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Heiko Maas in der Türkei – Warum die Zeichen auf Annährung stehen

Außenminister Heiko Maas reist am Mittwoch zu seinem Antrittsbesuch nach Ankara, wird dort sogar Präsident Erdoğan empfangen. Angesichts einer Währungskrise und von Spannungen mit den USA sucht Ankara die Nähe Europas. Doch Maas stellt klar: „Dafür muss die Türkei liefern.“
von Kristina Karasu · 5. September 2018
Bundesaußenminister Heiko Maas
Bundesaußenminister Heiko Maas

Eigentlich sollte Bundesaußenminister Heiko Maas am Mittwoch in Ankara „nur“ seinen türkischen Amtskollegen treffen. Doch am Dienstag wurde bekannt, dass auch Präsident Erdoğan den Bundesminister empfangen wird. Ein deutliches Zeichen, wie großen Wert derzeit auf Besuch aus Berlin gelegt wird. Erdoğan wird die Bundesregierung heute sicher als verlässlichen Partner preisen. Dabei beschimpfte er sie noch vor einem Jahr als Nazis und Terrorhelfer, riet türkischstämmigen Deutschen davon ab, für Union und SPD zu stimmen. Woher nun dieser Sinneswandel?

Währungskrise und Streit mit Donald Trump

Die Türkei befindet sich derzeit in einer massiven Währungskrise, die die Gefahr birgt, eine tiefgreifende Wirtschaftskrise auszulösen. Die türkische Lira hat seit Beginn des Jahres gegenüber Dollar und Euro bis zu 45 Prozent an Wert verloren. Ankara macht dafür die USA verantwortlich: Aus Protest gegen die Inhaftierung eines US-Pastors verhängte Präsident Trump im Juli Strafzölle auf türkische Produkte. Zudem machen der Türkei steigende Zinsen in den USA zu schaffen.

Zum großen Teil ist der Kursverfall allerdings hausgemacht: Die türkische Zentralbank steht zunehmend unter politischem Druck des Präsidenten, ebenso türkische Gerichte. Das verschreckt ausländische Investoren, die die Türkei angesichts ihres hohen Außenhandelsdefizits und hoher Auslandsschulden dringend braucht.

Die Türkei braucht neue Freunde

Kurz gesagt: Die Türkei braucht international dringend neue Freunde. Während die USA und die Türkei jahrzehntelang enge NATO-Partner waren, steht ihr Bündnis spätestens seit Trump auf wackeligen Füßen. Immerhin in diesem Punkt haben die Türkei und Europa derzeit etwas gemeinsam. Diese Situation versucht Ankara nun zu nutzen, um sich Europa wieder anzunähern.

Mit Wohlwollen berichteten türkische Medien darüber, dass die EU und besonders Deutschland der Türkei in der Währungskrise ihre Unterstützung zusagten. Auch Heiko Maas betonte vor seinem Amtsbesuch: „Wir haben keinerlei Interesse daran, dass die Türkei wirtschaftlich und politisch abschmiert.“ Allein 6.500 deutsche Firmen sind in der Türkei ansässig, das Land ist ein wichtiges Exportziel. Zudem muss die Türkei in den nächsten Monaten 182 Milliarden Dollar an Krediten zurückzahlen, vor allem an europäische Banken. In Europa wächst nun die Sorge, dass eine türkische Krise auch die EU erschüttern könnte.

Maas: Es geht nicht um finanzielle Hilfen

SPD-Chefin Andrea Nahles brachte Mitte August gar finanzielle Hilfe für die Türkei ins Gespräch. Denen allerdings erteilte Maas nun eine Absage: „Es geht jetzt nicht um konkrete finanzielle Hilfsmaßnahmen für die türkische Wirtschaft, sondern um eine Normalisierung unserer Beziehungen. Dafür muss die Türkei liefern“, so der Außenminister im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“.

