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Inflation in Tschechien: Viel Frust über die Regierung

Obwohl die Gasspeicher bereits zu 77 Prozent gefüllt sind, gibt es in Tschechien massive Kritik an der liberal-konservativen Regierung. Viele Bürger*innen werfen ihr Untätigkeit gegen die Inflation vor. Die Unzufriedenheit wächst.
von Urban Überschär · 9. August 2022
Ein Land in der Krise: Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala hofft auf die Solidarität Europas im Ringen um eine sichere Energieversorgung für sein Land – ohne russisches Gas.
Ein Land in der Krise: Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala hofft auf die Solidarität Europas im Ringen um eine sichere Energieversorgung für sein Land – ohne russisches Gas.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gibt es in Tschechien eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen. Zwischenzeitlich haben deutlich mehr als 400.000 Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht in der Tschechischen Republik gefunden – und das bei einer Gesamtbevölkerung von weniger als 11 Millionen Menschen. Bemerkenswert ist dieser Umstand vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Lebensbedingungen für viele Tschechen bereits vor dem Beginn des Kriegs spürbar verschlechtert hatten.

Inflation über 17,2 Prozent

Die Inflation hatte schon Ende des vergangenen Jahres stark zugenommen und liegt inzwischen bei 17,2 Prozent. Damit liegt die Inflationsrate den zwölften Monat in Folge im Plus und bleibt die höchste seit Dezember 1993. Dazu haben vor allem die gestiegenen Energiepreise beigetragen, aber auch Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs sind deutlich teurer geworden.

Für viele Menschen hat damit das Rechnen an der Supermarktkasse begonnen und ein Besuch im Restaurant ist zu einem Luxus geworden. Viele treibt zudem die Sorge um, ihre Strom- und Gasrechnungen im Herbst und Winter nicht mehr bezahlen zu können. In Tschechien haben zudem viele Energieunternehmen ihre Tarife bereits an die gestiegenen Einkaufspreise angepasst und an ihre Kunden weitergegeben, so dass die tatsächlichen Preiserhöhungen bereits sehr real im Geldbeutel der Menschen spürbar sind.

Regierung in Prag hält sich zurück

Die liberal-konservative Fünf-Parteien-Regierung hat gegen die steigenden Preise bislang wenig unternommen, um den Bürgerinnen und Bürgern zu helfen. Lediglich eine Einmalzahlung für Kinder in Höhe von 5 000 Kronen (circa 200 Euro) wurde im Juni beschlossen. Allerdings gilt diese Regelung nur für Familien, deren Brutto-Einkommen unter 40 000 Kronen (circa 1 600 Euro) im Jahr liegt.

Die Unzufriedenheit im Land hat daher in den vergangenen Wochen spürbar zugenommen. Politisch profitiert davon insbesondere der ehemalige Premierminister Andrej Babis mit seiner Partei ANO, der die Regierung vor sich hertreibt und schon seit Ausbruch des Kriegs Erleichterungen für die tschechische Bevölkerung fordert.

Nun doch Energiespartarif

Nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen öffentlichen Drucks hat die Regierung sich nun entschlossen, ab dem 1. Oktober einen sogenannten Energiespartarif einzuführen. Damit sollen Haushalte mit einem festen Betrag unterstützt werden, um ihre Energiekosten bezahlen zu können. Im Haushalt sind dafür insgesamt 30,5 Milliarden Kronen (circa 1,3 Milliarden Euro) eingeplant. Wie hoch die Zuschüsse pro Haushalt sein werden und wer überhaupt anspruchsberechtigt ist, steht allerdings noch nicht fest. Außerdem plant die Regierung eine Modernisierung der Heizkraftwerke, um zusätzlich Energie einzusparen. Dafür stehen weitere 10 Milliarden Kronen zur Verfügung.

Aktuell gehen zudem die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in die entscheidende Phase. Dazu muss man wissen, dass die Gehälter für diese Gruppe der Beschäftigten seit Anfang des Jahres aus Gründen der Haushaltskonsolidierung eingefroren sind. Insbesondere die Gewerkschaften fordern schon seit längerem eine deutliche Erhöhung der Gehälter und Löhne um 10 Prozent. Hier scheint sich eine Einigung mit dem zuständigen Arbeits- und Sozialminister abzuzeichnen. Offen ist derzeit aber noch die Frage, ab wann die Erhöhungen gelten sollen.

Ziel: Unabhängigkeit von Russlands Gas

Beim Thema Energiesicherheit ist die Regierung eigenen Angaben zufolge recht erfolgreich gewesen: Die Gasspeicher in Tschechien sind derzeit zu 77 Prozent gefüllt. Damit sei man laut Ministerpräsident Petr Fiala gut für den Winter gerüstet. Außerdem habe man sich jüngst mit den Niederlanden über weitere Flüssigerdgaslieferungen ab September verständigt. Auch mit Deutschland gibt es ein sogenanntes Solidaritätsabkommen, in dem sich beide Länder zusichern, dass man sich im Falle einer Energieknappheit gegenseitig unterstützen werde.

Der Premierminister hat zudem das Ziel ausgegeben, dass sich Tschechien innerhalb von fünf Jahren unabhängig von russischen fossilen Energien machen werde. Um dieses Ziel zu erreichen, wird Tschechien auf einen Energiemix setzen und auch verstärkt Atomkraft zur Stromproduktion einsetzen. Gleichzeitig sollen aber auch die Erneuerbaren Energien sukzessive weiter ausgebaut werden. Allerdings haben diese bislang nur einen Anteil von 15 Prozent an der Gesamtstromproduktion in Tschechien.

Kein Zugang zum Meer

Das Land befindet sich derzeit sicherlich in einer schwierigen Phase. Sollten die Preise weiter steigen und gleichzeitig die Hilfsmaßnahmen der Regierung als unzureichend empfunden werden, könnte es zu mehr Unzufriedenheit bis hin zu sozialen Protesten in der Bevölkerung kommen. Ein weiterer Nachteil besteht für Tschechien in punkto Energiesicherheit aufgrund seiner geografischen Lage. Da das Land keinen eigenen Zugang zum Meer besitzt, wird es auch in Bezug auf die Lieferung von Flüssigerdgas auf die Zusammenarbeit mit anderen Ländern wie zum Beispiel Deutschland angewiesen sein. Die erste Herausforderung zu lösen, ist Aufgabe der tschechischen Regierung, die zweite aber nicht zuletzt eine Frage der europäischen Solidarität.

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Urban Überschär

Urban Überschär leitet seit 2020 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag. Zuvor war er Büroleiter des FES-Landesbüros in Niedersachsen.

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