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Hebron: Eine geteilte Stadt im Nahen Osten

Der Nahost-Konflikt gehört zu den längsten und kompliziertesten bewaffneten Auseinandersetzungen weltweit. Nirgendwo ist er so präsent wie in Hebron im Westjordanland, wo Palästinenser und radikale israelische Siedler direkt aufeinander treffen.
von Jonas Jordan · 4. März 2019
Die Initiative „Breaking the silence“ führt regelmäßig Gruppen durch die geteilte Stadt Hebron.
Die Initiative „Breaking the silence“ führt regelmäßig Gruppen durch die geteilte Stadt Hebron.

„Ich dachte, ich müsste den Militärdienst machen, um Teil dieser Gesellschaft zu sein“, sagt Murphy. Die 25-Jährige ist Teil der Initiative „Breaking the silence“, die 2004 von ehemaligen israelischen Soldaten gegründet wurde, die ihren Militärdienst in Hebron geleistet hatten. „Breaking the silence“ sammelt anonyme Augenzeugenberichte von Soldaten und veröffentlicht diese. Die Organisation steht in der Kritik, weil die Berichte kaum nachprüfbar sind. In der israelischen Öffentlichkeit gelten sie als Nestbeschmutzer oder Verräter. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ließ 2017 ein Treffen mit dem damaligen Außenminister Sigmar Gabriel platzen, weil dieser vorhatte, auch mit Vertretern der linken Initiative zu sprechen.

Mauern statt Marktplätze

An einem Tag im Februar ist eine Gruppe hessischer Jusos mit „Breaking the silence“ in Hebron unterwegs, der größten Stadt im von Israel besetzten Westjordanland. Seit 1997 ist Hebron geteilt. Auf 80 Prozent der Fläche leben etwa 160.000 Menschen unter palästinensischer Verwaltung. Dort regiert seit 2017 Tayseer Anu Sneineh, der 1980 für den Angriff auf eine Gruppe von Juden verantwortlich war, bei dem sechs Menschen starben. Der andere Teil der Stadt steht unter israelischer Verwaltung. Dort leben 40.000 Palästinenser und 800 israelische Siedler.

Zu diesem Teil Hebrons, der sogenannten Zone H2, zählt auch das historische Zentrum der Stadt. Dort stehen inzwischen 42 Prozent der Häuser leer. Wo einst Menschen über Marktplätze liefen, stehen heute Mauern. Es sind die israelischen Siedler, die jetzt in diesem Teil Hebrons Hausrecht genießen. Das zeigt sich auch, als die Gruppe hessischer Jusos mit Murphy die Siedlung Qiryat Arba besucht. 7.000 Israelis leben hier. Ein Siedler filmt die Jusos. Es ist Ofer Ohana, ein bekannter Provokateur unter den radikalen Siedlern. Er telefoniert. Kurz darauf erscheinen drei Soldaten mit Maschinengewehren. Sie versuchen die Gruppe zu stören, drehen laut Musik auf.

Kampf um Abrahams Grab

Von Qiryat Arba führt die sogenannte rote Straße ins historische Zentrum von Hebron. Palästinenser dürfen sie nicht befahren. Ebenso wenig wie die a-Shuhada-Straße. Einst war sie eine belebte Einkaufsstraße. Bis zum 25. Februar 1994. Damals tötete der extremistische Siedler Baruch Goldstein, der in der Siedlung Qiryat Arba lebte, 29 Muslime in der Abraham-Moschee. Das Grab Abrahams, das sich dort befindet, ist die heiligste und am meisten umkämpfte Stätte der Juden und Muslime im besetzten Gebiet. Nach mehreren Demonstrationen der Palästinenser verhängte die israelische Regierung eine Ausgangssperre für diesen Teil der Stadt, die zum Teil bis heute andauert.

Am Eingang zur a-Shuhada-Straße wartet die deutsche Gruppe auf eine Militärpatrouille, die sie eskortieren soll. Vier junge Männer kommen. Drei lachen über einen Witz, einer zieht lässig an einer Zigarette. Sie folgen den Jusos in einen verlassenen Markt. Murphy zeigt Bilder aus früheren Jahren. Wo einst Obststände waren, sind heute Ruinen.

Konfrontation mit den Siedlern

Plötzlich Leben, Lachen, Geschrei. Eine Gruppe von rund 50 israelischen Kindern läuft durch die für Palästinenser gesperrte Straße. Etwa 850 Siedler leben in diesem Teil Hebrons, permanent beschützt von 500 israelischen Soldaten und Polizisten. Sie berufen sich auf historische Rechte, hier leben zu dürfen. Hebron war in der Antike die Hauptstadt Judäas. Bis 1929 lebten hier Juden, ehe sie getötet oder vertrieben wurden. „Liberation, Return, Rebuilding“ steht am Eingang eines Militärpostens – Befreiung, Rückkehr, Wiederaufbau. Das ist seit 1967 die Ideologie der Siedler. Eine von ihnen bleibt vor Maximilian Bieri stehen, der die Reise der Jusos nach Israel und Palästina organisiert hat, und fragt in aggressivem Ton: „Sie sind aus Deutschland? Was machen Sie hier? Wieso sind Sie in Hebron?“

Die Jusos sind hier nicht willkommen, ebenso wenig wie Murphy. Während sie zur Gruppe spricht, läuft ein Soldat vorbei. Er spuckt vor ihr auf den Boden. „Breaking the silence“ ist nicht besonders angesehen in der israelischen Öffentlichkeit. Sie werden als Feinde oder Tiere bezeichnet. Dass die Initiative aufklären und auf Missstände in den besetzten Gebieten hinweisen will, gefällt vielen Israelis nicht. „Hebron steht dabei beispielhaft für den Rest des Westjordanlands“, sagt Murphy.

Ein Soldat, Anfang 20, hat lässig sein Maschinengewehr umgehängt. Er spielt Fußball mit einem palästinensischen Jungen. Murphy sieht ihn an und sagt: „Man muss kein gewalttätiger Soldat sein, um Teil eines gewalttätigen Systems zu sein.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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