Maßnahmen, die den Virus und dabei gleichzeitig die Ungleichheit im Lande bekämpfen. 

Das kenianische Gesundheitssystem ist derzeit nicht in der Lage, eine stark ansteigende Anzahl von Fällen zu bewältigen. Schon wenige hundert Intensivpatient*innen würden nur schwer betreut werden können. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Folgen der weltweiten Corona-Krise, die sich bereits unmittelbar in Kenia auswirken: Kenia ist abhängig vom Export von Kaffee, Tee, Blumen und vom Tourismus. Alle diese Sektoren sind von internationaler Nachfrage und entsprechenden Transportinfrastrukturen abhängig. Beides ist derzeit auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Menschen verlieren ihre Arbeit. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nicht. Die durch die Corona-Krise bereits spürbare De-Globalisierung, trifft ein Land wie Kenia besonders hart. Gleichzeitig sind fiskalpolitische Spielräume und damit die Handlungsfähigkeit des Staates beschränkt, auch aufgrund hoher internationaler Verschuldung.

Ausgangssperre schwer durchzusetzen

Derzeit will die Regierung durch eine nächtliche Ausgangssperre, die Aussetzung des internationalen Flugverkehrs, strenge Quarantäneauflagen für Menschen, die vorher nach Kenia eingereist sind und die Aufforderung, von zuhause zu arbeiten die Ausbreitung des Virus bekämpfen. Wie schwer vor allem eine Ausgangssperre durchzusetzen ist, zeigte sich direkt zu Beginn. Kenianische Medien berichteten von Übergriffen der Sicherheitskräfte auf Menschen, die es nicht früh genug nach Hause schafften.

Insbesondere die Ausbreitung des Virus in den informellen Siedlungen (den sogenannten Slums) der großen Städte hätte schlimme Konsequenzen. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung der Hauptstadt Nairobis leben in Slums, die weniger als zehn Prozent der Stadtfläche ausmachen. Die große Mehrheit der Stadtbewohner*innen arbeitet in prekären Verhältnissen, meist im informellen Sektor, ohne Arbeitsvertrag und soziale Absicherung. Ungleichheit ist in Kenia somit nicht nur eine Frage des Einkommens, sondern auch eine Frage des Zugangs zu öffentlichen Gütern wie Gesundheit, aber auch zu öffentlichem und privatem Raum, um Social Distancing zu ermöglichen.

Während sich die nationale Elite gemeinsam mit internationalen „Expats“ in die Privatkliniken in der Hauptstadt im Corona-Notfall einkaufen könnte, wird das für die großer Mehrheit der Kenianer*innen nicht bezahlbar sein. Die Flucht auf das Land ist auch keine Option. Hier ist das Gesundheitssystem deutlich schlechter aufgestellt. Die dortigen Ernten sind aufgrund des Klimawandels und ganz akut wegen der sich derzeit wieder ausbreitenden Heuschreckenschwärme unsicherer geworden.

Corona könnte Gesellschaft spalten

Die Reaktion auf Corona ist daher bereits von Anfang an eine soziale Frage in Kenia. Internationale Expats und Angehörige der kenianischen Elite fordern auf Twitter einen strikten Shutdown, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen und bereiten sich mit Hamsterkäufen darauf vor. Die Beschäftigten im informellen Sektor halten dies für unmittelbar lebensbedrohlich, weil sie ihren Tagesverdienst unmittelbar für Ernährung und Miete einsetzen. Das Anlegen von Vorräten ist für sie nicht möglich.

Während sich in Deutschland neue Formen der Nachbarschaftshilfe, die Wiederentdeckung bzw. Reanimierung von gesellschaftlicher Solidarität und ein neues Verständnis der Notwendigkeit öffentlicher Güter positive Nebenwirkungen der Corona-Krise sind, könnte der Corona-Virus in Kenia zu einem unmittelbaren Risiko für gesellschaftlichen Zusammenhalt werden. Wenn der Zugang zur Intensivstation vom Geldbeutel abhängt und dieser aufgrund von Austeritätspolitik in den letzten Jahren immer kleiner geworden ist, gleichzeitig aber kaum staatliche Daseinsvorsorge zur Verfügung steht, kann sich gesellschaftliche Solidarität nur schwer herausbilden.

Damit hat der Corona-Virus auch politische Auswirkungen. Kenia ist eine heterogene, ungleiche, aber auch demokratische Gesellschaft. Das Vertrauen in die Regierung ist nach umstrittenen Wahlen 2017 und aufgrund einer strikten Austeritätspolitik, als Folge einer zunehmenden internationalen Verschuldung, die u.a. für Bau von korruptionsanfälligen Prestigeprojekten eingesetzt wurde,  aber beschädigt. Insofern wird der staatliche Umgang mit der Krise auch zum Gradmesser gesellschaftlichen Vertrauens in die Regierung werden, je nachdem ob die Kosten von Maßnahmen zu dessen Eindämmung gesellschaftlich fair verteilt werden. Sollte dies nicht passieren, wird die Corona-Krise schnell zu einer politischen Krise.

Vorteile als einzige Demokratie der Region

Kenia hätte als einzige Demokratie der Region deutliche Vorteile, um die Corona-Krise zu bewältigen. Wo Intensivmedizin kaum vorhanden und Social Distancing in gedrängten Slums nur schwer möglich ist, wird offene Kommunikation zu Ausbreitungspfaden, Präventivmaßnahmen und Einkommenskompensationen umso wichtiger. Hierbei können Regierung und kenianische Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Dass Medien in Kenia offen berichten, eine kritische Zivilgesellschaft Informationen und Maßnahmen zur Eindämmung einfordern und Gewerkschaften sich für eine sozial ausgeglichene Antwort auf die Corona-Krise z.B. durch Cash Transfers und eine Senkung der Mehrwertsteuer für Bedarfsgüter einsetzen können, ist ein entscheidender Vorteil Kenias. All das sind Frühwarn- und Dialogmechanismen, die andere Länder der Region so nicht zur Verfügung haben. Diese Mechanismen gilt es auch international zu unterstützen.

Kenia teilt mit anderen Ländern Afrikas die Herausforderung der Überschuldung und der dadurch akut eingeschränkten Handlungsfähigkeit des Staates. Laut Berechnungen der United Nations Economic Commission for Africa (UNECA) benötigt der gesamte afrikanische Kontinent mehr als 100 Milliarden US-Dollar zusätzlich, um mit der Corona-Krise umzugehen. Mehr als die Hälfte davon würde zur Verfügung stehen, wenn afrikanische Länder von der Zahlung von Zinsen für internationale Kredite bei multilateralen Institutionen befreit würden. Insgesamt braucht der Kontinent derzeit flexible und schnelle multilaterale internationalen Unterstützung. Um Ländern wie Kenia beistehen zu können, braucht es daher mehr denn je eine handlungswillige Allianz der Multilateralisten. Wo das Corona-Virus gesellschaftliche Solidarität unter Druck setzt, ist internationale Solidarität umso wichtiger.

Autor*in
Henrik Maihack

ist Politikwissenschaftler und leitet das FES-Büro in Kenia. Zuvor leitete er für die Stiftung die Büros in Bangladesch und im Südsudan.

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