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Jesidische Frauen fliehen aus IS-Gefangenschaft

Die Terrormiliz Islamischer Staat entführt im Nordirak systematisch jesidische und christliche Frauen, misshandelt, verkauft und verheiratet sie. Fünf Schwestern gelang die Flucht aus den Klauen der Terroristen.
von Jörg Armbruster · 1. Oktober 2014
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Die Männer werden vor die Tür geschickt. Denn die Geschichte, die hier gleich erzählt wird, ist nichts für ihre Ohren. Im Raum sollen nur Frauen bleiben, außerdem die beiden Reporter, denen die fünf Schwestern von ihrem Leiden berichten werden: entführt vom IS, der Vater ermordet, die Mutter verschleppt, vermutlich versklavt und verkauft, sie selber wochenlang in Todesangst, von Vergewaltigern und Killern bedroht, zwei Tage vor diesem Gespräch geflohen. Jetzt dieses Treffen.

Jesiden verstehen sich als Ur-Kurden

In Lalisch findet es statt, in Räumen, die zu dieser wichtigsten Kultstätte der Jesiden gehören. Gleich nebenan beginnt die in die Berge von Lalisch hineingebaute heilige Höhlenwelt der Jesiden. Hier  fühlen sie sich  einigermaßen geborgen vor Verfolgern wie den IS-Extremisten, die Angehörige der jesidischen Minderheit am liebsten wie Vieh abschlachten, weil sie angeblich den Teufel anbeten. Die Jesiden selber verstehen sich als Ur-Kurden mit eigener Religion, in der ein Pfau und Engel wichtige Rollen spielen, besonders aber ein Gott, der von dem Gläubigen fordert, den eigenen Verstand zu nutzen.

Gegenseitige Hilfe ist Überlebenspflicht

Diese Verpflichtung zu selbstständigem Denken gehört sicherlich auch zur Überlebensstrategie der Jesiden, denn wie kaum eine andere religiöse Minderheit entgingen sie in ihrer langen Geschichte im Nordirak häufig genug nur knapp der Ausrottung. Sich gegenseitig zu helfen, ist eine weitere Überlebenspflicht, die auch in unserem langen Gespräch mit den fünf Schwestern immer wieder thematisiert wird.

Gerade mal 22 Jahre alt ist Dana (Name geändert), eine junge Frau mit sehr ernsten Augen. Mit leiser Stimme beantwortet sie die Frage, woher sie die Kraft genommen hat, ihre Geschwister über einen Monat vor den Übergriffen nach Sex gierender IS-Kämpfer zu schützen. „Nachdem Vater tot war und Mutter verschleppt, konnte ich nicht anders. Ich bin die Älteste“, lautet ihre einfache Antwort.

Anfang August, als die Banden des IS die jesidischen Dörfer am Fuß des Sindschar-Gebirges überfielen, gelang tausenden Jesiden die Flucht in die Berge. Nur wenige blieben zurück, unter ihnen die Familie der fünf Schwestern, die sofort von den Terrorkämpfern festgenommen und verschleppt wurden, Männer und Frauen getrennt. Schmuck, Gold, Geld und Handys haben die Milizionäre ihnen abgenommen. Sie hätten auch Messgeräte, mit denen sie versteckte Juwelen aufspüren könnten, drohten sie: „Wenn wir was finden, köpfen wir Euch!“

Mehr als 400 Männer aus einem Dorf verschleppt

Ihren Vater hatte sie das letzte Mal gesehen, als er abgeholt wurde zusammen mit anderen Männern aus dem Dorf. „Sie führten ihn um eine Hausecke. Dann hörte ich Schüsse. Da war mir alles klar.“ Allein in diesem Dorf wurden mehr als 400 Männer verschleppt und vermutlich ermordet.

Die schwarz Vermummten kamen wieder, diesmal waren die Frauen dran. „Zu den Wächtern gehörte auch ein Geschäftsbesitzer aus unserem Dorf, bei dem wir immer Waschmittel gekauft hatten. Ein Araber, ein Sunnit. Er hatte sich dem IS angeschlossen. Er befahl mir, meinen Schleier abzulegen und vor ihm auf- und abzugehen“, erzählt die Älteste der fünf Schwestern. „Meine Mutter beschimpfte ihn, ob er keine Ehre im Leib habe, ob er nicht selber Töchter hätte.“

Verheiratete Frauen werden Arbeitssklavinnen

Er sagte nichts, nur kurze Zeit später holten sie die Mutter ab – zusammen mit anderen verheirateten Frauen. Wohin sie gebracht wurden, weiß Dana nicht. Sie hat seitdem nichts mehr von ihrer Mutter gehört und fürchtet, dass sie als Arbeitssklavin verkauft wurde.

