International

Junge Menschen in Deutschland, USA und Russland: Was der 8. Mai für sie bedeutet

Heute vor 75 Jahren war der Zweite Weltkrieg in Europa vorbei. Doch welche Bedeutung hat das heute für junge Menschen in den Ländern, die sich damals verfeindet gegenüber standen? Wir haben nachgefragt.
von Jonas Jordan · 7. Mai 2020
Valeriia Lazareva ist Studentin in Moskau.
Valeriia Lazareva ist Studentin in Moskau.

Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Niederlage für das nationalsozialistische Deutschland, er war zugleich ein Tag der Befreiung für alle, die unter den Nationalsozialist*innen litten, und er war zuletzt ein Tag des Sieges für die Streitkräfte aus Großbritannien, Frankreich, den USA und der Sowejtunion. Für die Nachkriegsgeneration waren Krieg, Leid und Entbehrung prägend. Doch welche Bedeutung hat der Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges heute für junge Menschen in Deutschland, Russland und den USA. Welche Rolle spielt der Frieden für sie? Der „vorwärts“ hat nachgefragt.

„Wir sind einfach Menschen, die friedlich leben wollen“

Valeriia Lazareva studiert in Moskau an der Higher School of Economics. „Hier hat der Tag des Sieges eine große Bedeutung und für mich persönlich ist dieses Ereignis auch im Sinne der Erinnerung sehr wichtig“, sagt sie über das Gedenken an das Kriegsende in Russland. Leider sei dieser Tag für viele Menschen in Russland nur „der Tag der Losungen und der Waffen". Lazareva sagt dazu: „Mir gefällt diese Idee gar nicht, weil ich der Meinung bin, dass wir nicht auf den Krieg, sondern auf den Frieden stolz sein sollten. Wenn ich Kinder hätte, würde ich keine militärischen Kostüme oder Spielwaffen für sie kaufen. Ich würde den Kindern erzählen, dass jeder Krieg immer nur Tode und Leiden bedeutet.“ Sie fordert: „Bei aller Erinnerung sollten wir nicht vergessen, dass wir alle gleich sind. Wir sind einfach Menschen, die friedlich leben wollen.“

Lauren Schwartz ist im mittleren Westen der USA aufgewachsen. Sie erinnert sich an den ersten Flug ihres Lebens, in einer C-47, einem amerikanischen Transportflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Wissen über den Zweiten Weltkrieg weckte in ihr die Neugier an den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. „Wie haben sich Deutschland und Europa erholt? Was haben die USA getan, um Europa und Deutschland wiederaufzubauen? Für mich ist nicht nur der Frieden zwischen Deutschland und den USA wichtig. Es ist die umfassende Darstellung der Beziehung zwischen diesen Ländern und ihren multikulturellen Gesellschaften, wie unsere beiden förderalen Republiken miteinander verflochten sind, sich aber auch in Bezug auf Geschichte, Kultur und Politik voneinander unterscheiden“, sagt sie.

Prägende Aufenthalte, ermöglicht durch Frieden und Freundschaft

Diese Neugierde führte dazu, dass Schwartz „prägende Aufenthalte“ in Deutschland verbrachte und dort Freundschaften aufbaute, ermöglicht durch Frieden und eine enge transatlantische Partnerschaft. „Dabei entdeckte ich Dinge über die Vereinigten Staaten, an die ich seit meiner Kindheit im Mittleren Westen nie gedacht hatte. Es ist das Fundament meiner täglichen Arbeit in Washington und wird der intellektuelle und berufliche Schwerpunkt meiner Zukunft sein“, berichtet Schwarz, die in Washington für die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet.

75 Jahre nach Kriegsende sind wir den Alliierten dankbar, die ihr Leben gegeben haben für die Beendingung der NS-Herrschaft, nachdem Deutschland so viele Menschen ins Elend gestürzt hat“, sagt Michelle Rauschkolb. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der Jusos und vertritt die Jugendorganisation der SPD auch als Vizepräsidentin der Young European Socialists (YES). Wie Frieden fühle es sich für Rauschkolb dennoch nicht an, weil mit dem 8. Mai 1945 faschistisches Gedankengut nicht aus der deutschen Gesellschaft verschwunden sei.

Das zeige sich aus ihrer Sicht, „wenn argumentiert wird, dass es die Sicherheit und den Frieden der Europäer*innen nur auf Kosten anderer Leben geben könnte, wenn Staaten bereit sind, mehr Geld in die Hand zu nehmen um Grenzschützer*innen zur Migrationsabwehr an den europäischen Außengrenzen auszubilden, als für Pflege- oder Lehrpersonal“.

„Frieden kann es nur geben, wenn wir dafür kämpfen, dass Solidarität sich als Grundpfeiler unserer Gesellschaft etabliert“

Es zeige sich außerdem, „wenn meine Freund*innen mit Migrationsgeschichte Angst haben müssen, sich abends draußen zu treffen oder wenn Hanau bisher immer nur die Endhaltestelle meiner S-Bahn war und nun einen weiteren Ort darstellt, bei dem statt von strukturellem Rassismus wieder von einem Einzeltäter die Rede ist. Wenn Rassismus tötet von Moria bis Hanau“. Frieden könne es nur geben, so Rauschkolb, „wenn wir erinnern und dafür kämpfen, dass Solidarität sich im Innern und nach Außen als Grundpfeiler unserer Gesellschaft etabliert“.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare