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Justin Trudeau: Kanadas feministischer Premierminister

„Because it’s 2015“ – so simpel kann Gleichberechtigung sein.
von · 23. November 2015

Bisher kannte ich aus Kanada nur einen Justin und mit dem konnte ich nicht viel anfangen. Jetzt aber hat ein neuer Justin die internationale Bühne betreten, und der macht weder (für meine Ohren) so semi-tolle Musik, noch lässt er sich mit blankem Hintern fotografieren (sorry, Justin Bieber). Nein, der Liberale Justin Trudeau (43) ist angetreten, als neuer kanadischer Premierminister sein Land ein bisschen besser zu machen – und vor allem: gleichberechtigter!

Jede Menge Revolutionen

Vor zwei Wochen präsentierte Trudeau seine Regierung und ein Raunen ging um die Welt: Trudeau hat nämlich sein Wahlkampfversprechen gehalten und sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzt. 15 der 30 Minister sind weiblich! (Schnitt auf Angela Merkel, die missmutig von Sigmar Gabriel zu Horst Seehofer schaut und sich fragt, was in ihrer eigenen Regierung eigentlich schief gelaufen ist). Auf die Frage von Journalisten, warum die Anwesenheit von Frauen in seiner Regierung ihm so wichtig sei, antwortete Trudeau schlicht: „Because it’s 2015“. Und damit der Revolutionen nicht genug: Das Familienministerium wird von einem Mann geleitet, nämlich Jean-Yves Duclos – in Deutschland dürfen sich bekanntlich nur Frauen um dieses „Gedöns“ kümmern (O-Ton Gerhard Schröder). Justizministerin Jody Wilson-Raybould stammt von den Kwakwaakaa’wakw ab und ist die erste indigene Ministerin in Kanada überhaupt. Die Ministerin für demokratische Institutionen, Maryam Monsef, ist im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie aus Afghanistan geflohen. Kent Hehr, der Minister für Veteranen, wurde bei einer Schießerei verletzt, ist seitdem querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Verteidigungsminister Harjit Singh Sajjan ist Offizier und Sikh, und er trägt einen Turban. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Kanadier und Kanadierinnen sich diese Regierung anschauen und denken: Endlich mal Politiker, die aussehen wie wir.

Mit der Ernennung dieser bunten, vielfältigen und im Schnitt jungen Regierung, hat die Trudeaumania ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht – aber so manches feministische Herz dürfte auch davor schon höher geschlagen haben. In einer Welt, wo viele Menschen angesichts des F-Worts erschrocken zusammenzucken, erklärte Trudeau mal eben: „Ich bin stolz, ein Feminist zu sein.“ Das hat er seinem Papa zu verdanken, Kanadas All-time-favorite-Premierminister Pierre Trudeau. Der, so Trudeau Junior, sei zwar eine andere Generation gewesen, aber „er hat mich dazu erzogen, die Rechte aller zu respektieren und zu verteidigen.“

Bunte Mannschaft, fortschrittliche Ansichten, wenig Erfahrung

Pierre Trudeau trat sein Amt 1968 als Junggeselle an, bevor er 1971 die erst 22-jährige Margaret Sinclair heiratete (Trudeau war damals schon in seinen 50ern). Margaret war ein echtes Blumenkind und trieb sich mit Mick Jagger im berühmt-berüchtigten New Yorker Studio 54 herum. Die Medien fanden das unglaublich spannend, Trudeau eher nicht so der Rede wert. Als er 1977 zu dem Ausflug seiner Frau mit Jagger befragt wurde, zuckte er nur mit den Achseln: „Also, eine Frau geht zu einem Rock-Konzert und dann besucht sie in New York ein paar Freunde und fotografiert ein bisschen. … Wenn sie mich dadurch ein paar Wählerstimmen kostet… tja, dann wäre das blöd, aber ich würde nichts dagegen unternehmen wollen.“ Bäm. Margaret selbst allerdings kämpfte mit ihrer Rolle als First Lady Kanadas und litt unter einer bipolaren Störung – die Ausflüge mit Jagger & Co waren also weniger tolle Party-Trips als vielmehr Fluchtversuche. 1984 ließen sich Pierre und Margaret Trudeau scheiden. Heute ist die ehemalige First Lady eine bekannte Fürsprecherin von Menschen mit bipolaren Störungen.

