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Kanzler Kurz oder Rendi-Wagner? Die wichtigsten Antworten zur Österreich-Wahl

Nach dem Auseinanderbrechen der Koalition aus ÖVP und FPÖ wählt Österreich am 29. September einen neuen Nationalrat. Wird Sebastian Kurz erneut Kanzler? Warum profitiert die SPÖ nicht vom Skandal der Regierung? Antworten von Publizist Robert Misik
von Robert Misik · 12. September 2019
Er oder sie: Nach der Nationalratswahl am 29. September könnte Sebastian Kurz erneut österreichischer Kanzler werden – oder die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner.
Er oder sie: Nach der Nationalratswahl am 29. September könnte Sebastian Kurz erneut österreichischer Kanzler werden – oder die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner.

Etwas mehr als zwei Wochen sind es noch bis zu den vorgezogenen österreichischen Nationalratswahlen, die nach dem Bekanntwerden des Skandalvideos von Ibiza notwendig wurden. Zur Erinnerung: Bis dahin regierte eine Rechts-Ultrarechts-Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz und der FPÖ von Heinz-Christian Strache. Strache und sein Fraktionschef Johann Gudenus hatten in Ibiza einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte versprochen, ihr Aufträge zuzuschanzen, wenn sie die Auflagenstarke „Kronen-Zeitung“ kaufe. Strache trat daraufhin zurück, Sebastian Kurz löste die Koalition auf und wurde kurz danach selbst durch ein Misstrauensvotum aus dem Kanzleramt gewählt.

Seither regiert eine Übergangsregierung aus hohen Beamten. In den Umfragen liegt die konservative Volkspartei von Sebastian Kurz weit in Führung (31 bis 36 Prozent), die Sozialdemokratie ist abgeschlagen (20 bis 23 Prozent), die FPÖ erstaunlich stabil (19 bis 21 Prozent), die Grünen schaffen mit 10 bis 13 Prozent fest den Wiedereinzug und die liberalen Neos können auf bis zu zehn Prozent kommen. Das sind die wichtigsten Fragen, die sich im Zusammenhang mit den Nationalratswahlen stellen:

Wird Sebastian Kurz fix Wahlsieger und wieder Kanzler?

Alle Beobachter hatten immer vorausgesagt: Wenn die Rechts-Ultrarechtskoalition platzt, wird Kurz der FPÖ den schwarzen Peter zuschieben und massiv von ihr gewinnen. Auch wenn er letztlich die Verantwortung dafür trägt, dass er die Rechtsextremen in die Regierung geholt und wesentliche Teile ihrer Agenda sogar selbst übernommen hat, wird ihm das nicht schaden. Genauso hat sich das Szenario bisher auch entwickelt, wenngleich weniger massiv, als Kurz vielleicht erhoffte. Im Mai liebäugelten die Kurz-Leute wohl noch mit 38 bis 40 Prozent, aber davon sind sie jetzt weit entfernt.

Kurz hat im Wahlkampf viele Fehler gemacht, er ist weniger souverän als bisher, es kamen auch eine Reihe von Skandalen und fragwürdigen Finanzierungspraktiken seiner Partei ans Licht. Der einstige Strahlemann steht mit vielen Klecksern an seiner längst nicht mehr weißen Weste da. Er liegt zwar immer noch weit voran, aber es geht Monat für Monat in den Umfragen bergab für ihn. Das ist, bei bequemer Ausgangslage, dennoch ein psychologisches Problem, da sich Kurz erstmals in der Defensive fühlt und gegen Abwind kämpft. Bisher war er nur Aufwind gewohnt.

Wieso ist die FPÖ so erstaunlich stabil?

Zwei der wichtigsten Repräsentanten der FPÖ wurden nicht nur in  einer skandalösen, sondern auch äußerst peinlichen Situation gefilmt und mussten daraufhin panisch zurück treten. Viele Menschen hätten angenommen, dass sich eine solche Partei nicht mehr sehr bald erholt. Und nun liegt sie in den Umfragen mit 20 Prozent nur knapp sechs Prozentpunkte hinter ihrem letzten Wahlergebnis. Warum? Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Erstens: Strache und Gudenus sind sofort zurück getreten und die neue Parteiführung versucht den Eindruck zu erwecken, sie würde aufräumen. Zweitens: Die FPÖ ist die Partei der Wütenden, derer, für die „Gegen-Ausländer“ das primäre Wahlmotiv ist, aber auch die Partei derer, die die Elitenpolitik hassen. Sie halten sowieso alle Politiker für korrupt, da regt man sich über einen skandalösen Ausritt des eigenen Anführers weniger auf.

