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Israel: Warum die Arbeitspartei mit ihrer neuen Chefin im Aufwind ist

Seit Ende Januar ist Merav Michaeli neue Vorsitzende der Arbeitspartei in Israel. Seitdem befindet sich die Partei im Aufwind. Ein Grund dafür ist nach eigener Aussage Michaelis Hartnäckigkeit.
von Paul Pasch · 16. März 2021
Paul Pasch (l.) und Micky Drill vom FES-Büro in Israel gratulieren Merav Michaeli zur Wahl als Vorsitzende der Israelischen Arbeitspartei.
Paul Pasch (l.) und Micky Drill vom FES-Büro in Israel gratulieren Merav Michaeli zur Wahl als Vorsitzende der Israelischen Arbeitspartei.

Sie waren eine erfolgreiche Journalistin. Wieso sind Sie in die Politik gegangen?

In 20 von meinen 26 Jahren als Journalistin habe ich mich mit Nachdruck für Dinge eingesetzt, an die ich glaube. Ich war eine der Ersten, die eine öffentliche Kampagne gegen sexuelle Gewalt und für Gender-Gleichstellung ins Leben gerufen hat, um diese Themen ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Ich habe mich für die Rechte von Minderheiten und Beschäftigten eingesetzt und selbstverständlich auch für den Frieden. Ich habe die mir zur Verfügung stehende Plattform genutzt, um all diese Belange durch meine Veröffentlichungen voranzutreiben. Während meiner Zeit als Journalistin hat man mir oft angeboten, in die Politik zu gehen. Irgendwann ist es dann passiert. Als Politikerin engagiere ich mich nun für dieselben Dinge. Nur mit anderen Mitteln. Per Gesetzgebung. Durch Einflussnahme auf nationaler Ebene.

Seit Ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden hat die Arbeitspartei Aufwind bekommen. Was ist Ihr Geheimnis?

Das Geheimnis liegt in einem Wort. EMET. (das Akronym der Arbeitspartei, das auch das Wort ‚Wahrheit‘ bildet) Die Bürgerinnen und Bürger in Israel haben die Nase voll von immer neuen Wahlen, von leeren Versprechen der Politiker, für die der eigene Posten Vorrang vor dem öffentlichen Interesse hat. Ein Grund mag auch meine Hartnäckigkeit sein. Ich habe nicht aufgegeben. Alle waren sich sicher, dass die Partei tot ist und nicht wiederzubeleben sei. Ich war mir sicher, dass sich die Partei nicht nur retten lässt, sondern dass wir die Aufgabe haben – die Arbeitspartei wieder zu ihrem ursprünglichen Bestimmungszweck zurückzuführen, sie wieder zu einer Partei zu machen, die für ursprünglichen Zionismus steht, die an Israel als Heimstätte für das jüdische Volk und Gleichberechtigung glaubt, die für eine gerechte Gesellschaft, für Frieden ist und Alternative zu den zerstörerischen Einflüssen der Rechten unter Netanyahu und seinen Koalitionspartnern darstellt, die eine Gefahr für den Staat sind.

Ich bin die einzige Frau an der Spitze einer Partei. All die anderen Parteien werden von Männern geführt. Das wird auch eine Rolle spielen. Das hat viel zum neuen Image der Arbeitspartei als politisches Zuhause von Bürgerinnen und Bürgern beigetragen, denen die Wahrheit am Herzen liegt. Die Corona-Pandemie hat der Welt gezeigt, dass von Frauen geführte Staaten die Krise besser meistern. In Ländern wie Neuseeland, Taiwan oder Deutschland haben Premierministerinnen während der gesamten Krise mit ihren Bürgern in einem anderen, in einem seriöseren Ton gesprochen. Es waren wesentlich sachlichere, angenehmere, versöhnliche statt einschüchternde Stimmen. Sie haben zu den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe, mit einem enorm starkem Rückgrat gesprochen. Frauen in Führungspositionen sind Teil einer neuen internationalen Welle. Auch Israel geht in diese Richtung. In Israel wird die Arbeitspartei diesbezüglich tonangebend sein.

„Ein Friedensabkommen zwischen uns und den Palästinensern ist Israels oberstes Interesse“

Sie setzen den Weg von Itzhak Rabin fort. Das betonen Sie immer wieder. Was bedeutet das für die Arbeitspartei unter Ihrer Führung?

Ich bin Revisionistin. Durch und durch. Ich kann es auch einfacher ausdrücken. Ich sehe es als meine Pflicht an, das Mitte-Links-Lager in Israel wieder an die Regierung zu bringen, um den Weg für ein jüdisches und demokratisches Israel zu ebnen, dass sich den Grundsätzen der Unabhängigkeitserklärung verpflichtet fühlt. Meiner Meinung nach hat Itzhak Rabin während seiner Amtszeit den richtigen Weg eingeschlagen, um Israels jüdischen und demokratischen Charakter zu garantieren. Dieser Weg ist von einem fanatischen nationalistischen, jüdischen Attentäter jäh unterbrochen wurden. Ein Friedensabkommen zwischen uns und den Palästinensern ist Israels oberstes Interesse – ein Abkommen, das dem 100 Jahre währenden blutigen Konflikt in unserer Region ein Ende setzt. Darüber hinaus kann Israel ein echter Sozialstaat sein. Davon bin ich überzeugt. Mit Bürgerinnen und Bürgern, die gleichgestellt sind was Gesundheit, Bildung und Soziales angeht. Ein Staat mit Religions- und Glaubensfreiheit. Das ist Itzhak Rabins Weg gewesen. Ich bin stolz und zutiefst bewegt, an der Spitze der Partei zu stehen, die er einst angeführt hat und seinen Weg weiterzuverfolgen.

