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Italien muss Garantien für Flüchtlingsfamilien abgeben

Flüchtlingsfamilien können aus anderen EU-Ländern nur dann nach Italien abgeschoben werden, wenn die dortigen Ämter ausdrücklich eine familiengerechte Unterbringung garantieren. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Mit Spannung wird nun die Reaktion der italienischen Behörden erwartet.
von Christian Rath · 5. November 2014
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Geklagt hatte die achtköpfige afghanische Familie Tarakhel. Der Vater hatte in den 90er-Jahren seine Heimat verlassen, anschließend lebte er mit seiner Frau und sechs Kindern fünfzehn Jahre im Iran. Die Familie kam im Sommer 2011 über die Türkei nach einer beschwerlichen Bootsfahrt in Italien an. Warum die Familie den Iran verließ, ist nicht bekannt. Nach der Dublin-Verordnung der EU müsste das Asylverfahren in Italien durchgeführt werden.

Zunächst wurde die Familie in einer italienischen Aufnahmeeinrichtung in Bari untergebracht. Für acht Personen standen dort aber nur zwei Matrazen zur Verfügung, auch die hygienischen Bedingungen waren miserabel. Weil die Eltern Angst um die Gesundheit ihrer Kinder im Alter von vier bis 16 Jahren hatten, verließen sie Italien und stellten einen Asylantrag in Österreich. Die österreichischen Behörden wollten die Familie nach Italien zurückschicken. Deswegen beantragten die Tarakhels zusätzlich in der Schweiz Asyl, erneut ohne Erfolg. Daraufhin hatte die Familie den Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte angerufen, welcher im Mai 2012 per Eil-Anordnung die Abschiebung vorerst aussetzte.

Italienische Aufnahmeeinrichtungen sind nicht zumutbar

Nun liegt das Straßburger Urteil vor. Darin wird betont, dass Flüchtlingsfamilien mit Kindern besonders verletzlich sind und besonderen Schutz benötigen. Die Schweiz darf Flüchtlingsfamilien deshalb nicht in die prekären Aufnahmebedingungen in Italien zurückschicken. Der Straßburger Gerichtshof stellte fest, dass viele Flüchtlinge in Italien gar keine Unterkunft bekommen oder nur in überfüllten Einrichtungen mit gesundheitsschädlichen Bedingungen einen Platz finden. Deswegen müssten italienische Behörden vor der Wiederaufnahme garantieren, dass eine kindgerechte Unterbringung gewährleistet ist und dass die Familie nicht auseinander gerissen wird.

Das Urteil gilt nicht nur für Flüchtlingsfamilien, die aus Italien weiter in die Schweiz gereist sind. Da die Schweiz am Dublin-System der EU teilnimmt, gelten hier keine Schweizer Besonderheiten. Es betrifft auch Familien, die aus Italien nach Deutschland oder in andere EU-Staaten weitergewandert sind.

Italien hat kein Interesse an Garantien

Mit Spannung wird nun erwartet, ob die italienischen Behörden im Falle der Familie Tarakhel und anderer Betroffener entsprechende Garantien abgibt. Italien hat eigentlich kein Interesse, Flüchtlinge zurückzunehmen. Vermutlich hat die schlechte Unterbringung von Flüchtlingen nicht nur mit Überforderung zu tun, sondern soll auch ein Anstoß sein, Italien zu verlassen. Allerdings ist Italien nach EU-Regeln zur Aufnahme verpflichtet und die EU-Partner werden entsprechenden Druck auf Italien ausüben. Sollten etwaige Garantien nicht eingehalten werden, hätte dies generell negative Effekte auf Italiens völkerrechtliche Glaubwürdigkeit.

Pro Asyl begrüßte das Straßburger Urteil, hielt es aber für unzureichend. "Wir fordern einen generellen Abschiebeschutz nach Italien", sagte Marei Pelzer, die Rechtsreferentin der Organisation. Ein inner-europäisches Abschiebeverbot gibt es bisher nur für Flüchtlinge, die aus Griechenland weiterwanderten. Hier hat der Straßburger Gerichtshof schon 2011 entschieden, dass eine Rückführung unzulässig ist, weil die Bedinungen in Griechenland unzumutbar seien.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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