Katar: „Diese Fußball-WM hat natürlich eine politische Dimension“
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Am Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Wie groß ist Ihre Vorfreude?
Sie geht gegen Null.
Werden Sie sich Spiele anschauen?
Ich weiß es nicht. Ich habe aber keine besondere Lust darauf. Ich habe mir kein Spiel angemarkert. Früher wusste ich bei Fußball-Weltmeisterschaften genau, wann Deutschland spielt, und bin im Zweifel nachts dafür aufgestanden. Jetzt weiß ich es nicht. Es kann sein, dass ich mal reinknipse. Ich will daraus keine moralische Frage machen. Es ist so oder so ein absurdes Ereignis. Es fühlt sich falsch an und es ist falsch.
Was kann ein privater Boykott bewirken?
Das Desinteresse hat natürlich auch Auswirkungen auf Werbegelder. Das bringt die Unternehmen zum Nachdenken, die das letztendlich alles finanzieren. Ich rufe jetzt aber nicht zum organisierten Boykott auf. Die Zahlen sind sowieso überschaubar im Verhältnis zu dem, was sonst bei Fußball-Weltmeisterschaften so los ist.
CDU-Chef Friedrich Merz meinte in einem Interview, die WM sei keine politische Demonstrationsveranstaltung. Man solle sich auf den Sport konzentrieren.
Scheinbar ist Herr Merz in der menschenrechtspolitischen Debatte der 70er-Jahre stecken geblieben. Da hätte man das vielleicht noch vertreten können. Sport ist selbstverständlich politisch. Da können wir uns auf den Kopf stellen und dreimal sagen, dass er es nicht ist. Auch Herr Merz ist wahrscheinlich dafür, Russland gerade von bestimmten Veranstaltungen auszuschließen. Diese WM hat natürlich eine politische Dimension. Es ist ignorant gegenüber den leidenden Menschen, das abzustreiten.
In den vergangenen Wochen ist viel über Menschenrechtsverletzungen und die Situation der Gastarbeiter*innen berichtet worden. Bleibt der von Katar mit der WM erhoffte Imagegewinn aus?
Das kann schon sein. Das ist auch ein Ziel, mindestens das kaputt zu machen, was an Imagegewinn für eine Diktatur erkauft werden sollte. Katar versucht seit zwei Jahrzehnten, alles zu tun, um bestimmte Weltereignisse – auch die Handball-Weltmeisterschaft oder die Klimakonferenz – in das Land zu holen, um es in besserem Licht da stehen zu lassen, als es der Realität entspricht. Das wird durch so eine kritische, öffentliche Debatte natürlich konterkariert. Deswegen sind sie darüber sehr verärgert. Ich kann nur dazu ermuntern, die Debatte zu führen, um ihnen diesen Imagegewinn wirklich nicht zu ermöglichen.
Inwieweit kann die WM helfen, die Menschenrechtssituation im Land zu verbessern?
Da empfehle ich einen Blick auf die Sportereignisse der Vergangenheit. Ich kenne kein Beispiel, dass Sportereignisse die Menschenrechtslage verbessert haben. Das Thema Sport und Menschenrechte haben wir auch am Beispiel China diskutiert, vorher am Beispiel Russland. Für die Lage in Katar bringt die Debatte jetzt nichts, aber vielleicht dafür, in Zukunft souveräner und besser mit der Frage umgehen zu können, wie es sich mit Sport und Menschenrechten verhält. Deshalb darf die Debatte nicht beendet sein mit dieser WM.
Der katarische Botschafter hat Sie Anfang des Jahres öffentlich kritisiert. Gab es seitdem noch mal einen Austausch?
Ich fühle mich in guter Gesellschaft. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und Innenministerin Nancy Faeser wurden auch kritisiert. Es gab mal den Austausch mit dem katarischen Botschafter. Ich weiß aber nicht mehr, ob das vor dieser Aussage oder danach war. Ich beschäftige mich mit vielen Diktaturen und Autokratien in der Welt und kenne solche Reaktionen. Das Muster ist immer dasselbe. Es ist immer der Vorwurf von Doppelstandards, dass man sich nicht ordentlich informiert habe und nicht respektvoll mit dem Land umgehe. Deswegen kann ich das gut einordnen. Ich gehe immer respektvoll mit anderen Ländern um, auch mit ihren Botschaftern, aber ich rede auch Klartext. Zu Katar und dieser WM habe ich eine klare Meinung.
Würden Sie queeren Menschen davon abraten, nach Katar zu reisen?
Ich glaube, dass es keine konkreten Angriffe geben wird. Sie werden in Katar alles tun, um das zu verhindern. Aber auch nur deshalb, weil es diese kritische Debatte gibt und man genauer hinschaut. Ich weiß aber nicht, ob das alles ein Umfeld ist, bei dem irgendein Fan Spaß an der Veranstaltung hat.
Wie wichtig ist es, auch nach der WM auf Katar zu schauen?
Die Gefahr ist immer groß, dass dann, wenn der Fokus der internationalen Aufmerksamkeit weg ist, Menschenrechtsverletzungen eher noch zusätzlich ausgeübt werden. Deswegen ist es gut, wenn wir weiter hingucken. Das nehmen wir uns immer vor, aber das ist schwer in einer Welt, in der so multidimensionale Krisen und Menschenrechtsverletzungen stattfinden.
Sollten sportliche Großereignisse nur noch in demokratischen Staaten stattfinden?
Es gibt nicht die eine Faustformel, nach der man das entscheiden kann. Man braucht eine Form von Sensibilität, aber auch klare Richtlinien und Leitplanken bei den Sportverbänden. Dazu gehört die Menschenrechtslage in einem Land, aber auch die Frage, wie nachhaltig Sportstätten gebaut werden. Werden durch das Sportereignis zusätzlich Menschenrechtsverletzungen begangen, wie das in Russland oder China der Fall war? Ich erwarte eine andere Offenheit für solche Diskussionen bei den Sportverbänden. Ich sehe das in wirklich ehrlichen Ansätzen bei deutschen Sportorganisationen, aber bei FIFA und IOC leider nicht.
Sigmar Gabriel hat auf Twitter die „deutsche Arroganz gegenüber Katar“ kritisiert und Bezug genommen auf die kommende WM in Mexiko, wo es auch Menschenrechtsverletzungen gebe.
Mexiko ist ein Land, in dem es eine Sporttradition gibt und in dem es auch eine demokratisch gewählte Regierung gibt. Sie ist nicht perfekt. Es gibt dort viele schlimme Menschenrechtsverletzungen, die jedoch nicht durch die Regierung organisiert und verantwortet werden. Das ist der Unterschied zu China, Russland oder Katar. Dort werden von staatlicher Seite Menschenrechtsverletzungen organisiert und begangen. Es wäre gut, wenn jemand, der mal Außenminister der Bundesrepublik Deutschland war, diesen Unterschied sieht und auch benennt.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo