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Keine Chance ohne Risiko

von Ramon Schack · 20. Januar 2011
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Ramon Schack: Nach aller Wahrscheinlichkeit wird der Südsudan in Kürze der 193. Mitgliedsstaat der UNO sein. Halten Sie diese Staatsgründung für notwendig, um das vorhandene Konfliktpotenzial zu entschärfen?

Dag Zimen: Das Konfliktpotenzial zwischen Nord- und Südsudan war mehr als nur vorhanden. In den letzten Jahrzehnten hatte es sich in einem der blutigsten Bürgerkriege mit über 2 Millionen Toten entladen. Im Grunde genommen war im Sudan nie zusammengewachsen, was nicht zusammengehörte - weder ethnisch, noch religiös, noch wirtschaftlich. Das 2005 geschlossene und international eng begleitete Comprehensive Peace Agreement (CPA) stellt den bislang zumindest erfolgreichen Ansatz da, diesen Konflikt zu überwinden.

Kernstück des CPA ist das nun wider vieler Erwartungen friedlich und ordentlich verlaufene Referendum im Südsudan, das in seiner historischen Bedeutung für ganz Afrika gar nicht überschätzt werden kann: Zum ersten Mal stellen die Menschen in Afrika selbst durch eine demokratische Wahl die Weichen auf Unabhängigkeit und bestimmen über die Grenzen, die zum Teil seit der Berliner Kongokonferenz 1885 bestehen. Die bevorstehende Unabhängigkeit Südsudans stellt die große Chance für eine umfassende Neugestaltung und Stabilisierung der Region dar. Keine Chance ohne Risiko, aber die Tür zu einer friedlichen Entwicklung war noch nie so offen. Entscheidend wird weiterhin sein, dass der Prozess auch von der sudanesischen Zentralregierung grundsätzlich akzeptiert wird und keine neuen Feindschaftsgräben entstehen. Die derzeitigen Signale aus Khartoum geben Anlass zur Hoffnung.

Was erhoffen sich die Menschen im Südsudan von einem unabhängigen Staat?
Fünfzig Jahre nach der großen Unabhängigkeitsbewegung in Afrika haben nun auch die Südsudanesen die Chance auf Selbstbestimmung und eigenverantwortliche Entwicklung; auch das Recht, eigene Fehler zu machen. Souveränität hat einen sehr hohen Stellenwert in der politischen Kultur des gesamten Kontinents.

Wie beurteilen Sie Erfolgschancen des Südsudans angesichts der sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen?
Um aus einer lange Zeit marginalisierten Peripherie eine politisch wie wirtschaftlich überlebensfähige Entität mit verlässlichen und bestenfalls demokratischen Institutionen zu machen, bedarf es natürlich eines langen Atems und internationaler Unterstützung. Das große Engagement, mit dem das CPA und speziell das Referendum derzeit begleitet werden, darf mit dem Hissen der neuen Flagge in Juba nicht erlöschen.

Von der Flüchtlingsproblematik über die Grenzfragen, den Zugriff auf die Bodenschätze, Infrastruktur und Armutsbekämpfung bis zur Etablierung demokratischer Strukturen und einer vitalen Zivilgesellschaft reichen die Projekte einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Hier steht auch Deutschland in der Verantwortung, besonders da wir nun im UN-Sicherheitsrat eine wichtige Rolle in der zivilen Krisenprävention haben. An einem weiteren "failed state" in der Region kann niemand ein Interesse haben. Aber auch ein weiteres Land in die langfristige Geberabhängigkeit zu bringen, kann nicht das Ziel sein. Südsudan sollte vielmehr ein Beispiel für eine neue und koordinierte Entwicklungszusammenarbeit werden, die von Anfang an Wert auf eine gleichberechtige Partnerschaft legt.

Besteht die Gefahr, dass der Südsudan aufgrund seiner Bodenschätze schnell unter den Einfluss ausländischer Mächte gerät? Beispielsweise durch Äthiopien, welches als Alliierter der USA in Afrika gilt.
Speziell Äthiopien hat auch ohne die USA ureigene Interessen in Südsudan, Stichwort Nilwasser. Andere Akteure haben andere Interessen. Um eine Entwicklung vergleichbar mit der Demokratischen Republik Kongo, wo unzählige Akteure unkontrolliert mit- und gegeneinander agieren, zu verhindern, ist es umso wichtiger, effektive staatliche Strukturen und transparente Mechanismen zu etablieren, die Südsudan dazu befähigen, die neue erlangte Souveränität nicht gleich wieder abgeben zu müssen. Entscheidend wird dafür auch die Einbindung in die Sicherheitsarchitektur der Afrikanischen Union sein.

Der chinesische Einfluss in Afrika wächst. Wie stark ist die Volksrepublik im Südsudan präsent?
Nach wie vor hat Peking fundamentale wirtschaftliche (Öl)interessen in Sudan, deren Garant in der Vergangenheit stets die wechselnden Zentralregierungen in Khartoum waren. Seit 2005 nehmen aber auch die Beziehungen zu Juba zu und führten 2008 zum Aufbau quasi-diplomatischer Beziehungen, die mit verstärkter Entwicklungshilfe, verstärkten Investitionen und mehr chinesischen Unternehmen in Südsudan einhergehen.

Auch in Südsudan verfolgt China natürlich vornehmlich wirtschaftliche Interessen, Demokratie und Menschenrechte sind daher keine Prioritäten, wohl aber eine gewisse politische Stabilität in der Region. An einem unendlichen Konflikt zwischen Nord- und Südsudan hat Peking kein Interesse. Es ist davon auszugehen, dass die derzeitig gemäßigte Haltung Khartoums gegenüber dem CPA und einer südsudanesischen Unabhängigkeit durchaus auch auf chinesischen Einfluss auf die Regierung al-Bashirs zurückzuführen ist. Diesen Einfluss hat die so genannte westliche Staatengemeinschaft, die al-Bashir vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen möchte, derzeit nicht.

Könnte die Unabhängigkeit des Südsudans einen Präzedenzfall schaffen, an deren Ende es in Afrika zu weiteren Sezessionen kommen kann?
Es ist schwer und zu früh vorherzusagen, ob Südsudans Sezession zum Modell wird, insbesondere da sich individuelle Probleme und aber auch Erfolgsgeschichten in mehr als 50 afrikanischen Staaten schlicht nicht verallgemeinern lassen. In vielen Ländern haben durchaus erfolgreiche Nation building-Prozesse stattgefunden. Aber die aus der Kolonialzeit überdauernden Grenzverläufe in Afrika als sakrosankt zu bezeichnen, stünde uns schlecht an.


Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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