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Impfkampagne in Großbritannien: Johnson im Wettrennen gegen die EU

Großbritannien nutzte eine Notfallzulassung des Corona-Impfstoffs von Biontech, um möglichst schnell mit der Impfkampagne zu starten. Ein Vorsprung, der mit Risiken behaftet ist, aber von Boris Johnson gerne zur Rechtfertigung des Brexit genutzt wird.
von Christos Katsioulis · 12. Januar 2021
Wollte Corona „sportlich nehmen“ und eine Erkrankung von 80 Prozent der Bevölkerung zulassen: Premierminister Boris Johnson
Wollte Corona „sportlich nehmen“ und eine Erkrankung von 80 Prozent der Bevölkerung zulassen: Premierminister Boris Johnson

Beim Impfstoff ist das Vereinigte Königreich vorn dabei. Der Biontech-Impfstoff wurde schon Anfang Dezember freigegeben und das von AstraZeneca und der Oxford-Universität entwickelte Vakzin Anfang Januar. In einer zentral angelegten Impfkampagne sollen Risikogruppen baldmöglichst immunisiert werden. Dabei sind bereits substantielle Fortschritte erzielt worden. Bis zur ersten Januarwoche wurden mehr als eine Million Britinnen und Briten geimpft. Derzeit wird darüber nachgedacht, die zweite Impfung hinauszuzögern, um eine größere Zahl erreichen zu können. Bis Mitte Februar sollen etwa 14 Millionen Menschen aus den Hochrisikogruppen eine erste Spritze bekommen haben und so geschützt werden. Das ist dringend nötig, denn auch bei den Ansteckungszahlen, den Krankenhauspatient*innen und den Todesfällen ist das Vereinigte Königreich „vorn dabei“.

Dennoch ist der frühe Beginn der Impfung für die Regierung des pathologischen Optimisten Johnson ein Umstand, der nicht ungenutzt bleiben darf. „Das ist kein Wettrennen, aber ich sage nur, dass wir im Vereinigten Königreich schon mehr Menschen geimpft haben als ganz Europa zusammen.“ Diese Formulierung des Premierministers vom 3. Januar, die von vielen Tories verwendet wird, illustriert schön den Schnittpunkt von Brexit und der Covid-Krise. Deutlich grobschlächtiger war hier Bildungsminister Gavin Williamson, der die frühe Zulassung darauf zurückführte, dass man einfach die besseren Leute habe als Frankreich, Belgien oder die USA und schlicht ein besseres Land sei.

Notfallzulassung: Entscheidung mit Risiken

In der Realität stellt sich das ein wenig differenzierter dar. Die britische Entscheidung basierte auf europäischem Recht und machte lediglich Gebrauch von der Möglichkeit einer Notfallzulassung. Diese ist zwar schneller, bürdet dem zulassenden Staat allerdings Haftungsrisiken auf – ein Umstand, der in der Inselpresse eher selten auftaucht. Dafür nutzen Impfskeptiker*innen es für ihre Zwecke und versuchen, die aktuelle Situation zu ihren Gunsten zu nutzen. Dabei kommt ihnen zugute, dass die „Anti-Vaxxer“ im Vereinigten Königreich etwa 5 Millionen Follower in den sozialen Medien haben und auf einen langjährigen harten Kern von Impfskeptiker*innen bauen können. Ein prominenter Name in diesen Kreisen ist übrigens Corbyn, auch wenn es sich dabei nur um Piers Corbyn handelt, den befremdlichen Bruder des ehemaligen Labour Vorsitzenden Jeremy Corbyn.

Gleichzeitig mehren sich die Zweifel, ob die Regierung, die sich in der Covid-Krise bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat, in der Lage sein wird, die logistische Mammutaufgabe einer Massenimpfung zu leisten. Das Gesundheitssystem NHS ist von der dritten Welle und der Virusmutation überlastet, das Personal durch die Dauerbelastung seit März ausgezehrt und die Regierung plant weiterhin ein Einfrieren der Gehälter. Johnson droht mithin der nächste Fall von „zu viel versprochen“. Das dürfte ihn noch mehr unter Druck setzen. Zwar ist es kein Wettrennen, aber wenn er im Frühjahr nicht immer noch vorn dabei ist, dürften Fragen nach seiner politischen Zukunft lauter gestellt werden.

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal am 7. Januar.

Autor*in
Christos Katsioulis

leitet das Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden der Friedrich-Ebert-Stiftung in Wien. Zuvor leitete er die Büros der FES in London, Athen und Brüssel.

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