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Hätte man den Terrorismus im Irak stoppen können?

von Jörg Armbruster · 15. August 2014
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Im Irak errichtet die Miliz „Islamischer Staat“ ein Terror-Regime. Verantwortlich dafür sind auch die USA und die Europäer, die zu lange gezaudert und zugesehen haben. Wie kann der Terror jetzt noch gestoppt werden? Eine Analyse.

„Das Terrorismusproblem ist gewaltig und wächst weiter, wir sollten es sofort in Angriff nehmen.“ Sein Land sei nicht in der Lage es, alleine zu lösen, der Terrorismus im Irak müsse auf internationaler Ebene bekämpft werden. Das hatte der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki im November des vergangenen Jahres in seiner Rede im Washingtoner Friedensinstitut verzweifelt gefordert.

Bei seinem Treffen mit Barack Obama bat er den amerikanischen Präsidenten, die irakische Armee mit Kampfdrohnen, Kampfhubschraubern und moderner Kriegstechnik auszurüsten, um den zunehmenden Terrorismus im Irak erfolgreicher bekämpfen zu können. Seit Monaten wütete die Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Syrien“, die sich heute nur noch Islamischer Staat (IS) nennt, im Land, tötete durch Selbstmordattentate und Autobomben tausende Menschen. Allein in den beiden Monaten vor Malikis Novemberreise kamen fast 2000 Iraker durch solche Anschläge ums Leben, mehrheitlich Schiiten. Schon damals war bekannt, dass die Sharia-Terroristen im Irak ein Bündnis mit anderen sunnitischen Stammesmilizen und sunnitischen Untergrundorganisationen eingegangen waren.

Damals im November lehnte Obama ab, die irakische Armee zur Terroristenhatz aufzurüsten. Heute muss er genau jene Terroristen selber jagen.

Iraks Regierungschef Maliki grenzte aus und blieb stur

War Obamas Entscheidung demnach falsch? Hätte er auf Maliki hören sollen? Auf einen Politiker also, den schon lange nicht nur die Amerikaner als einen der Mitverantwortlichen für den wachsenden sunnitischen Terrorismus im Irak identifiziert hatten, der alles andere war, als ein verlässlicher Bündnispartner im Anti-Terrorkampf. Ohne Malikis Politik der Ausgrenzung aller Sunniten aus der Politik wäre es nie zu dem Kampfbündnis dieser Muslime im Irak gekommen. Wäre vielleicht doch alles anders gekommen, wenn damals Obama anders entschieden hätte?

Eine Frage, die sich zwar stellt, sich aber nicht mehr beantworten lässt. Maliki ist ein unberechenbarer Sturkopf, der auch dann noch versuchte, an der Macht festzuhalten, als ihn der Staatspräsident schon längst nach Hause geschickt hatte. Sein Land zerlegt sich, fast der ganze arabisch-sunnitische Norden ist in die Hände der hochgerüsteten Kopfabschneider des IS gefallen, die Menschen massakrieren, Angst und Schrecken verbreiten und immer weiter nach Norden vorrücken. Selbst in dieser Zeit größter Not seines Landes hatte ihn nur eine Frage interessiert: „Wie bleibe ich an der Macht?“ Malikis Halsstarrigkeit hatte die irakische Regierung gelähmt, damit war sie nur bedingt abwehrbereit gegen IS.

Erst jetzt, seit seinem endgültigen Amtsverzicht, kann eine entscheidungsfähige Regierung gebildet werden, die das komplizierte Versöhnungswerk mit den frustrierten Stammessunniten beginnt, um so deren Kampfgemeinschaft mit den Killern des Kalifen aufzubrechen. Das ist die erste Voraussetzung, um die IS-Terroristen zu schwächen.

Die US-Luftschläge sind richtig, aber sie kommen spät

Und Obama? Jetzt handelt er richtig, wenn auch erst im allerletzten Augenblick. Die zweifellos notwendigen Luftschläge in Kurdistan wirken fast wie Panikattacken nach einer zu spät erkannten Gefahr. Zweifellos gilt, was die Politikanalystin Lina Khatib vom Middle East Center der Carnegie-Stiftung in einer Studie über die amerikanische Außenpolitik schon vor einem Monat geschrieben hat: „Die Vereinigten Staaten können nicht erfolgreich sein im Irak, wenn sie nicht beide Krisen gleichzeitig angehen.“ Als zweite meint sie den Bürgerkrieg in Syrien. 

