International

Janukowitsch ist geflohen – Timoschenko ist zurück

von Jörg Hafkemeyer · 23. Februar 2014

In der Ukraine haben sich die Ereignisse überschlagen. Präsident Janukowitsch ist abgesetzt.Nun soll eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden. Ob das funktionieren kann, ist fraglich.

Der vom Parlament in Kiew abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch ist auf der Flucht. Die in Charkow aus der Haft entlassene Julija Timoschenko ist in Kiew. Auf dem Maidan ist es friedlich. Die Menschen trauern mit Gottesdiensten um die 77 am Donnerstag von Scharfschützen erschossenen Demonstranten. Die Spezial- und Polizeieinheiten sind abgezogen. Zusammen mit der Armee haben sie sich von Janukowitsch abgewandt. Der wurde vom Parlament abgesetzt. Der Parlamentspräsident, die Außen-, Innen- und Verteidigungsminister ebenso. Die Abgeordneten beschlossen einstimmig, die Präsidentschaftswahlen auf den 25. Mai vorzuziehen.

Viktor Janukowitsch hatte versucht, sich zunächst in den Osten des Landes und dann nach Russland abzusetzen. Das ist offenbar misslungen. Sein genauer Aufenthaltsort ist nicht bekannt. In einem Interview mit dem russischen Fernsehen erkannte er nach wie vor die Beschlüsse des Parlaments in Kiew nicht an und sagte dann, er fühle sich im Osten und im Süden der Ukraine sicherer als in der Hauptstadt. In der haben sich an diesem Wochenende die Ereignisse überschlagen, ohne dass es – wie in den Tagen zuvor – erneut zu Gewalt gekommen ist. Die Situation ist unübersichtlich und kompliziert. Für den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist sie sogar „höchst fragil“.

Steinmeier wohl bald wieder in der Ukraine

Steinmeier wird voraussichtlich schon sehr bald wieder in die Ukraine reisen. Das hat mehrere Gründe: Sollte Julija Timoschenko eine wichtige und führende Rolle übernehmen, kann das die radikalen Kräfte stärken. Hinzu kommt: Die Oppositionsparteien sind sich denkbar uneinig. Ob sie zu einer gemeinsamen Linie kommen werden, ist sehr fraglich. Ihre Parteiführer Arzenij Jazenjuk, Oleh Tjahnybok und Vitali Klitschko sind bei den Protestierenden auf dem Maidan nicht unbedingt beliebt. Auch Julija Timoschenko wurde nur mit freundlichem Beifall und manchen Pfiffen empfangen. Schließlich wollen die Demonstranten unter der Führung des Maidan-Rats die Verhaftung und Bestrafung von Viktor Janukowitsch, des abgesetzten und aus der Ukraine geflüchteten Innenministers sowie des Generalstaatsanwaltes wegen des Einsatzes der Scharfschützen gegen sie.

Das Innenministerium hat sich unterdessen bei den Angehörigen der Opfer offiziell entschuldigt. Die Verbitterung und Wut sitzt bei ihnen tief. Seit dem Oktoberputsch der Kommunisten 1917 und dem Bürgerkrieg haben Ukrainer niemals mehr auf Ukrainer geschossen. Bis zu der vergangenen Woche. Es müsse daher eine Regierung der nationalen Versöhnung her, forderte der neue Parlamentssprecher Alexander Turtschinow. Diese Regierung unter einem bis kommenden Dienstag zu ernennenden neuen Premier wie einem Übergangspräsidenten müsse vor allem die östlichen und südlichen Provinzen mit „ins politische Boot“ bekommen. Denn dort wird die Legitimität des Parlaments in der Hauptstadt angezweifelt. Auf einer Zusammenkunft in Charkow von Vertretern regionaler Parlamente und Regierungen kritisierten die die „Destabilisierung der Regierung“ und die „Lähmung der Zentralmacht“. Die russlandfreundlichen Politiker halten das, was in Kiew geschehen ist, für eine „bewaffnete Machtübernahme“.

Das sehen die Oppositionsparteien und die Demonstranten in der Hauptstadt und auch in Lemberg natürlich ganz anders: Sie wollen das alte System und deren Repräsentanten loswerden. Zu ihnen gehört für sie auch Julija Timoschenko, die bereits angekündigt hat, bei den Präsidentschaftswahlen Ende Mai zu kandidieren. Sie sei eine Figur der Vergangenheit, sagen viele auf dem Platz. Und die Vergangenheit sei vorbei.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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