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Halbzeitbilanz: So lief der Parteitag der US-Demokraten bisher

Die Hälfte des virtuellen Parteitags der US-Demokraten ist vorbei, Joe Biden als Präsidentschaftskandidat nominiert. Aber berührt er auch die Herzen der Delegierten? Und wie steht es um die Stimmung an der Basis? Wir ziehen eine Halbzeitbilanz.
von Knut Panknin · 19. August 2020
Der doppelte Joe: US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden trat beim Nominierungsparteitag – wie die meisten – virtuell auf.
Der doppelte Joe: US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden trat beim Nominierungsparteitag – wie die meisten – virtuell auf.

Die unkonventionelle Convention – der Nominierungsparteitag der US-Demokraten, der diese Woche Corona-bedingt virtuell und nicht im hart umkämpften Bundesstaat Wisconsin stattfindet – ist mehrfach ein Novum. Ohne Live-Publikum und die bekannte Optik eines Spektakels, das normalerweise an eine Mischung aus Wahlkampfauftritt, Zirkus und TV-Show erinnert, gab es ganz neue Herausforderungen für die Organisator*innen, aber auch Chancen, die Veranstaltung kürzer, prägnanter und diverser zu machen.

Das Konzept des virtuellen Parteitags ist bisher aufgegangen

Bislang ist das Konzept trotz einiger unbeholfener Momente und weit verbreiteter „Zoom-Müdigkeit“ aufgegangen: Der schnelle Wechsel von politischen Reden, persönlichen Erfahrungsberichten ganz normaler Bürger*innen und Musikunterhaltung machte den Auftakt des Parteitags nicht nur authentisch und kurzweilig, sondern auch für jüngere Zielgruppen attraktiv. Dabei zeigten die Demokraten die Vielfalt der Partei und des Landes: „We the people“, wie der Text der US-Verfassung beginnt, ist nicht nur das Motto des Parteitags, sondern auch ein Rückgriff auf die Grundidee der Demokratie und damit in Zeiten Trumps sicher nicht zufällig gewählt.

Trotz aller Neuerungen blieben die wichtigsten Aufgaben der Convention aber wie eh und je: den Kandidaten vorstellen, nominieren und bestätigen, die Reihen schließen und Argumente liefern, warum die eigene Mannschaft das Land führen soll. Daneben müssen auch die Partei-Aktivist*innen und Freiwilligen für den Wahlkampf mobilisiert werden. Wie sieht es zur Halbzeit damit aus?

Kandidat vorstellen und nominieren: Check

Die ersten beiden Tage ließen kaum eine Gelegenheit aus, Joe Bidens Persönlichkeit vorzustellen und mit Trump zu kontrastieren: bodenständig, empathisch, nahbar, ehrlich, prinzipientreu, robust, gläubig, vereinend – dies waren einige der Attribute, die die Redner*innen mit Blick auf Biden wählten. Gerade das Segment zu Bidens täglicher Zugfahrt zur Arbeit als Senator in Washington DC machte aus dem Politiker einfach „Joe“. Und der afro-amerikanische Abgeordnete Jim Clyburn wiederholte seinen berühmten Satz aus dem Frühjahr, als er Biden seine Unterstützung gab und damit die Vorwahlkampagne des angeschlagenen Kandidaten rettete: „Wir kennen Joe. Aber was noch wichtiger ist, Joe kennt uns.“

Die persönlichste Vorstellung lieferte Bidens Ehefrau Jill ab. In einem bewegenden Video zur Familiengeschichte und einer sehr persönlichen Rede aus einem Klassenzimmer stellte sie den Mann und Familienvater vor und zeichnete ein Charakterbild, das sich mit einem Wort zusammenfassen lässt: anständig. Damit wollen die Demokraten auch einen Kontrast zu 2016 herstellen, als sowohl Donald Trump wie auch Hillary Clinton als ähnlich unpopulär bei der Mehrzahl der Wähler*innen angesehen wurden.

Joe Biden wurde am zweiten Tag der Convention endlich offiziell nominiert. Der „Roll Call“, bei dem die Delegierten jedes Bundesstaates die Stimmen aus den Vorwahlen für die Kandidat*innen verkünden, spielte die Stärken eines virtuellen Parteitags voll aus. Die Szenen aus 50 Staaten, der Hauptstadt und sechs Überseegebieten stellten geschickt die Diversität des Landes zur Schau.

Die Reihen schließen: noch offen

Senator Bernie Sanders, die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (a.k.a. AOC) und Stacey Abrams gehörten zu den prominentesten Stimmen des linken Parteiflügels. Ihre Auftritte hatten vor allem ein Ziel: die Reihen zwischen der progressiven Bewegung, gerade unter den jungen Aktivist*nnen, und dem „Establishment“ zu schließen. Das gelang nur teilweise. Bernie Sanders wies nicht nur auf die Gefahr hin, die vier weitere Jahre Trump für die Zukunft der Demokratie bedeuten würden, sondern sprach selbst heikle Themen wie die Krankenversicherung an, die im Vorwahlkampf noch Gegenstand der härtesten verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Kandidat*innen war. Die Botschaft: Joe wird progressive Politik mitgestalten.

Um dem Republikanischen Vorwurf des „Linksextremismus“ aber gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, versicherte der Republikaner John Kasich, dass Biden nicht „scharf nach links ausscheren werde“. Ob die verbale Unterstützung reichen wird, die progressiven Anhänger*innen zu überzeugen, wird sich im bei der Wahl im November zeigen. Zwei Warnzeichen gab es schon: Die nur 60-Sekunden Redezeit, die der Ikone der Progressiven, AOC, eingeräumt wurden, sorgten für erheblichen Unmut. Zudem stimmten progressive Abgeordnete wie Ro Khanna gegen das Parteiprogramm. Damit ist klar, dass die inhaltlichen Auseinandersetzungen in der Partei im Falle eines Wahlsiegs Bidens wieder neu aufflammen dürften.

Mobilisierung: Check

Wenn auch der Umfang der Mobilisierung der Progressiven unklar ist, so war deutlich zu sehen, wie sehr sich die Demokraten bemühten, die Black Lives Matter-Protestbewegung und ihre Anliegen aufzugreifen. Sie bekamen breiten Raum: Familienangehörige prominenter Opfer waren ebenso vertreten wie Musiker*innen, Künstler*innen, Bürgerrechtler*innen und afro-amerikanische Politiker*innen.

Für Biden werben: Offen

Die „Krönung“ des Kandidaten findet am Donnerstag statt und Bidens innerparteiliche Mitstreiter*innen haben plausibel dafür geworben, warum das Land einen anderen Präsidenten braucht. Die bisher überzeugendste Argumentation kam von einer Frau, die Politik der eigenen Aussage nach „verabscheut“: die frühere First Lady Michelle Obama. In ihrem sehr authentischen und den richtigen Ton treffenden Statement gelang es ihr, die Verbindung zu den Zuschauern sowie Empathie herzustellen und gleichzeitig eine vernichtend schonungslose Abrechnung mit Trump und dem „Trumpismus“ zu präsentieren. So effektiv und glaubwürdig war bisher niemand.

Am Donnerstag obliegt es nun Joe Biden selbst, deutlich zu machen, warum die Wähler*innen ihm das Land anvertrauen sollen. Das wird seine bisher herausforderndste Aufgabe als Kandidat für das höchste Amt.

Autor*in
Knut Panknin

ist Program Officer der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington für wirtschaftliche und soziale Fragen.

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