Ismail Ertug: Wie grüne Verkehrspolitik in Europa gelingen kann
Mathieu Cugnot / European Union 2019
Ismail Ertug kennt sich aus in Brüssel: Seit zehn Jahren ist er Mitglied des Europaparlaments. Der Amberger ist zum dritten Mal angetreten und hat es wieder geschafft. Sein Fachgebiet: Verkehr, als SPD-Politiker und Mitglied der europäischen Sozialdemokraten (S&D) im dafür zuständigen Ausschuss.
Ein Feld, in dem der Klimaschutz eine große Rolle spielt: „Mein Hauptziel ist es, die Dekarbonisierung des Verkehrssektors voranzutreiben, aber in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, damit wir starke Strukturbrüche im Arbeitsmarkt vermeiden“, erklärt der 43-Jährige Ertug. Mit Hilfe von welcher Technologie das gelingen soll, lässt der Sozialdemokrat bewusst offen - das Ziel ist aber klar: „Für alle betroffenen Verkehrsmodi ist eine technologieneutrale, aber strikte Emissionsgesetzgebung mit einem klaren Absenkungspfad bis 2050 notwendig.“ Aufgabe der Politik ist es aus seiner Sicht, Regeln zu schaffen, egal ob es thematisch dabei um Digitalisierung oder Automatisierung, Haftung, Datenschutz oder Sicherheit geht - die Politik dafür muss Rahmenbedingungen schaffen.
Eine nachhaltige Verkehrspolitik, die kosteneffizient und wirtschaftlich geregelt ist, liegt ihm am Herzen. Im Detail heißt das für ihn aber auch, dass die Wende auch innerhalb von Europa erwirtschaftet werden soll: „Ich werde mich weiterhin für eine europäische Batteriezellenindustrie einsetzen, damit die Wertschöpfungskette in Europa erhalten bleibt.“ Genug Arbeit also für die kommenden fünf Jahre.
So offen er den Weg in der Verkehrspolitik halten möchte, so klar ist seine Kante gegenüber den Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, die nach der Europawahl ins Parlament eingezogen sind: Europafeindliche Kräfte werde er, so gut wie möglich, weiterhin isolieren und demaskieren, „wann immer es geht.“
Europawahl und Bürgerinitiativen ab 16 Jahren
In Sachen Mitbestimmung und Partizipation sieht der Amberger deutlichen Nachholbedarf. Für ihn sind europäische Bürgerinitiativen eine gute Möglichkeit der politischen Beteiligung. Die Frist, um Unterschriften zu sammeln, sollte seiner Ansicht nach aber verlängert werden und das nötige Quorum gesenkt werden - also mehr Zeit und weniger notwendige Stimmen, damit sich die Europaparlamentarier mit Initiativen beschäftigen müssen.
„Viele werden sich noch an die erfolgreiche Bürgerinitiative „Wasser ist ein Menschenrecht!“ erinnern“, erklärt er anhand der Initiative „Right2Water“, die sich gegen die Privatisierung von Trinkwasser richtete. Gerade solche Initiativen gelte es zu stärken, meint Ertug. „Ich bin auch der Meinung, dass das Teilnahmealter genauso wie das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden sollte“, fordert er mit Blick auf eine Demokratisierung der Europäischen Union.
Ziviler Ungehorsam als Zeichen einer aktiven Zivilgesellschaft
„Ich rufe bei meinen regelmäßigen Schulbesuchen schon lange zu mehr zivilem Ungehorsam auf", erklärt Ertug weiter, „Wichtig ist, dass man sich für seine Rechte und Interessen einsetzt.“ Er wirbt dafür die Parlamentarier in Europa auf Probleme aufmerksam zu machen, den Druck über Petitionen, Kampagnen und Demonstrationen zu erhöhen. „Denn wir brauchen für einen dauerhaften Frieden und ein gutes Leben eine aktive, funktionierende Zivilgesellschaft in Europa.“
Ertug kann in diesem Jahr ein kleines Jubiläum feiern: Vor 20 Jahren trat der heute 43-Jährige der SPD bei, fünf Jahre später wurde er in den Stadtrat seiner bayrischen Heimatstadt Amberg gewählt. Mit einer Unterbrechung gehörte er dem Gremium bis 2017 an. Seit 2005 ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD Oberpfalz, seit 2009 Mitglied im Landersvorstand der BayernSPD und seit 2013 Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Amberg. Seine berufliche Karriere startete als Industriekaufmann, im Anschluss folgte eine Ausbildung zum Versicherungsangestellten - in der Branche arbeitete er einige Jahre als Berater, ergänzt durch ein Betriebswirtschaftliches Studium.
Im Europäischen Parlament ist er unter anderem als Abgeordneter der S&D-Fraktion Mitglied und Koordinator für den Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr, zusätzlich ist er Mitglied im Untersuchungsausschuss zu Emissionsmessungen der Automobilindustrie. Es ist bereits seine dritte Legislaturperiode: Ertug zog 2009 erstmals ins Europaparlament ein, schaffte zwei Mal den Wiedereinzug.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo