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Kein Lebenszeichen von Nadeshda Tolokonnikowa

von Jörg Hafkemeyer · 6. November 2013

Nichts Genaues ist bekannt seit mehr als zwei Wochen. Die Pussy Riot - Musikerin Nadeshda Tolokonnikowa soll in ein anderes Straflager nach Sibirien verlegt worden sein. Einen direkten Kontakt hat ihr Ehemann Pjotr Wersilow nicht mehr zu ihr.

Am Dienstag dieser Woche schrieb er, seine Frau sei auf dem Weg nach Sibirien. Seine Quelle nannte er nicht. Die im August vergangenen Jahres zu zwei Jahren Lagerhaft wegen „Rowdytums“ verurteilte 23-Jährige wurde zunächst im 500 km von Moskau entfernten Straflager IK-14 in Mordwinien untergebracht. „Ich erkenne meine Schuld nicht an und ich werde sie auch niemals anerkennen,“ erklärte sie. Sie werde bis zum Ende gegen ihre Verurteilung kämpfen und ihren Fall wenn nötig vor den obersten Gerichtshof des Landes bringen. Sie habe Prinzipien und werde diese verteidigen. Sie protestierte gegen die Haftbedingungen in ihrem bisherigen Straflager. Begehrte gegen sie auf.

Zustände wie im sowjetischen Gulag

Weder das bisherige Lager noch die zuständigen russischen Behörden geben irgendeine Auskunft über ihren Gesundheitszustand, über die Haftbedingungen oder über die Verlegung. Ihr Ehemann teilte lediglich mit, sie sei auf dem Weg in das sibirische Straflager Nummer 50 in der Stadt Nischni Ingasch nahe an der Transsibirischen Eisenbahn 300 km von Krasnojarsk entfernt.

Mehrfach hat sich Nadeschda Tolokonnikowa über die Übergriffe von Mitgefangenen und Wachpersonal beklagt. Am 23. September tritt sie in einen Hungerstreik. „Das ist eine extreme Maßnahme, schreibt sie und fährt fort: „Ich will das Schweigen beenden. Ich will nicht länger zuschauen, wie meine Mithäftlinge unter diesen sehr schrecklichen Bedingungen zusammenbrechen. Ich verlange, dass im Straflager von Mordwinien geltende Gesetze beachtet werden. Ich will, dass wir wie Menschen behandelt werden. Nicht wie Sklaven.“ Mit diesem offenen Brief protestiert sie gegen die Zustände im Lager. 

Die Mutter einer kleinen Tochter beschreibt, wie die Insassen um ihren Schlaf gebracht werden, 17 Stunden pro Tag arbeiten müssen. Von halb acht Uhr morgens bis halb eins in der Nacht. Die hygienischen Bedingungen sind erbarmungswürdig. Sie klagt: Ein Justizbeamter habe sie mit dem Tod bedroht. Es sei wie im sowjetischen Gulag.

Kontaktverbot als Strafe?

Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich deutlich. Nach sechs Tagen wird sie in das Krankenhaus des Straflagers verlegt. Ein paar Tage später ist sie aus der Klinik zurück und nimmt ihren Hungerstreik wieder auf. Am 18. Oktober teilen die russischen Strafbehörden mit: Nadeschda Tolokonnikowa wird ihre zweijährige Haftstrafe bis zum März nächsten Jahres wegen ihrer „Beschwerden über Drohungen von Mitgefangenen und Wärtern“ in einem anderen Straflager verbringen müssen.

Ihre Verwandten, allem voran ihr Mann Pjotr Wersilow, haben Angst es könnte ihr etwas passiert sein, nachdem es nun mehr als zwei Wochen kein Lebenszeichen mehr von ihr gibt. Er glaubt, die russische Behörde wolle seine Frau mit einem Kontaktverbot bestrafen, weil sie die Haftbedingungen kritisiert und zweimal in einen Hungerstreik getreten ist. Mehr als ein Jahr, nachdem sie mit Ihren beiden Mitstreiterinnen aus der Pussy Riot - Gruppe wegen des so genannten Punk-Gebets in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ gegen weltweiten Protest zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden war.

Nadeschda Tolokonnikowa kritisierte in ihrem Schlussplädoyer unter anderem: „Dies ist eine Verhandlung über das gesamte Staatssystem…, das zu seinem eigenen Unglück in seiner Grausamkeit gegen Menschen, seiner Gleichgültigkeit gegenüber Ehre und Würde, so gern das Schlimmste zitiert, was in der russischen Geschichte je geschehen ist. Die Imitation eines Gerichtsverfahrens kommt dem Muster der „Gerichtstroiken“ der Stalinzeit nahe.“

 

 

 

 

 

 

 

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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