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Holpriger Weg: Zum zweiten Mal Schwedens erste Ministerpräsidentin

Seit 100 Jahren gibt es in Schweden das Frauenwahlrecht. Nun steht mit Magdalena Andersson zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der Regierung. Ihr Weg ins Amt war jedoch holprig.
von Christian Krell · 1. Dezember 2021
Magdalena Andersson ist die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte Schwedens.
Magdalena Andersson ist die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte Schwedens.

Endlich offiziell! Als König Carl Gustaf am Dienstag die neue schwedische Regierung empfing, schien aus ihm Erleichterung zu sprechen: „Ich kann feststellen, dass der Regierungswechsel nun stattgefunden hat.“ Magdalena Andersson war damit offiziell Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten skandinavischen Landes. Neu war dabei die Anrede, die der König wählte: „Fru statsminister“. Frau Ministerpräsidentin, das gab es auch im fortschrittlichen Schweden bisher nicht. Andersson ist – 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts – die erste Frau an der Spitze der Regierung. Und damit nicht genug: Mit der neuen Schulministerin Lina Axelsson Kihlblom ist auch erstmal eine Transperson in einer schwedischen Regierung vertreten.

Mit der Ernennung der Regierung findet ein längerer Prozess seinen vorläufigen Abschluss, der im November auf dem Parteitag der schwedischen Sozialdemokraten (SAP) begann. Dort war Stefan Löfven, der langjährige Parteivorsitzende und Ministerpräsident, zurückgetreten und hatte den Weg frei gemacht für die von ihm vorgeschlagene Nachfolgerin. Magdalena Andersson wurde mit großer Mehrheit zur neuen Vorsitzenden gewählt. Damit war klar, dass sie neue Regierungschefin werden sollte. Traditionell gehen beide Ämter in Schweden Hand in Hand.

Holpriger Weg ins Amt

Dass dieser Weg kein Selbstläufer werden würde, stand bereits damals fest. Schließlich steht die rot-grüne Minderheitsregierung, die Schweden seit 2018 führt, auf wackeligen Füßen. Sie ist sowohl auf die Unterstützung der liberalen Zentrumspartei als auch auf die Linkspartei angewiesen. Kurz nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin kam es schließlich zum Showdown. Die Zentrumspartei verweigerten dem Haushaltsentwurf der Regierung ihre Zustimmung, da dort Forderungen der Linkspartei berücksichtigt wurden. Aufgrund der Besonderheiten des schwedischen Parlamentarismus setzte sich der Haushaltsentwurf der Oppositionsparteien – unter Beteiligung der rechtspopulistischen Schwedendemokrat*innen – durch. Das wiederum veranlasste die Grünen zum Rückzug aus der Koalition mit der SAP und Andersson trat sieben Stunden nach ihrer Wahl zurück. Die schwedische Zeitung Dagens Nyheter schrieb von einem Vorgang, den man in einer Seifenoper als zu unglaubwürdig abgetan hätte.

Ende gut, alles gut?

Der zweite Anlauf war schließlich erfolgreich. Andersson wurde als Ministerpräsidentin von allen Unterstützer-Parteien gewählt und steht nun an der Spitze einer rein sozialdemokratischen Minderheitsregierung. Im Norden ist dieses Modell nicht ungewöhnlich. Auch die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen führt eine sozialdemokratische Regierung ohne eigene Mehrheit an, die sich wechselnde Mehrheiten sucht und das Land stabil regiert.

Wofür steht Magdalena Andersson?

Die 54-jährige Andersson ist eine Kennerin des schwedischen Regierungsbetriebs. Sie hat als enge Vertraute von Stefan Löfvens verschiedene Regierungsämter inne und war zuletzt Finanzministerin. Als in Stockholm, Wien und Harvard ausgebildete Wirtschaftswissenschaftlerin galt Andersson dabei zunächst als Vertreterin strengster Haushaltsdisziplin. In den vergangenen Jahren hat sie eine Abkehr vom strikten Sparkurs vollzogen und betont, dass es für die großen Herausforderungen der Gegenwart erhebliche Investitionen braucht, etwa in Infrastruktur und Gesundheit. Dieser Politikwechsel war ein wichtiges Signal für die schwedischen Gewerkschaften, aber auch für die Parteilinke. Er steht aber auch in der Tradition der schwedischen Sozialdemokratie.

Die starke Gesellschaft                                                                                           

Auf dem SAP-Parteitag im November sprach Andersson davon, dass die schwache Gesellschaft am Ende sei. Ein freier, unregulierter Markt, der sich selbst überlassen werden, sei ein Problem. Vielmehr brauche es ein Primat der Politik, um eine starke Gesellschaft zu schaffen. Damit knüpfte Andersson an eine der wirkmächtigsten Erzählungen der schwedischen Sozialdemokratie an. Die starke Gesellschaft (starka samhället) hatte einst Tage Erlander, für eine gefühlte Ewigkeit schwedischer Ministerpräsident (1946-1969), ausgerufen. Sie steht für einen umfassenden Wohlfahrtsstaat und ein solidarisches Miteinander und war Grundlage für die großen Wahlerfolge der SAP. Dass Olaf Scholz auf dem Parteitag in Göteborg über Respekt und gesellschaftliches Miteinander sprach, passte entsprechend gut ins Bild und wurde von FES-Büroleiter Philipp Fink als wichtiges Signal für die enge Zusammenarbeit der beiden Parteien gewertet.

Wie geht’s weiter?

Damit sind einige der Schwerpunkte Anderssons für die nächsten Monate vorgezeichnet. Sie will den Wohlfahrtsstaat erhalten und ausbauen, in Infrastruktur investieren, den Klimawandel bekämpfen und hart gegen die grassierende Bandenkriminalität vorgehen. Bis zur nächsten Wahl im September 2022 muss sie mit dem von den schwedischen Rechtspopulist*innen mitverfassten Haushalt arbeiten. Sie ist dabei auf verschiedene unterstützende Parteien angewiesen und wird zahlreiche Kompromisse eingehen müssen. Zugleich kann sich die SAP in einer Ein-Parteien-Regierung besser profilieren als in einer Koalition. Es bleibt spannend im Norden!

Autor*in
Christian Krell

ist Professor für Politikwissenschaft an der HSPV NRW Köln. Er leitete die Akademie für Soziale Demokratie und das Nordische Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und ist Mitglied der Grundwertekommission der SPD.  

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