Impfen gegen Corona: Was Deutschland von Frankreich lernen könnte
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Wie immer zur besten Sendezeit, wendete sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gestern Abend an die französische Öffentlichkeit. Er nannte die erschreckenden Zahlen an Corona-Neuinfektionen, ließ weder die vielen Toten aus, noch tausende Patient*innen in der Reanimation und die fehlenden Betten für sie. Man sei, so der Präsident, im „Wettlauf gegen die Zeit“ und drohe „die Kontrolle zu verlieren“ Jetzt sei der „letztmögliche Zeitpunkt, um zu handeln“.
Selbst das Tabu Schulschließung wurde angetastet. Im Unterschied zu allen Nachbarn waren die französischen Schulen bislang nahezu durchgängig offen geblieben, um „die Zukunft unserer Kinder zu schützen“. Für die kommenden fünf Wochen bat Macron seine „chèrs conpatriots“ um eine erneute große Anstrengung.
Konkreter Zeitplan und Perspektive
Der Präsident bat um Verständnis für die neuen Maßnahmen, lobte Disziplin und Einsatz der Menschen bisher, aber vor allem lieferte Macron einen konkreten Zeitplan und dazu eine Öffnungsperspektive. Der zentrale Unterschied zum Hin-und-Her in manch anderem Land. Und das gilt nicht nur für die Schulen. Für die gab es einen Zeitplan mit exakten Daten, wann welcher Schultyp zum Präsenzunterricht zurückkehren wird. Auch für die Außengastronomie, für Theater und Kinos kündigte Macron die schrittweise Öffnung ab Mitte Mai an.
Schlüssel dafür seien die jetzigen Maßnahmen, aber vor allem anderen die schnelle Bereitstellung von Vakzinen und ein hohes Impftempo. Und genau da, beim Impftempo, da ist Frankreich auf der Überholspur, macht vor, wie es laufen kann. Bereits Anfang März haben die Hausärzte damit begonnen, ihre Patienten zu impfen. Unterdessen dürfen auch Apotheker, Krankenschwestern und Hebammen die Vakzine verabreichen - und folgen werden in Kürze die Veterinäre und Feuerwehrleute. Fußballstadien oder Disney-Land Paris werden ab April zu vaccinodromes, zu riesigen Impfzentren.
Von Frankreich lernen, heißt impfen lernen
Bis Mitte April sollen mindestens 10 Millionen Französ*innen die erste Dosis erhalten haben, Mitte Mai weitere 10 Millionen und desgleichen das Ziel für Mitte Juni. Und es wird sogar deutlich schneller gehen. Das ist schon heute klar, denn über 8,5 Millionen Menschen haben bereits ihre Erstimpfung erhalten. Und alle, die auch sonst Grippeimpfungen oder ähnliches vornehmen, setzen jetzt Spritzen gegen Corona. Um es klar zu sagen: Jeder der geimpft sein will, kann es in Frankreich sein. Ohne Probleme, absolut jeder. Es gibt keine Ausrede. Eigentlich.
Denn Frankreich wäre nicht Frankreich, gäbe es da nicht auch eine zweite Seite: Zur Wahrheit gehört auch, dass die Hausärzte, die natürlich zuerst ihre älteren und Risikopatienten auf die Impfung ansprechen, so viele Absagen bekommen, dass sie willige Patienten vorziehen, um nicht Dosen verfallen zu lassen. Auch Apotheker nehmen keine Rücksicht mehr auf das Alter der willigen Kunden, zu viele fest vereinbarte Termine platzen am Ende doch.
Große Impfskepsis in Frankreich
Die gleichen Menschen, die wahlweise die EU und die eigene Regierung hart dafür kritisieren, nicht rechtzeitig und nicht genügend Vakzine eingekauft zu haben, erscheinen einfach nicht, um sich piksen zu lassen. Über die Hälfte der Jugendlichen lehnt die Coronaregeln ab, macht zu Tausenden Party ohne Maske und Abstand. Tanz auf dem Vulkan hieß das in anderen Pandemien.
Auch im französischen Umgang mit Virus und Pandemie ist vieles kritikwürdig. Und wie in Deutschland, reden dabei bisweilen nicht nur Politiker ziemlichen Unfug. Aber wenigstens die organisatorischen Voraussetzungen für schnelle Fortschritte hat Paris im Gegensatz zu Berlin geschaffen. Denn es macht keinen Sinn, übriggebliebene Ampullen oder Dosen nutzlos verfallen zu lassen statt sie – und zwar so schnell wie möglich an wen auch immer - zu verimpfen. Es braucht auch keine Pilotprojekte, um zu prüfen, ob approbierte Ärzte tatsächlich fähig sind, ihren Patienten eine simple Spritze zu verabreichen.
Deutschland könnte von Frankreich lernen
Von Frankreich könnte man lernen, wie man eine flächendeckende Anti-Corona-Kampagne durchführt. Alle Statistiken besagen, dass es ganz sicher genügend Menschen beiderseits des Rheins gibt, die mit Freude und Erleichterung jederzeit ihren Oberarm frei machen, um piqué – gepikst zu werden.
Denn das wird Folgen haben über das gute Gefühl hinaus, geschützt zu sein, kein Risiko mehr für Freunde und Verwandte. Wenn Geimpfte sich erst mit weniger Restriktionen ins Kino, ins Restaurant oder in den Urlaub aufmachen - und das wird zwangsläufig kommen, weil Regierungen ihren Bürgern nicht dauerhaft Freiheitsrechte vorenthalten können – spätestens dann wird die Impfskepsis in sich zusammenbrechen. Voraussetzung dafür ist, dass alle, die das wollen, auch geimpft sein können. Wie man das organisiert, macht Frankreich gerade vor.