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Katarina Barley: „Polen bewegt sich immer weiter weg von rechtsstaatlichen Standards“

Mit mehreren Reformen versucht die PiS-Regierung die polnische Justiz gefügig zu machen. Am Ende könnte die Abschaffung des Rechtsstaats stehen, warnt die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley. Sie fordert finanzielle Sanktionen.
von Kai Doering · 12. März 2020
Europaparlamentarierin Katarina Barley: Jetzt ist der Moment gekommen, an dem wir laut sein müssen.
Europaparlamentarierin Katarina Barley: Jetzt ist der Moment gekommen, an dem wir laut sein müssen.

In den vergangenen Monaten hat das polnische Parlament mehrere Gesetze erlassen, die zum Teil massiv in die Arbeit der Gerichte eingreifen. Ist Polen noch ein Rechtsstaat?

Zumindest bewegt sich Polen immer weiter weg von rechtsstaatlichen Standards. In den vergangenen vier Jahren wurden viele einzelne Gesetze erlassen, die das Justizsystem verändert haben. Teilweise sind richtig drastische Einschnitte dabei. Jüngst hat ein deutsches Gericht die Auslieferung eines Angeklagten nach Polen abgelehnt, da ihm dort kein faires Verfahren mehr ermöglicht wird.

Leider hat sich inzwischen ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt, auch bei der EU in Brüssel. Inzwischen ist allerdings ein Punkt erreicht, an dem niemand mehr leise bleiben kann, wenn ihm etwas an der Europäischen Union liegt. Die jüngste Reform, nach der polnisches Recht höher bewertet wird als europäisches, bedeutet nichts anderes als eine Aushebelung des Europarechts. Die PiS-Regierung will damit den letzten rechtsstaatlichen Faden zur Europäischen Union durchschneiden. Deshalb ist jetzt der Moment gekommen, an dem wir laut sein müssen.

Woran machen Sie diesen „Gewöhnungseffekt“ in Brüssel fest?

Wenn wir beim aktuellen Fall Polen bleiben, fand ich es schon erstaunlich, dass zunächst kaum jemandem die Dimension der geplanten Gesetzesänderungen bewusst gewesen ist. Sie wurden einfach als eine von vielen Provokationen der PiS Regierung angesehen. Jedoch: Diese vielen kleinen sogenannten Reformen fügen sich am Ende wie ein Mosaik zu einem großen Ganzen zusammen: der Abschaffung des Rechtsstaates.

Was würde es bedeuten, wenn sich die EU das aktuelle Vorgehen Polens gefallen lässt?

In Artikel zwei des EU-Vertrags stehen ganz klar die Werte, die die Europäische Union ausmachen. Dazu gehört selbstverständlich die Unabhängigkeit der Justiz. Wer das nicht beachtet, steht nicht mehr auf dem Boden der europäischen Verträge. 2020 wird für den polnischen Rechtsstaat und das Verhältnis des Landes zur EU ein entscheidendes Jahr. Im Mai steht die Präsidentschaftswahl an. Auch sie wird über den künftigen Kurs des Landes entscheiden.

Der derzeitige Präsident Duda hat im Februar ein Gesetz unterzeichnet, das Richter „disziplinieren“ soll – obwohl die EU-Kommission sogar einen Eilantrag beim Europäischen Gerichtshof gegen Polen gestellt hatte. Was bedeutet das jüngste Gesetz für die polnische Justiz?

Im Justizwesen muss die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter gewährleistet sein. Dieser Grundsatz wird mit dem Gesetz ausgehebelt. Das Gesetz soll missliebige Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mundtot machen. Ich war sehr froh, dass die EU-Kommission zuvor bereits einen Eilantrag gestellt hatte. Dieser Antrag bezog sich nicht auf das jüngste Gesetz, sondern nur auf eine ebenfalls von der PiS eingesetzte Disziplinarkammer für Richter. Auch beim jüngsten Gesetz sollte die EU-Kommission nun endlich tätig werden. Denn meine große Sorge ist, dass diejenigen Richterinnen und Richter, die den Rechtsstaat in Polen hochhalten, nun gar keine Chance mehr haben.

Sie haben mehrfach betont, mit Worten sei bei der PiS-Regierung nichts zu erreichen. Wie wollen Sie sie davon überzeugen, die Gesetze zurückzunehmen?

Bisher konnte nur der Europäische Gerichtshof die PiS-Regierung beim Stutzen des Rechtsstaats aufhalten. Seine Entscheidungen wurden bislang in Warschau immer befolgt. Wir brauchen aber deutlich mehr Instrumente, nicht nur im Umgang mit Polen. Wir planen deshalb auch Maßnahmen, mit denen Staaten, die gegen europäische Grundwerte verstoßen, finanziell sanktioniert werden können. Zurzeit wird verhandelt, wie ein passender Mechanismus aussehen könnte. Aus meiner Sicht ist der Weg über die Reduzierung finanzieller Zuwendungen der einzig erfolgversprechende.

Das heißt, wer europäische Recht verletzt, erhält weniger europäisches Geld. Wie schnell kann es da eine Einigung geben?

Zurzeit laufen die Verhandlungen im Europäischen Rat über den mittelfristigen Finanzrahmen der EU. Sie werden voraussichtlich unter der deutschen Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte abgeschlossen. Dort könnte solch ein Sanktionsmechanismus bereits verankert werden. Der letzte Vorschlag von Ratspräsident Michel stimmt mich jedoch wenig hoffnungsvoll, da er den Sanktionsmechanismus verwässert, indem einzelne Mitgliedstaaten wieder blockieren könnten. Wir im Parlament werden da weiter Druck machen, denn unsere Zustimmung zum Finanzrahmen ist am Ende nötig.

Unabhängig von den konkreten Fällen Polen und auch Ungarn setzen Sie sich schon seit längerem für ein sogenanntes Rechtsstaatsmonitoring ein. Wie soll das aussehen?

Das Rechtsstaatsmonitoring setzt deutlich früher an als mögliche finanzielle Sanktionen. Ich bin sehr dafür, die Rechtsstaatlichkeit aller Mitgliedsstaaten der EU regelmäßig zu kontrollieren, um im Zweifelsfall rechtzeitig gegensteuern zu können. In jedem Land gibt es Verbesserungsbedarf was die Rechtsstaatlichkeit angeht. Auch in Deutschland ist nicht alles perfekt. Damit kämen wir auch weg von der Opfererzählung, die sich u.a. Polen und Ungarn in den letzten Jahren zurechtgelegt haben. Wichtig ist, dass solch ein Monitoring nicht nur offizielle Statistiken einbezieht, sondern auch etwa die Freiheit der Medien oder das ungestörte Agieren der Zivilgesellschaft.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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