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Kein Europa ohne Euro-Währungspolitik

Nur der Euro ermöglicht den EU-Staaten weltwirtschaftlich Selbstbestimmung und schützt sie vor Währungsturbulenzen, sagt Sebastian Dullien. Der Ökonom ist überzeugt, dass die europäische Linke eine klare Vision für die gemeinsame Währung haben muss.
von Sebastian Dullien · 26. Oktober 2015
Brieftasche mit Euro-Scheinen
Brieftasche mit Euro-Scheinen

Echte Euro-Freunde sind heute nur noch schwer zu finden. Die meisten Argumente für den Erhalt der Gemeinschaftswährung sind rein abwehrend: Die Kosten des Euro-Austritts eines Landes oder gar des ­Auseinanderbrechens der Währungsunion seien einfach zu groß, heißt es. Viele Bundestagsabgeordnete sprechen offen aus, dass sie heute nicht mehr für die Einführung des Euro stimmen würden. Da aber Deutschland nun einmal den Euro habe, müsse man damit leben. Diese defensive Haltung ist höchst bedauerlich. Denn es gibt – auch und gerade aus progressiver Sicht – weit bessere Argumente für den Euro als die hohen Kosten seiner Auflösung.

Zur Erinnerung: Auch sozialdemokratische Parteien in Europa haben seinerzeit dem Euro zugestimmt – aus gutem Grund. Es ging darum, in einer zunehmend globalisierten Welt den Handlungsspielraum der Politik zu bewahren. Die Zeit vor der Einführung des Euro 1999 war mitnichten so beschaulich wie heute gerne dargestellt. Erst 1992 erlebte Europa die letzte große Währungskrise mit brutalen Auf- und Abwertungen, die europäische Länder reihenweise in die Rezession drückte. Auch in Deutschland schoss damals die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Mit dem Euro wollten die Europäer auf den turbulenten Weltkapitalmärkten eben nicht mehr eine Handvoll kleiner hilfloser Nussschalen sein, sondern gemeinsam als großer Tanker auftreten, der den eigenen Kurs bestimmen kann.

Schweiz in der Krise ohne Euro

Dieser Ansatz hat heute mehr Gültigkeit als je. Die fixe Idee, dass man auf Dauer ohne Euro national eine bessere Politik durchsetzen könnte, ist eine Illusion. Die Schweiz hat gerade erlebt, wie man als Land außerhalb der Euro-Zone von den Krisen der Nachbarn hart getroffen wird. Um eine Aufwertung des Franken zu begrenzen, sah sich die Notenbank zunächst gezwungen, für hunderte Milliarden Franken Staatsanleihen von Euro-Staaten zu kaufen. Als die Notenbank die Käufe stoppte, wertete der Franken über Nacht um 20 Prozent ab und stürzte die Schweizer Wirtschaft in die Rezession. Jetzt kämpft die Industrie ums Überleben. Gesellschaftlicher Fortschritt sieht anders aus. Deutschland mag in den 1970er Jahren mit der D-Mark eine ökonomische Mittelmacht gewesen sein – mit dem Wachstum der Schwellenländer und der demografischen Entwicklung wird es auf Dauer im Weltmaßstab nicht viel mehr als eine große Schweiz der 1970er sein. Viele andere Euro-Staaten wären ohne Euro schon heute noch machtloser.


Warum aber sind dann alle vom Euro so frustriert, der den einen Dauer­austeriät und den anderen immer neue Forderungen nach Hilfspaketen gebracht zu haben scheint? Der Grund sind die ganz konkreten Entscheidungen, die während der Euro-Krise getroffen wurden: europäisch verordnete Austerität statt Investitions- und Wachstums­initiative; Bankenunion mit Regeln zur Bankenrettung statt Sozial- und Arbeitsmarktunion mit Mindestregeln gegen Sozialdumping; Disziplinierung der Regierungen durch Finanzmärkte statt Stützung durch die Europäische Zentralbank. Kurz: Europa hat den ökonomischen Freiraum, den es hatte, nicht genutzt.

SPD muss Vision vertreten

Für die Sozialdemokraten ist es deshalb wichtig, bei der Debatte um die Reform der Währungsunion ihre eigene Vision zu definieren und zu vertreten. Dabei muss man sich klar machen, dass viele sozialdemokratische Ideen echte politische Entscheidungen brauchen, um umgesetzt zu werden. Ein progressives Europa braucht deshalb eine echte europäische Regierung, die politische Richtungsentscheidungen treffen kann, und nicht nur ein Regelbuch, dem alle zu folgen haben. Feste Regeln tendieren dazu, den Status Quo zu erhalten. Wer progressive gesellschaftliche Verbesserungen durchsetzen will – sei es bei den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, der Umverteilung oder bei einer gemeinsamen europäischen Industriepolitik – kann nicht nur nach vorgegebenen Regeln regieren. Mit ­einer Wirtschafts- und Sozialpolitik für Deutschland, die auf vordefinierte Regeln festgelegt worden wäre, wäre der Mindestlohn kaum eingeführt worden.


Die Ideen, die der französische Präsident François Hollande jüngst zur Reform der Euro-Zone skizziert hat, sind deshalb für Sozialdemokraten wesentlich zielführender als die Vorschläge etwa zu einem Sparkommissar, die aus dem Bundesfinanzministerium unter Wolfgang Schäuble kommen. Der Euro ist eine notwendige Voraussetzung für ein Europa mit progressiver Politik – er allein garantiert aber noch lange nicht solch ein Europa. Wer diese Lehre heute verkennt, kann Deutschland nur in die Sackgasse steuern – wahlweise in die des machtlosen, nationalen Kleinstaats oder in jene eines dauerhaft neoliberal verfassten Europas.

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Sebastian Dullien

ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

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