International

Informationskrieg in der Türkei

von Mirjam Schmitt · 6. März 2014

Gespräche über Korruption und Einflussnahme auf Justiz: Regelmäßig werden neue Telefonmitschnitte veröffentlicht, in denen angeblich Ministerpräsident Erdoğan zu hören ist. Kurz vor den Kommunalwahlen gerät die türkische Regierung erneut unter Druck.

Die Türken lieben Fernsehserien. Doch statt abends auf die neueste Folge ihrer Lieblingsserie zu warten, sitzen sie nun vor dem Computer und warten auf die Veröffentlichung neuer YouTube Videos. Unbekannte laden fast täglich neue Telefonmitschnitte hoch und verbreiten diese über Twitter. Meistens ist darauf die angebliche Stimme des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu hören, im Gespräch mit seinem Sohn oder wichtigen Personen aus Wirtschaft und Politik. Immer sollen diese Gespräche eins beweisen: Dass der türkische Ministerpräsident mitsamt seiner Familie und seinen Vertrauten bis zum Hals in Korruption steckt.

Vier Millionen Mal wurde inzwischen ein Video geklickt, dass Ende Februar veröffentlich wurde: Der angebliche Erdoğan telefoniert darin mit seinem  Sohn Bilal und fordert ihn dazu auf hohe  Summen Geld verschwinden zu lassen – von 30 Millionen Euro ist die Rede. Das Gespräch soll am 17. Dezember stattgefunden haben, dem Tag an dem die Korruptionsermittlungen unter anderem gegen Söhne von AKP-Ministern öffentlich wurden.

Die „Youtube-Schlager“ dieser Woche: Ein Anruf Erdoğans beim ehemaligen Justizminister Sadullah Ergin. Darin versucht Erdoğan Einfluss zu nehmen auf einen Gerichtsprozess gegen den Konzern Doğan. Der Doğan Media Group gehören unter anderem die als regierungskritisch geltenden Tageszeitungen Hürriyet und Radikal. In einem anderen Telefongespräch mit dem Industriellen Metin Kalkavan sorgt Erdoğan dafür, dass der Auftrag für den Bau von Kriegsschiffen neu vergeben wird.

Wie groß ist der Einfluss der Gülen-Bewegung?

Die Authentizität der letzten beiden Anrufe hat Erdoğan bestätigt. Er halte es für „natürlich“, den  Ablauf von Ermittlungen zu überprüfen.  Ob die anderen Telefonmitschnitte, auch das brisante Gespräch zwischen Erdoğan und seinem Sohn, echt sind, ist noch unklar. Der türkische Ministerpräsident behauptet, es handele es sich um Zusammenschnitte und einem „dreckigen Komplott“ gegen seine Regierung. Die Opposition dagegen geht davon aus, dass die Anrufe echt sind.

Wer hinter den Veröffentlichungen steckt – das ist die eine Millionen-Dollar Frage. Erdoğan macht die Gülen-Bewegung dafür verantwortlich. Die Bewegung um den Imam Fethullah Gülen hört seiner Meinung nach nicht nur sein Telefon illegal ab, sondern hat demnach auch die  Korruptionsermittlungen inszeniert, die am 17. Dezember öffentlich wurden. Vom „17.-Dezember-Putsch“ ist in regierungsnahen Zeitungen  die Rede. 

Die Telefonmitschnitte, sollten sie echt sein, sind bisher die einzige Möglichkeit überhaupt Informationen über mutmaßliche Korruption zu erhalten. Denn die Regierung hat die Ermittlungen im Keim erstickt. Tausende Polizisten wurden seit Dezember versetzt, sowie leitende Staatsanwälte. Die Verdächtigen wurden inzwischen aus der Untersuchungshaft entlassen.

