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Katarina Barley (SPD): Auszahlung von EU-Geldern nur bei Einhaltung der Grundwerte

Die Vizepräsidentin des EU-Parlamentes, Katarina Barley, fordert vom EU-Gipfel, Rechtstaatlichkeit und Demokratie in den Mitgliedsländern jährlich zu überprüfen. Bei gravierenden Verstößen sollen Finanzmittel eingefroren werden. Das Geld der EU soll zum Hebel für die Demokratie werden.
von Lars Haferkamp · 16. Juli 2020
Katarina Barley, Vizepräsidentin des EU-Parlamentes.
Katarina Barley, Vizepräsidentin des EU-Parlamentes.

Katarina Barley, vor dem am Freitag beginnenden EU-Gipfel hat Ratspräsident Charles Michel einen Kompromiss im Finanzstreit zum Wiederaufbaufonds vorgelegt. Was halten Sie davon?

Um ehrlich zu sein, bin ich von dem Vorschlag sehr enttäuscht. Charles Michel hat zwar das Volumen der Wiederaufbaugelder von 750 Mrd. Euro beibehalten. Den eigentlichen EU-Haushalt hat er aber an vielen Stellen eingedampft, beispielsweise die Gelder für das Erasmus-Programm. Was mich jedoch am meisten enttäuscht, ist sein Einknicken vor Orbán und Co beim Thema Rechtsstaatlichkeit. Er hat den Mechanismus zur Bindung von europäischem Geld an Grundwerte, den die Kommission und wir im Parlament schon lange fordern, verwässert.

Wie sieht denn dieser Parlamentsvorschlag für einen Zusammenhang zwischen den Finanzen der EU und ihren demokratischen und rechtsstaatlichen Werten genau aus?

Zunächst einmal wollen wir, dass es eine jährliche Überprüfung von Rechtsstaat und Demokratie in allen Mitgliedsstaaten gibt. Wenn auf dieser Basis gravierende Verstöße gegen europäische Grundwerte festgestellt werden, soll die Kommission das Recht erhalten, EU Mittel für die betroffenen Staaten einzufrieren. Laut unserem Vorschlag könnten die Mitgliedsstaaten eine solche Sanktion nur mit einer Zweidrittelmehrheit abwehren. Und genau an dieser Stelle hat Michel ein kleines, aber wichtiges Detail geändert: Er fordert, dass die Mitgliedsstaaten erst mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen, bevor die Kürzungen greifen. Das würde aber bedeuten, dass einige wenige Staaten wieder alles blockieren können.

Was fordern Sie von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

Ich wünsche mir von der Ratspräsidentschaft, dass sie vor allem beim Punkt Grundwerte und Rechtsstaatlichkeit standhaft bleibt. Natürlich bedeutet der Ratsvorsitz nicht, dass Deutschland mehr als eine Stimme im Rat der Mitgliedsstaaten hat. Der Haushalt und Wiederaufbauplan müssen immer noch von allen Staaten gemeinsam beschlossen werden. Dennoch kann die Bundeskanzlerin als Vorsitzende beim anstehenden Gipfel Pflöcke für die Verhandlungen einschlagen, damit die Mitgliedsstaaten in Erwartung des schnellen Geldes nicht die Rechtsstaatlichkeit opfern.

Einen robusten Rechtsstaatsmechanismus, wie Sie ihn fordern, werden Polen und Ungarn nicht akzeptieren. Ist der Plan damit zum Scheitern verurteilt?

Wie schon angedeutet geht es um sehr viel Geld. Geld, von dem Polen und Ungarn massiv profitiert. Das kann auch ein Hebel sein. Man könnte sagen: Wenn ihr nicht eine robuste Bindung der Mittel an Rechtsstaat und Demokratie akzeptiert, dann kann es keine Einigung aufs Budget geben. Die Staaten, die sich dem bisher verweigern, tun das ja gerade, weil sie so vom europäischen Geld abhängen. Das kann auch eine Chance sein. Außerdem vergessen viele, dass jede Einigung im Rat auch durch das Europäische Parlament muss. Bei uns Abgeordneten wächst der Widerstand. Ich für meinen Teil werde keinem Deal ohne eine robuste Rechtsstaatsklausel zustimmen.

Wie bewerten Sie das Agieren der EU-Kommission gegenüber Polen und Ungarn, die nach dem Wahlsieg von Präsident Duda gegenüber Brüssel wohl nicht weniger selbstbewusst auftreten werden als bisher?

Zunächst muss man bedenken, dass die Niederlage des Oppositionskandidaten Rafal Trzaskowski nur hauchdünn war. Alle Altersgruppen unter 50 haben mehrheitlich für die Opposition gestimmt. Das zeigt, dass viele Polinnen und Polen ein rechtsstaatliches, tolerantes, und europafreundliches Land wollen. Ob die PiS nun mit weiteren Repressionen reagiert oder sich wenigstens in Teilen auf die Opposition und Zivilgesellschaft zubewegt, bleibt abzuwarten. Von der Europäischen Kommission würde ich mir wünschen, dass sie die polnische Regierung konsequenter für Europarechtsverstöße vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt. Denn solange wir keinen funktionierenden Rechtsstaatsmechanismus haben, ist der EuGH das schärfste Schwert zur Einhaltung europäischer Werte. Bisher hat sich Polen - wenn auch zögerlich und zähneknirschend - an dessen Urteile gehalten.

Wenn Gelder der EU-Steuerzahler*innen in den Taschen von Demokratiefeinden landen, welche Auswirkungen hat das auf das Ansehen Europas und seiner Werte?

Das führt zu einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem. Einerseits verpflichten wir Staaten, die Mitglied der EU werden wollen, in den Kopenhagener Beitrittskriterien zu einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, zur Wahrung der Menschenrechte sowie zum Schutz von Minderheiten. Andererseits gibt es momentan keinen wirksamen Kontrollmechanismus, damit diese Werte auch nach dem Beitritt beibehalten werden. Das schädigt den Zusammenhalt Europas ganz konkret. Denn jeder Mensch in der EU muss die Garantie haben, dass seine Freiheitsrechte gewahrt sind und er oder sie diese im Zweifel vor unabhängigen Gerichten einklagen kann. Auch ist die Rechtssicherheit für Unternehmen eine Grundvoraussetzung für den funktionierenden Binnenmarkt. Nicht zuletzt ist die EU es den Steuerzahlenden schuldig, dafür zu sorgen, dass ihr Geld nicht in dubiosen Taschen versickert.

Stichwort Steuerzahlende: Die SPD verlangt mehr EU-Eigenmittel. Was würde das konkret für die Steuerzahler*innen in Deutschland bedeuten?

Eine große Entlastung! Denn die 750 Mrd. Euro an Wiederaufbauhilfen sollen ja darüber finanziert werden, dass die EU-Kommission sich Geld an den Finanzmärkten leiht. Wir schlagen vor, dass die Rückzahlung dieser Gelder zum Großteil über EU-Eigenmittel finanziert wird. Das sind keine Gelder, welche den Mitgliedsstaaten in irgendeiner Form weggenommen werden, sondern ganz neue Finanzmittel. Konkrete Vorschläge hierfür sind eine Plastiksteuer, eine CO2-Steuer an den EU Außengrenzen für den Import von klimaschädlich hergestellten Produkten sowie eine EU-Digitalsteuer. Gerade in der Corona-Pandemie haben die großen Digitalkonzerne weiter hohe Gewinne eingefahren. Das liegt auch daran, dass sie bisher nicht angemessen grenzüberschreitend besteuert werden – das wollen wir ändern.

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