Wann immer es aber seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien um die Frage ging, was die USA tun können, zögerte und zauderte Obama. „Lieber nichts tun als das möglicherweise Falsche“ war das Motto nicht nur der amerikanischen Syrienpolitik. Auch die Europäer verhielten sich so. Tatsächlich war IS schon im vergangenen Jahr in Syrien erkennbar immer mächtiger geworden, hatte immer grausamer gewütet und sich schon damals auf Youtube mit Geköpften und Gekreuzigten gebrüstet wie ein Fußballverein mit seinen Pokalen. Jeder, der es wissen wollte, musste nur googeln, um zu erfahren, wes Geistes Kind diese Gotteskrieger sind und was von ihnen noch zu erwarten ist.

Sowohl der amerikanische Außenminister wie auch alle seine europäischen Kollegen haben diese Entwicklung treiben lassen, haben zugeschaut, wie ISIS andere Rebellengruppen niedergemetzelt hat und damit das Geschäft Assads betrieb. Sie müssen von ihren Geheimdiensten informiert gewesen sein, dass zumindest ein Teil der Topterroristen über das NATO-Mitglied Türkei nach Syrien einreiste. Das Kanonenfutter dieser Alptraumkrieger, die Möchtegern-Djihadisten aus Europa, nahm ohnehin diesen Weg. Allein aus Deutschland sollen inzwischen über 400 Jugendliche in Syrien Krieg statt Party machen. Dagegen etwas getan hat keines dieser Länder. Auch lange nicht gegen die heimliche oder auch offene Unterstützung dieser Extremisten aus den Golfstaaten.

Spätestens im Frühjahr hätte der Westen reagieren müssen

Ohne die Erfolge in Syrien hätte der IS nie zu seinem Mongolensturm im Irak ansetzen können. Schon im Frühjahr hatten die Sunniterroristen in der westlich von Bagdad gelegenen Anbar-Provinz Städte wie Falludscha oder Ramadi besetzt und sich eingegraben. Die irakische Armee beschoss ihre Stellungen – ohne Ergebnis. Spätestens jetzt hätten die Außenminister, der amerikanische wie die europäischen, eine Gegenstrategie entwickeln müssen. Obama aber blieb der außenpolitische Zauderer im Nahen Osten, die Europäer waren auf die Ukraine fixiert. Seine Truppen hatte der amerikanische Präsident ohnehin viel zu früh abgezogen. Bei ihm, der gegen Bushs Irakkrieg gestimmt hatte, liegt zweifellos ein hohes Maß an Mitverantwortung für den Zustand dieses Landes.

Die amerikanischen Luftschläge sind richtig weil notwendig, die Lufttransporte der Bundeswehr genauso wie Waffenlieferungen an die Kurden. Richtig, um Menschenleben zu retten, aber auch, weil es der einzige Weg ist, aus diesem Knäuel außenpolitischer Versäumnisse wieder herauszukommen. Zweifellos muss die irakische Regierung versuchen, auch mit solchen Stämmen und Gruppen zusammenzuarbeiten, die heute noch Bündnispartner von IS und damit strenggenommen zumindest Helfershelfer von brutalen Mördern sind. Wenn das nicht gelingt, droht der Irak auseinanderzubrechen. Und wenn das geschehen sollte, wird das Folgen für die Nachbarstaaten haben. Für den Iran und Saudi Arabien zum Beispiel, zwei Länder, die heute schon in Syrien ineinander verkeilt um die Vormacht im Nahen Osten kämpfen.

Wenn es aber gelingt, IS aus dem Irak zu vertreiben, was dann? Dann sind die Kurden hochgerüstet und der IS in Syrien bleibt es, hat er doch etliche mit amerikanischen Waffen gut gefüllte Rüstkammern der irakischen Armee geplündert. Einer freut sich heute schon: der Syrer Assad, der sich sicherlich wieder als Bündnispartner im Kampf gegen den Terrorismus anbieten wird, so wie er es in der Vergangenheit immer wieder versucht. Diesmal könnte er erfolgreicher sein. 

Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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