Er machte auch die Bedingungen klar: die Freilassung der sieben Bundesbürger, die derzeit noch in der Türkei aus politischen Gründen in Haft sitzen. Darüber lässt Ankara vermutlich mit sich reden. So wurde erst vor zwei Wochen die Ausreisesperre für die deutsch-türkische Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu aufgehoben, die sieben Monate in der Türkei in Haft saß.

Ankara hofft auf Verhandlungen zur Zollunion

Ankara hofft derzeit insbesondere auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der EU zur Vertiefung der Zollunion – das blockiert die Bundesregierung seit einem Jahr. Ebenso will man endlich Visa-Freiheit für Türken erzielen; das war eines der Versprechen des Flüchtlingdeals mit der EU.

Um die Annäherung an die EU in Gang zu bringen, tagte letzte Woche nach dreijähriger Pause zum ersten Mal wieder die türkische „Reform-Aktions-Gruppe“. Im Anschluss versprach der türkische Außenminister, man werde nun enger mit dem Europarat zusammenarbeiten, Reformen anstoßen und sich auf Justiz, Grundrechte, Gerechtigkeit und Freiheiten konzentrieren. Das sind schöne Worte, die guten Willen demonstrieren sollen. Doch die innenpolitische Realität der Türkei sieht derzeit anders aus.

Erdoğan herrscht mit uneingeschränkter Macht

Erdoğan kann seit den Wahlen und der Einführung des Präsidialsystems im Juli mit nahezu uneingeschränkter Macht regieren, hat die Gewaltenteilung ausgehebelt und fast alle Medien handzahm gemacht, unterdrückt weiterhin rigoros abweichende Stimmen.

Angesichts dieser Umstände fordert Journalistin Tolu, dass sich Maas in Ankara für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt. Deutschland dürfe die türkische Bevölkerung "nicht mit dem Autokraten alleine lassen", sagte sie in Berlin. Auch die bekannte türkische Schriftstellerin Elif Şafak betonte in einem Gastbeitrag für den „Guardian“ am Dienstag, Europa müsse dem nationalistischen und religiös-fundamentalistischen Kurs Erdoğans entgegentreten: „Es gibt zahllose Bürger in der Türkei – Frauen, Studenten, Minderheiten – deren Stimme wir nicht hören, doch die weiterhin leidenschaftlich eine pluralistische Demokratie unterstützen und verteidigen. Sie sind immer noch da. Wir sind immer noch da. Das sollte ‚der Westen’ nicht übersehen.“

Türkei in Syrien-Krise unverzichtbar

Maas versprach vor seinem Abflug, die türkische Menschenrechtslage in Ankara offen anzusprechen. Er setzt auf Dialog: „Angesichts der tiefen Verflechtung zwischen unseren Gesellschaften und unseren vielfältigen gemeinsamen Interessen ist es unser klarer Wille, dass wir weiter hart an einer Verbesserung der Beziehungen arbeiten. Dazu will ich mit meiner Türkeireise beitragen“, so der Außenminister.

Nicht zuletzt die Lage in Syrien macht die Türkei für Berlin unverzichtbar: Das Assad-Regime plant zusammen mit Russland Luftangriffe auf die letzte Rebellenhochburg Idlib nahe der türkischen Grenze. „Das nährt die Sorge, dass Hunderttausende Syrer zuerst in die Türkei und dann in die EU flüchten“, erklärt das türkische Internetportal T24. „Die EU ist gezwungen, bei diesem Thema eng mit der Türkei zusammenzuarbeiten.“

Bald Staatsbesuch Erdoğans in Berlin

Maas‘ Besuch ist nur der Anfang eines regen diplomatischen Verkehrs zwischen Ankara und Berlin. Erdoğans Schwiegersohn und Finanzminister Albayrak wird in der nächsten Woche nach Deutschland reisen, der Staatspräsident selber wird Ende September in Berlin erwartet. Auch das wird ein heikler Besuch: Zahlreiche Demonstrationen gegen Erdoğan sind dann in der Hauptstadt geplant, organisiert etwa von der kurdischen Gemeinde oder Reportern ohne Grenzen. Die neue deutsch-türkische Annäherung dürfte dann auf eine harte Probe gestellt werden.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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