Sollten die Veröffentlichungen authentisch sein, bedeutet das auch, dass Erdoğan ausspioniert wird und die  türkische Regierung sollte ein Interesse an Aufklärung haben. Wer hat wie und wann abgehört? Und wer hat Zugang zum Material? Ebenso müsste dringend geklärt werden, welchen Einfluss die Gülen-Bewegung tatsächlich auf staatliche Institutionen hat.

Live-Übertragung unterbrochen

Doch von einer sauberen Untersuchung nur einer der Aspekte kann keine Rede sein. Dass der türkische Ministerpräsident behauptet, es sei „natürlich“  Einfluss auf die Justiz zu nehmen zeigt, welches Verständnis er von Demokratie er hat. Ähnlich natürlich hat Erdoğan wiederholt die Zensur staatlicher Medien angeordnet.

Einfluss auf Medien und Justiz sind wichtige Bausteine für den Machterhalt des Ministerpräsidenten. Was sich in den letzten Monaten in der Türkei abspielt, ist auch ein Informationskrieg: Regierungskritische Zeitungen berichten über die Veröffentlichungen, regierungsnahe Zeitungen sprechen von Komplott und Verschwörung.  Das Fernsehen, wichtigstes Informationsmedium in der Türkei, wird weitestgehend von der Regierung kontrolliert. Das Ausmaß des Korruptionsskandals dürfte den wenigsten Türken bekannt sein. Als Oppositionschef Kemal Kiliçdaroğlu das angebliche Telefongespräch zwischen Erdoğan und seinem Sohn im Parlament abspielte, wurde kurzerhand die Live-Übertragung der Parlaments-Debatte unterbrochen.

Der türkische Ministerpräsident versucht derweil jede Regierungskritik im Keim zu ersticken: Das neue Internet-Gesetz ist inzwischen in Kraft und erleichtert Zensur. Demonstrationen werden sofort mit Tränengas aufgelöst, ein Mann, der auf einer Wahlkampf-Veranstaltung der AKP  ein Plakat mit der Aufschrift „Es gibt einen Dieb“ hochhielt. wurde festgenommen. In einem Video der türkischen Nachrichtenagentur DHA zeigt der Mann Blutergüsse am Körper, die nach seiner Aussage von der Misshandlung durch Polizeibeamte und Leibwächter Erdoğans stammen.

Inzwischen ist auch ein Gesetz in Kraft, das es der Regierung ermöglicht den „Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte“ stärker zu kontrollieren. Damit hat der Justizminister auch mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Die Kritik der EU hat die türkische Regierung damit ignoriert.

All´das hilft Erdoğan, seine Macht zu sichern und die Korruptionsvorwürfe unter den Teppich zu kehren. An einen Rücktritt, wie ihn die Opposition fordert, denkt er nicht. Sollte die AKP bei den  Kommunalwahlen am 30. März nicht erneut stärkste Kraft werden, sei er bereit sich aus der Politik zu verabschieden, sagte Erdoğan am Mittwoch.

Doch es ist so gut wie sicher, dass die Regierungspartei die Wahl in den meisten Regionen für sich entscheidet. Wahrscheinlich ist jedoch auch,  dass die Partei am 30. März Stimmen verlieren wird, eben jene Stimmen der Gülen-Anhänger. Wie viel Prozent das im Endeffekt ausmacht ist unklar, doch vielleicht wird es die AKP die Bürgermeisterposten in der Hauptstadt Ankara und dem symbolisch wichtigen Istanbul kosten. Sollte die Regierungspartei diese Städte verlieren, ist das ein Rückschlag für Erdoğan.

Der Machtkampf wird ohnehin weitergehen: Erdoğan kündigte an, nach der Wahl weiter gegen die Gülen-Bewegung vorzugehen, weitere Telefon-Leaks sind ebenfalls wahrscheinlich. Vermutlich sparen sich die Unbekannten den größten Coup noch auf.

Autor*in
Mirjam Schmitt

Mirjam Schmitt ist freie Autorin.

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