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Gustavo Petro: Kolumbiens Hoffnung auf einen progressiven Präsidenten

Gustavo Petro hat zwar den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Kolumbien gewonnen, muss sich aber in der Stichwahl dem korrupten Populisten Hernandez stellen. Nach 200 Jahren könnte das Land erstmals einen progressiven Präsidenten bekommen.
von Conny Reuter · 3. Juni 2022
Hoffnungsträger: Gustavo Petro könnte der erste progressive Präsident in der Geschichte Kolumbiens werden.
Hoffnungsträger: Gustavo Petro könnte der erste progressive Präsident in der Geschichte Kolumbiens werden.

Am Sonntag fand die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Kolumbien statt. Im Vorfeld gab es große Befürchtungen, es könnte Wahlmanipulation im größeren Stil, Einschüchterung von Wähler* innen und gewaltsamen Übergriffen in den Wahllokalen kommen. Bei den Parlamentswahlen hat der Bloco Hostorico, das den Ökonomen Gustavo Petro und die Menschenrechts- und Umweltaktivistin Francia Márquez tragenden Parteienbündnis 40,3 Prozent (8,5 Millionen Stimmen) erreicht. Der rechte Populist Hernandez kam auf 27 Prozent und der Kandidat der Rechten auf 23 Prozent (zusammen rund elf Millionen Stimmen).

Eine Referenz für die Linke

Gustavo Petro ist wahrscheinlich eine der polarisierensten Figuren der kolumbianischen Politik der letzten Jahrzehnte. Durch seine Arbeit im Kongress wurde er die Referenz für die Linke, ebenso mit seinen Untersuchungen des Paramilitarismus und seine Rolle bei den Friedensgesprächen, die zum Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla geführt haben. Aber gerade dieses Profil führt dazu, dass er von seinen Gegner*innen auf der Rechten als Bedrohung ansehen wird.

Leider haben die Medien weltweit, auch in Deutschland, die Erzählung vom Ex-Guerillero der M19 übernommen, ohne sich mit seiner erfolgreichen Arbeit als Senator oder als Oberbürgermeister von Bogotá (2012 bis 2015) auseinanderzusetzen, die seine führende Rolle in der kolumbianischen Linken erklären.

Der Pyromane als Feuerwehrmann

Der Erfolg Hernandez‘ kam überraschend, hatte er vor einem Monat noch weit hinten gelegen. Aber auch in Kolumbien funktionieren die klassischen Anti-establishment Framings des Populismus und Hernandez präsentierte sich als der unverbrauchte Kandidat, der ebenso wie Petro mit der Korruption aufräumen will, aber im Gegensatz zu Petro nicht Teil der kolumbianischen Elite ist. Der Pyromane als Feuerwehrmann, denn Hernandez ist bereits formell der Korruption angeklagt und wurde verurteilt.

Gustavo Petro musste seinen Wahlkampf wegen Morddrohungen teilweise einstellen, schließlich hatte es im letzten Jahr 13.000 politische motivierte Morde in Kolumbien gegeben, in diesem Jahr bereits 6700, darunter Vertreter* innen der sozialen Bewegungen, Ex-Guerilleros der FARC und Politiker* innen.

Zudem standen die 700.000 „verschwundenen Stimmen“ für Petros Wahlbündnis bei den Parlamentswahlen im März weiter im Raum. In 118 Kommunen konnte seitens der nationalen Wahlkommission keine Garantie für einen sicheren Wahlverlauf gegeben werden. Die Linke ist dort nur mit dem Richter Luis Guillermo Pérez vertreten.

Einschüchterungen im Wahlkampf

Der Pacto Histórico hatte deshalb landesweit über 90.000 informelle Wahlbeobachter*innen als potentielle Zeug*innen mobilisiert. Etliche der von ihnen vorgeschlagenen internationalen Wahlbeobachter*innen – auch ich –, wurden ohne Angabe von Gründen kurzfristig nicht akkreditiert. Hinsichtlich der Auswahl der Wahlhelfer*innen wurde ebenfalls Kritik geäußert, schließlich favorisierte die Wahlkommission Helfer* innen aus dem Umfeld von Firmen und Unternehmen zuungunsten der Zivilgesellschaft und Akademia. Angesichts der möglichen Einschüchterung durch ihre Arbeitgeber*innen wurde fehlende Neutralität befürchtet.