Auf Trudeau Senior, den „Vater des modernen Kanadas“ folgten bekanntlich viele Jahre konservativer Regierungen – und so richtig kann der nun abgewählte Stephen Harper es immer noch nicht fassen, dass da dieser Politiker-Spross mit seiner bunten Mannschaft, seinen fortschrittlichen Ansichten und seiner kaum vorhandenen Erfahrung kommt, und ihm den Posten wegnimmt. Mit der Ernennung seiner Minister und Ministerinnen hat Justin Trudeau gezeigt, dass es ihm ernst ist damit, Kanada nachhaltig zu verändern. Aber die Erwartungen sind riesig und viele nehmen Trudeau Junior immer noch nicht so richtig ernst. Ein Blick auf Justin Trudeaus Agenda zeigt jedoch: Ernst nehmen sollte man diesen ehemaligen Snowboard-Lehrer, Nachtklub-Türsteher und Gelegenheits-Schauspieler! Denn der Mann hat in Sachen Gleichberechtigung eine klare Haltung und plant, dementsprechend zu handeln.

Trudeaus feministische Agenda

Erstens: Justin Trudeau ist für den legalen Zugang zu Abtreibungen. Das mag uns in Deutschland nicht besonders revolutionär vorkommen, in Nordamerika ist es das aber. Dort ist die Anti-Abtreibungs-Lobby gut organisiert und sie setzt alles daran, Frauen den Zugang zu (legalen!) Abtreibungen möglichst schwer zu machen. Trudeau findet: „Es ist nicht an der Regierung, Gesetze darüber zu erlassen, was eine Frau mit ihrem Körper macht.“ Während des Wahlkampfes wurde Trudeaus Partei von Abtreibungsgegnern attackiert, die tote Föten auf Flyer druckten und behaupteten, Trudeau unterstützte Abtreibung bis zur Geburt – was natürlich Blödsinn ist.

Zweitens: Der kanadische Premier will sich verstärkt um die Aufklärung von Morden und Entführungen indigener Frauen und Mädchen kümmern. Indigene Frauen mache nur 4,3 Prozent der Bevölkerung aus, aber 16 Prozent der Morddelikte. Dafür plant Trudeau, in den nächsten vier Jahren 2,6 Milliarden $ in die Bildung der indigenen Bevölkerung zu investieren.

Drittens: Unter Trudeau will die Regierung die Elternzeit von 17 auf 18 Monate verlängern, inklusive mehr Flexibilität für die Eltern.

Viertens: Trudeau ist Feminist! Ach ja, das hatte ich schon erwähnt… Aber ernsthaft, Trudeau weiß, was Gamergate ist und wenig überraschend findet er sexistische Videospiele(r) ziemlich uncool. Er kämpft außerdem entschieden gegen Islamophobie – sein Vorgänger Stephen Harper hätte am liebsten den Niqab, einen islamischen Gesichtsschleier, verboten und sprach gerne mal von „barbarischer Kultur“, wenn es um den Islam ging.

All das lässt hoffen. Allerdings: Kanada wird nicht von heute auf morgen progressiver und gleichberechtigter, das Vermächtnis der Konservativen löst sich nicht einfach – puff! – in Luft auf. Ob Justin Trudeau ein guter Premier ist, der seine Versprechen hält, wird sich erst in ein paar Monaten zeigen. Bis dahin habe ich überhaupt kein Problem damit, mich einfach über die Power dieses jungen, feministischen Politikers zu freuen.

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