Als Feministin kämpfen Sie für Gender-Gerechtigkeit in der israelischen Gesellschaft. Was muss passieren, damit Ihre Vision Wirklichkeit wird?

Ich engagiere mich für Gender-Gleichstellung in allen Bereichen – auf dem Arbeitsmarkt, in der Armee, in der Familie, in puncto Sicherheit. Ich kämpfe für den Status von Frauen in Israel, ganz gleich welcher Religion oder Nationalität. Das habe ich früher getan, das mache ich noch immer.

Sämtliche Lebensbereiche müssen im Grunde neugestaltet werden. Sie müssen auf eine Welt mit Gleichstellung von Männern und Frauen zugeschnitten werden. Die meisten Gesetze wurden einst von gut situierten Männern gemacht. Diesen Blickwinkel spürt man bis heute. Wir müssen den wirtschaftlichen Wert von Hausarbeit und Kindererziehung neu berechnen, mehr Männer in Haus und Familie bringen, eine für Frauen sichere und karrierefreundlichere Arbeitswelt schaffen. Wir müssen sicherstellen, dass Frauen in der Politik gleichberechtigt vertreten sind. Wir müssen von einer Kultur der Konflikte zu einer Kultur der Konfliktlösung übergehen und zwar in sämtlichen Bereichen. Wir müssen Strukturen schaffen, die Eltern unterstützen, gewalttätige Männer rehabilitieren und Kinder vor Gewalt schützen. Unser Sozial-, Gesundheits- und Erziehungswesen muss sich ändern, um Gewalt zu erkennen, dagegen anzugehen und Sexualverbrechen zu verhindern.

Die Corona-Pandemie hat gesellschaftliche Unterschiede verschärft. Arme sind noch ärmer geworden. Mit welchen Maßnahmen will die Arbeitspartei soziale Gerechtigkeit fördern?

Die Arbeitspartei steht für einen fortschrittlichen Sozialstaat, für eine Wirtschaft, für die der Mensch nicht bloß Mittel, sondern Zweck ist. Die Arbeitspartei steht für qualitativ hohe und fortschrittliche öffentliche Dienstleistungen für alle. Wir wollen ein soziales Sicherheitsnetz, das Bürgerinnen und Bürger in schwierigen Zeit auffängt. Wir engagieren uns für soziale Dienstleistungen, die niemanden zurücklassen, für eine Arbeitswelt mit Lebensqualität, für ein ausgewogenes Verhältnis von Beruf und Familie. Wir stehen für eine Wirtschaft, die Selbstständigen und Geschäftsleuten ermöglicht, sich wirtschaftlich zu entfalten. Wir sind für Rechte von Arbeitnehmer*innen und soziale Gerechtigkeit. Deshalb werden wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen und zusammen mit Gewerkschaften und Arbeitgebervertretungen dafür sorgen, dass sich Menschen in der beruflichen Ausbildung oder einem flexiblen unbezahlten Urlaub befinden, der in das sich verändernde Corona-Zeitalter passt. Wir werden uns für den Ausbau des öffentlicher Sektors und der Angleichung von Standards an OECD-Durchschnittswerte in sämtlichen sozialen Berufen einsetzen – für Ärzt*innen, Krankenschwestern, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Lehrer*innen.

Seit Bidens Wahl zum US-Präsidenten gibt es Hoffnung auf Wiederbelebung des Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinenser*innen. Mit welchen Forderungen wird die Arbeitspartei die Zweistaatenlösung vorantreiben? Werden Sie Teil einer Koalition sein?

Die Arbeitspartei befürwortet eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Wir sind für die Zweistaatenlösung unter umfassender Einbeziehung regionaler Staaten. Die Abraham-Abkommen ermöglichen eine regionale Lösung mit enormen wirtschaftlichen Aufschwung für sämtliche Bürger*innen der Region. Unter meiner Führung wird die Arbeitspartei alles tun, um dies zu realisieren. Darüber hinaus unterstützt die Arbeitspartei unter meiner Führung auch die Erneuerung des Atomabkommens mit dem Iran bei Wahrung israelischer Sicherheitsinteressen.

Rabin hat die Notwendigkeit eines Abkommens mit den Palästinensern erkannt. Wenn wir Israel schützen wollen und uns auf die Bedrohung aus dem Iran konzentrieren wollen, brauchen wir eine Grenze zwischen uns und den Palästinensern. Auch wenn es sich nicht sofort um zwei Staaten handeln wird, ist ein solcher Schritt unerlässlich. Wir müssen alles daransetzen, um die Realisierung einer zukünftigen Lösung zu bewahren. Es wird eine Lösung geben. Da habe ich keinen Zweifel.

Autor*in
Paul Pasch
Paul Pasch

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Israel.

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