Drittens: diese Wütenden sind in den vergangenen zwanzig Jahren zu Stammwählern geworden, die ihrer Partei die Treue halten, auch wenn sie einen Besenstiel aufstellt. Viertens haben sich alle Parteien im Wahlkampf sofort gegeneinander verharkt, was es der FPÖ erlaubte, sich geschickt aus der Schusslinie zu stehlen. Fünftens: Was auf dem Video zu sehen ist, ist bekannt (und damit mit der Zeit auch uninteressant), wie das Ibiza-Video aber entstanden ist, ist aber bisher ungeklärt. Die FPÖ hat diese durchaus auch interessante Frage geschickt zum eigentlichen Thema im Ibiza-Kontext gemacht und sich nach und nach als Opfer einer Falle stilisiert. Sie setzt auf den Mitleids- und Solidarisierungseffekt. Aus all diesen Gründen konnte sich die FPÖ relativ schnell wieder fangen.

Wieso profitiert die SPÖ nicht vom Skandal der Regierung?

Sebastian Kurz hat die FPÖ zwar in die Regierung geholt, aber für viele Österreicher und Österreicherinnen ist er die unbestrittene Zentralfigur der Innenpolitik. Dass ihn eine parlamentarische Allianz aus SPÖ, FPÖ und einer Kleinpartei aus dem Kanzleramt kegelte, empfanden viele Wähler als übertrieben und zudem gab es Kurz die Möglichkeit, sich als Opfer zu präsentieren. Dennoch war das notwendig, um die Skandale seiner Regierung ans Licht zu bringen und ihm nicht auch noch einen Wahlkampf mit Kanzlerbonus und De-Fakto-Alleinregierung zu gönnen. Aber die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner stand plötzlich als diejenige da, die gemeinerweise den armen Sebastian Kurz stürzte. Das gab zu Beginn des Wahlkampfs einen Dämpfer. Aber das ist nicht die einzige Grund.

Die SPÖ hat in den vergangenen Jahren viele Turbulenzen erlebt und war auf Neuwahlen praktisch nicht vorbereitet. Pamela Rendi-Wagner, die Spitzenkandidatin, hatte die Parteiführung erst Ende vergangenen Jahres übernommen – nach heftigem Tohwabohu. Sie ist auch erst seit zwei Jahren Parteimitglied. Und ganz grundsätzlich hat die Sozialdemokratie die gleichen Probleme wie viele Schwesterparteien in Europa: Man weiß nicht mehr so genau, wofür sie steht, und zur einstigen Wählerbasis – den „einfachen Leuten“ – hat sie oft den Kontakt verloren. Rendi-Wagner, eine Spitzenmedizinerin, kämpft wie eine Löwin, ihrer Partei ein klares Profil zu geben. Sie hat es auch geschafft, die zerstrittene Partei in den vergangenen Monaten zu einen. Deswegen ist auch nicht ausgeschlossen, dass sie eine Aufholjagd schafft.

Wie wird es also ausgehen? Wer wird demnächst regieren?

Das ist viel weniger klar, als es heute scheint. Natürlich wird die Sozialdemokratie Sebastian Kurz kaum mehr Platz eins abnehmen können, aber das muss sie auch nicht. Wenn sich die SPÖ noch auf 25 Prozent hoch kämpft, die Grünen 13 Prozent erreichen und die Neos zehn, dann kann die Mandatsmehrheit für die Rechtsregierung von Sebastian Kurz weg sein. Dass dieses Ziel erreicht wird, ist nicht extrem wahrscheinlich, aber auch nicht völlig unrealistisch. Dann wäre Rendi-Wagner Kanzlerin. Wird dieses Wahlziel der Mitte-Links-Parteien verfehlt, bleibt Kurz Kanzler – die aus heutiger Sicht realistischere Möglichkeit.

Dann stellt sich die Frage, mit wem er regiert. Er könnte es noch einmal mit der FPÖ versuchen – das wäre für ihn aber ein großes Risiko. Die rechtsextreme Partei würde wieder einen Skandal nach dem anderen liefern, aber für einen zweiten gescheiterten Versuch mit der Ibiza-Partei würde wohl auch Kurz verantwortlich gemacht werden. Will er dieses Risiko vermeiden, kann er mit der SPÖ regieren. Wenn er ein unerwartet gutes Ergebnis holt (etwa 36 Prozent), könnte es auch mit den Grünen zu einer Parlamentsmehrheit reichen. All diese Regierungskonstellationen sind möglich und haben in den Chattering Classes der Wiener Politinsider ihre Fürsprecher.  

Autor*in
Robert Misik
ist Journalist und politischer Autor. Er lebt in Wien.
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