Kandidaten-Triell: Scholz, Baerbock und Laschet streiten über Europa
Ein Duell der Kanzlerkandidaten kennt Deutschland seit 1960, als die SPD mit Willy Brandt erstmals offiziell einen Kanzlerkandidaten als Herausforderer des amtierenden Regierungschefs nominierte. Doch nach 61 Jahren gibt es 2021 zum ersten Mal drei Kandidat*innen mit realistischen Chancen auf das Amt des Regierungschefs. Deshalb hatte sich das WDR-Fernsehen für ein so genanntes „Triell“ entschieden, ein Aufeinandertreffen der drei Kandierenden von SPD, CDU/CSU und Grünen.
Das Thema der ersten gemeinsamen Fernsehdebatte von Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock im Rahmen des WDR-Europaforums war – wenig überraschend – die Europapolitik. „Zum ersten Mal treffen die drei in einem Interview aufeinander und es wird spannend sein zu sehen, wie sie interagieren und sich voneinander abgrenzen, welche Positionen sie da vertreten“, so WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni. Zu Beginn ihrer Moderation erklärt sie: „Alle drei sind echte Europa-Fans.“ Ihr Ziel sei, herauszufinden, „wo sind die Unterschiede?“
Olaf Scholz: Mehr Geld für die Bundeswehr
Erstes Thema ist das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Die Mitgliedsstaaten des militärischen Bündnisses hatten sich vor Jahren geeinigt, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. Deutschland ist diesem Ziel mit rund 1,6 Prozent im letzten Jahr deutlich näher gekommen. Nicht zuletzt wegen einer soliden Finanzpolitik, wie SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz selbstbewusst betont. Die Bundesregierung habe das Ziel „pragmatisch gehandhabt“ erklärt er, man werde hier weiter „Stück für Stück vorangehen“. Es sei „richtig“, der Bundeswehr mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock will dagegen „ein neues Kapitel“ in den transatlantischen Beziehungen aufschlagen. Sie möchte den USA die Finanzierung eines Cyberabwehr-Zentrums durch die Europäer*innen anbieten, zum Zwei-Prozent-Ziel will sie sich direkt nicht äußern. Europa müsse „sich mehr um die eigene Sicherheit kümmern“, sagt sie. Wie genau das geschehen soll, das müsse man „erstmal analysieren“.
Laschet kritisiert Baerbock: „absolut falsch“
„Es wird darum herum geredet“, hält ihr prompt Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet entgegen. Das gemeinsam vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel einseitig aufzukündigen, wie von den Grünen gefordert, sei ein nationaler Alleingang, der „absolut falsch“ sei. Zusagen müssten eingehalten werden, fordert Laschet. Doch die Frage der Moderatorin, wie er als Kanzler das Ganze finanzieren möchte, beantwortet der CDU-Vorsitzende nicht.
Das nächste Thema ist die europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Olaf Scholz fordert, die EU müsse „wegkommen vom Einstimmigkeitsprinzip“. Nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Finanzpolitik. Es werde zwar schwierig, das Mehrheitsprinzip durchzusetzen, aber Scholz zeigt sich optimistisch. Schließlich sei es ihm auch gelungen, den 750 Milliarden Euro starken europäischen Corona-Wiederaufbaufonds gegen große Widerstände durchzusetzen.
Annalena Baerbock möchte in allen Politikbereichen der EU zum Mehrheitsprinzip kommen. Dann müsste es eben auch hingenommen werden, wenn Deutschland überstimmt werde. Das müsse dann aber auch für die Beschaffung einer europäischen Drohne gelten, hält ihr Armin Laschet entgegen. Da müsse dann auch Deutschland ja sagen, fordert er. Die grüne Kandidatin reagiert auf diesen Einwurf nicht.
Als die europäische Verteidigungspolitik thematisiert wird, fordert Baerbock „partnership in leadership“, also eine Partnerschaft in der Führung, in den transatlantischen Beziehungen. Europa müsse „weltpolitikfähig“ sein. Zugleich verlangt sie den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland. Die Moderatorin hält ihr die Sicherheitsinteressen der Osteuropäer entgegen, die einen solchen Schritt mit Sorge sehen würden. Baerbock möchte „darüber sprechen“ mit den „baltischen und polnischen Freunden“.
Heißes Eisen Nord Stream 2
Schließlich wird mit der Erdgaspipeline Nord Stream 2 ein aktuell besonders heißes Eisen der europäischen Politik aufgerufen. Olaf Scholz antwortet auf die Frage, ob er trotz der amerikanischen Widerstände an der Pipeline festhalte mit einem klaren „Ja“. Sie solle fertig gestellt werden, da sie einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit Deutschlands leiste. Gleichzeitig werde Berlin die Sicherheitsinteressen der Ukraine und Osteuropas als „permanente Aufgabe“ immer im Blick haben. Ob der Verzicht der USA auf neue Sanktionen gegen Nord Stream 2 das Ergebnis seiner Bemühungen in Washington sei, will die Moderatorin wissen. „Wir haben uns alle bemüht“, antwortet Scholz diplomatisch und bescheiden.
Armin Laschet stimmt Olaf Scholz bei Nord Strema 2 in allen Punkten zu. „Ich stehe zu dem Projekt und halte es für richtig“, betont er. Auch die Berücksichtigung der ukrainischen Interessen begrüsst der CDU-Mann nachdrücklich. Der Verzicht der USA auf neue Sanktionen gegen das Projekt sei „eine große Geste von Präsident Biden“.
Baerbock wird doppelt korrigiert
Annalena Baerbock dagegen kritisiert das Pipeline-Projekt. Die Ukraine sei „nicht gesichert“, Deutschland habe sich mit Nord Stream 2 in ganz Europa isoliert. „Das stimmt nicht, Frau Baerbock“, interveniert da Armin Laschet. „Sie wissen auch, dass das nicht stimmt.“ Die Moderatorin korrigiert ebenfalls die grüne Kandidatin: „Nicht alle EU-Länder sind gegen Nord Stream 2“, stellt sie klar. Annalena Baerbock nimmt auch das zur Kenntnis – und schweigt.