Damit waren die Schwestern auf sich gestellt. „Wir wurden nach Mossul gebracht, in ein großes Haus. Da waren schon andere Mädchen.“ Immer wieder kamen Männer, die die Mädchen anstarrten und nach einer Weile mit dem Finger auf ein oder zwei zeigten: „Mitkommen!“

„Wenn Mädchen zurückkamen, erzählten sie, was mit ihnen gemacht worden war.“ Dana stockt, kann es nicht aussprechen, schaut ihre Schwestern an. „Viele der Mädchen kamen gar nicht zurück.“ Was aus ihnen geworden ist, weiß Dana nicht.

IS-Kämpfer: „Ich werde dich heiraten“

Auch sie und ihre Schwestern sind dran. „Mitkommen!“ oder „Ich werde dich heiraten!“ Die Kommandos der Kämpfer waren kurz und eindeutig. Sie, die hübschesten unter den Mädchen, sollten den Emiren, den Kommandeuren, zugeführt werden. Doch Dana gelingt es immer wieder, so erzählt sie zumindest, mit Ausreden das Schlimmste zu verhindern. Eine ihrer Schwestern sei blind, eine andere habe Rheuma, sie selber sei in Trauer. Die Terroristen hätten sich vertrösten lassen. Sie weint, als sie uns dies erzählt. Wir wissen nicht, wo die Wahrheit endet und die Flucht in eine sie schützende Legende beginnt.

Schließlich war einer der Kommandeure die Ausreden satt, er verkündete: „Ich werde dich heiraten. Wenn du dich weigerst, dann verkaufe ich deine Schwestern an die IS-Kämpfer in Syrien. Du hast die Wahl.“ Es bleibt Dana nichts anderes übrig, sie muss einverstanden sein, bittet aber noch einmal um Aufschub. 23 Tage sollen sie in Mosul in der Gewalt der IS-Terroristen gewesen sein, dann konnten sie irgendwie fliehen, alle fünf Schwestern zusammen.

Der jesidische Schriftsteller Pir Khidir S. Khalil, der die Geschichte der Schwestern kennt, sagte uns, er glaube sie nur zum Teil. Sie sei vermutlich viel schlimmer gewesen, als die jungen Frauen sich eingestehen und uns erzählen könnten.

Lichtblick im entmenschlichten Nordirak

Auch die kurdische Frauenrechtlerin Suzan Aref kann sich nur schwer vorstellen, dass die fünf Schwestern so viel Glück im Unglück hatten. Mehr als 5000 yezidische und christliche Frauen seien seit August von IS-Milizionären verschleppt worden. Vergewaltigt, verkauft, versklavt, die hübschesten für die Kommandanten, christliche Jungfrauen erzielten Höchstpreise. Die Käufer? IS-Kämpfer, Familienväter, Bauern, selbst Saudis und Pakistani werden  immer wieder genannt. Immerhin hätten sunnitische Stammesführer 47 Frauen gekauft und sie an ihre Familien zurückgegeben. Ein kleiner Lichtblick im entmenschlichten Nordirak. Die irakische Regierung hingegen tue nichts für die entführten Frauen, sagt Suzan Aref: „Das hat für die keine Priorität.“

Auch Vian da Khil, die einzige jesidische Abgeordnete im nationalen Parlament in Bagdad, klagt, Regierung und Parlament täten nichts, um den Frauen zu helfen. Sie scheint die einzige Politikerin im ganzen Irak zu sein, die sich um die verschleppten Frauen kümmert. Am 12. August war sie beim Versuch, Jesiden im Sindschar-Gebirge zu retten, mit dem Hubschrauber abgestürzt. Momentan kann sie nur mit der Hilfe von Krücken gehen.

Vian da Khil hatte sogar über Mobiltelefon immer wieder Kontakt zu entführten Frauen. „Sie haben meine Nummer, und wenn sie noch ihr Telefon haben, dann rufen sie an. Es sind alles  verzweifelte Hilferufe.“ Vielleicht erlauben die Aufpasser des IS absichtlich diese Anrufe, um die Angst und Verzweiflung der Frauen zu verbreiten, so wie sie ihren Terror über das Internet öffentlich machen.

 

 

 

 

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Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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