ILO-Kampagne: Wie Staaten weltweite Zwangsarbeit verhindern können
LisaKristine.com
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat die Kampagne „50for Freedom“ ins Leben gerufen, um den Kampf gegen Zwangsarbeit zu verschärfen. Angeblich auch ein Problem in Europa?
Schätzungsweise 21 Millionen Menschen arbeiten weltweit in Zwangsarbeit, ungefähr 1,5 Millionen verteilen sich auf die EU, Japan, Nordamerika und Australien. Derzeit gehen wir in Europa von 800.000 Betroffenen aus. Hier haben wir es mit Schätzungen zu tun, so dass ich einzelne Länder nicht nennen kann und möchte. Außerdem schadet das Prinzip „blaming und shaming“, das Beschuldigen anderer, unserer Arbeit.
Aber es ist auch ein europäisches Problem?
Es ist ein wichtiges Thema für Europa aufgrund der Globalisierung von Arbeit. Produkte werden in Lieferketten erarbeitet - es gibt inzwischen Lieferketten mit 35 Stationen. Produziert wird also mit Ländern zusammen, in denen die Zahl der Zwangs- oder Kinderarbeit sehr hoch ist.
Als 2010 die Fußball WM nach Katar vergeben wurde, fragten viele, wie es sein kann, dass internationales und europäisches Geld in ein Land fließt, dass nachweislich seine Stadien mit Menschen bauen lässt, die unter Zwang arbeiten. Hier müssen Finanzströme unmittelbar damit verknüpft werden, solche menschenunwürdigen Zustände abzuschaffen.
Wer profitiert von illegaler Arbeit?
Ungefähr 150 Milliarden US-Dollar werden jährlich an illegalen Profiten erwirtschaftet. In Europa schätzen wir, dass ein Zwangsarbeiter ca. 35.000 Euro im Jahr erwirtschaftet. Damit wird nicht nur Profit auf den Schultern dieser Menschen gemacht, das ist auch ein unlauterer Wettbewerbsvorteil, der auch Löhne drückt. Was zudem in den üblichen Statistiken nicht auftaucht, sind die fehlenden Steuereinnahmen und Sozialabgaben durch illegale Arbeit.
Wer trägt die Hauptverantwortung, Unternehmen oder Verbraucher?
Jeder Verbraucher in Deutschland kann etwas tun, um sich Sicherheit zu verschaffen darüber, ob sein T-Shirt „sauber“ hergestellt wird. Dadurch entsteht ja die hohe Nachfrage nach Sicherheitssiegeln. Aber die Hauptverantwortung liegt in erster Linie bei den Staaten. Wenn sie beispielsweise die internationalen Kernarbeitsnormen der ILO, die den Status von Menschenrechten haben, in nationales Recht umsetzen, haben sie auch die Möglichkeit bei Verstößen dagegen zu handeln. Die Staaten haben die Kontrollmechanismen dafür, in Deutschland z.B. durch den Zoll, wenn er Schwarzarbeit bekämpft.
Wie lässt sich ein internationales Unternehmen kontrollieren?
Indem sich Staaten gemeinsam verpflichten, menschenwürdig in Lieferketten zu produzieren, ist eine Kontrolle möglich. Eine Zusammenarbeit wurde im vergangenen Jahr durch die G7-Staaten angeregt mit zentralen Beschlüssen. In 2017 wird das Thema auf die Ebene der G20-Staaten erweitert, unter deutscher Präsidentschaft.
Da sind auch Schwellenländer wie China und Entwicklungsländer wie Indien dabei. Zumindest unter diesem Kreis von Staaten inklusive der in diesen Ländern agierenden Unternehmen können wir dann zu konkreten Absprachen und Selbstverpflichtungen kommen, so nicht mehr zu produzieren.
Was wollen Sie mit der Kampagne „50forFreedom“ erreichen?
Wir wollen, dass 50 Länder das ILO-Protokoll zum Übereinkommen über Zwangsarbeit ratifizieren. Neun haben bereits unterzeichnet. Deutschland will es in dieser Legislaturperiode noch tun. Das muss aber erst durch die nationalen Parlamente gehen, das dauert seine Zeit.
Mit der Kampagne wollen wir aber auch aufklären, weil Betroffene nicht immer wissen, dass sie Opfer von Zwangsarbeit sind. In Katar z.B. wurden den Fremdarbeitern die Pässe abgenommen und sie waren in einem völlig entrechteten Status. Das wurde nun, auch mit Hilfe unserer Initiative, verboten. Wir wollen Gewerkschaftsstrukturen aufbauen und die rechtliche Ebene stärken.
Hilft das auch im Kampf gegen Kinderarbeit?
Inzwischen gibt es 168 Millionen Kinder, die prekär beschäftigt. Das berührt uns noch mal ganz besonders. Sie kennen das Beispiel von Ferrero, ein Unternehmen, das jahrelang in der Kritik stand, an Kinderarbeit verdient zu haben. Die „Migrationsströme“ machen die Situation noch unübersichtlicher. Man muss sich nicht fragen, wohin viele unbegleitete Minderjährige verschwinden. Sie werden auch in Ecken verschwinden, die wir schon kennen, in Prostitution oder Arbeit als Hausangestellte. Das ist eine besondere Herausforderung jetzt und heute.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.