„Jeden Tag stirbt die Ukraine ein bisschen mehr“
Die gefangenen OSZE-Beobachter sind am Samstag frei gekommen. Es ist die einzige gute Nachricht aus der Ukraine. Ein Brandanschlag in Odessa mit mehr als 40 Toten lässt Befürchtungen weiter wachsen, dass das Land im Bürgerkrieg versinkt.
Acht Tage waren sie in der Ostukraine in Geiselhaft: Acht OSZE-Militärbeobachter und fünf ukrainische Soldaten. Nach anstrengenden und mühsamen Verhandlungen sind sie freigekommen mit Hilfe der OSZE und Russlands.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, er wolle sich ganz besonders und herzlich für den persönlichen Einsatz von Wladimir Lukin bedanken, den Präsident Wladimir Putin als Unterhändler in die Ukraine geschickt hatte. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, meinte: „Ich bin natürlich erleichtert über die Freilassung der OSZE-Beobachter und ihrer ukrainischen Begleiter aus der Gefangenschaft.“
Das ist die einzige gute Nachricht aus der Ukraine in den vergangenen drei Tagen, denn im Osten des Landes kämpfen ukrainische Militäreinheiten weiterhin gegen die pro-russischen Separatisten. Im Zentrum der Hafenstadt Odessa sind im Gewerkschaftshaus mehr als 40 pro-russische Aktivisten bei lebendigem Leib verbrannt.
Partisanenkrieg angekündigt
Es ist eine Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes in einem Land, das mehr und mehr auseinander fällt. Gesprächspartner in Odessa fürchten einen Bürgerkrieg. Anhänger Russlands in der Stadt am Schwarzen Meer haben in russischen Nachrichtenagenturen einen Partisanenkrieg nach dem Brandschlag auf das Gewerkschaftshaus angekündigt.
Die Gewaltbereitschaft im ganzen Land ist extrem hoch, weshalb auch der deutsche Außenminister in einem Telefongespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow vor einer Welle der Gewalt warnte und nach der Tragödie in Odessa alle Seiten zur Besonnenheit aufrief. „Es kann ein Moment kommen, an dem sich das alles nicht mehr stoppen lässt.“ Rolf Mützenich verwies auf die große Geschichte der Hafenstadt und „vielleicht kann man aus dieser Geschichte der Stadt eine gewisse Hoffnung ziehen“. Sehr hoffnungsvoll klingt er nicht und sehr hoffnungsvoll ist die Lage auch nicht.
Russische Einheiten sind alarmiert
Nach einem Bericht der ukrainischen Tageszeitung „Segodna“, sie ist das auflagenstärkste Blatt im Land, sind die russischen Einheiten auf der Krim wegen der Ereignisse in Odessa und im Osten der Ukraine in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Wladimir Putins Sprecher, Dimitri Peskow, sagte in Moskau: „Für das Verbrechen in Odessa ist Kiew verantwortlich. Die Hände der Führung in Kiew stecken bis zum Ellenbogen im Blut.“
Wie es allerdings zu den dramatischen Ereignissen im Gewerkschaftshaus gekommen ist, lässt sich nach wie vor nicht zweifelsfrei feststellen. Die Bilder sind schrecklich genug: Flammen schlagen aus dem Haus. Menschen versuchen sich aus den Fenstern zu retten. Männer auf dem Platz davor, in Tarnanzügen, jubeln, schießen auf die Fassade, schleudern Brandsätze auf die pro-russischen Aktivisten, die aus dem Inferno fliehen wollen. Wieder einmal greifen die Sicherheitskräfte nicht ein. Der Polizeichef wurde entlassen. Die Übergangsregierung in Kiew will den Fall untersuchen. Viel Hoffnung wird in dieses Vorhaben nicht gesetzt. Hass und Furcht sind nach Angaben von Gesprächspartnern die vorherrschenden Gefühle: „Jeden Tag stirbt die Ukraine ein bisschen mehr.“
Und am 25. Mai sollen in der Ukraine Wahlen stattfinden. In dessen Osten ist Krieg, gegen Banden, auf die auch Russland seinen Einfluss verliert. Rolf Mützenich: „Grundsätzlich ist es immer richtig, dass Wahlen stattfinden. Nur, in dieser Situation einer Gewaltspirale, wie sollen da in bestimmten Teilen des Landes Wahlen durchgeführt werden, in denen sich teilweise kriminelle Elemente bewegen?“
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).