Die kolumbianische Rechte hat im Wahlkampf versucht, dieses Narrativ der drohenden Wahlfälschung umzudrehen und behauptete, der Bloco Historico seinerseits könnte die Wahlen manipulieren, obwohl der als Oppositionspartei dazu gar keine Möglichkeit hatte.

Die gute Nachricht ist, dass sich diese Befürchtungen von Gewalt und Wahlmanipulation nicht bewahrheitet haben und die Wahlen für kolumbianische Verhältnisse relativ geregelt abliefen, sodass alle Kandierenden das Wahlergebnis umgehend anerkannt haben. Die Wahlbeteiligung lag leicht über 50 Prozent.

Der Drittplazierte, Frederico Guiterrez, hat bereits vor dem Ende der Auszählung zur Wahl Hernandez‘ aufgerufen, um Gustavo Petro als Präsident zu verhindern. Insofern ist ein langer und schmutziger Endspurt zu erwarten. Und die Führung der Liberalen Partei, Mitglied der sozialistischen Internationale, wird wohl auch zur Wahl von Hernandez aufrufen, war sie doch schon im Vorfeld des ersten Wahlgangs gespalten und konnte sich nicht zur Unterstützung Petros durchringen.

Welche Reserven kann Petro mobilisieren?

Am Abend der Wahl hat Petro in einer kämpferischen Rede vor seinen Anhänger* innen die Eckpunkte seiner Kampagne deutlich gemacht: Frieden – soziale Gerechtigkeit – Umwelt. Er will für die Stichwahl insbesondere Frauen und junge Menschen, sowie Nicht-Wähler*innen mobilisieren. An die kolumbianischen Frauen richtete der den Appell „Wollt ihr das Leben in Kolumbien mitgestalten oder euch weiter den Männern unterwerfen und zuhause am Herd bleiben?“ Inwieweit damit der Umschwung gelingt, wird sich am Ende zeigen, schließlich ist Kolumbien mehr als die Bewohner* innen der Haupt- und Großstädte, ein durch den spanischen Kolonialismus konservativ katholisch geprägtes Land.

Und wenngleich Veränderung angesichts der täglichen Gewalt, der Auftragsmorde und Pogrome, der schreienden Ungleichheit und der umweltschädlichen extraktiven Produktionen gefordert wird, bleibt es beim psychologischen Phänomen der Ungewissheit, Angst und Verunsicherung vor ebendieser Veränderung insbesondere unter den Wähler*innen die ohnehin schon unter prekären Bedingungen leben und arbeiten.

Chancen für Europa Sozialdemokratie

Senatorin Avida Abella brachte es bei einer Besprechung mit internationalen Gästen auf den Punkt: „Dort, wo Kolumbien seine Reichtümer und Waren exportiert, wachsen Armut und Elend.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es gern. Für die Hoffnungen auf ein besseres und friedlicheres Leben, stehen Gustavo Petro und Francia Márquez.

Ihr Programm ist im Kern sozial, demokratisch, ökologisch und progressiv, weshalb sich – ähnlich wie mit Boric in Chile – für die europäische und der deutschen Sozialdemokratie Chancen für neue Kooperationen und Partnerschaften ergeben. Als Progressive Allianz sind wir natürlich offen und suchen die Zusammenarbeit mit diesen neuen politischen Kräften.

Autor*in
Conny Reuter ist Koordinator der „Progressiven Allianz“.
Conny Reuter

war bis 2023 Koordinator der „Progressiven Allianz“, einem internationalen Netzwerk von 113 sozialdemokratischen, sozialistischen und progressiven Parteien aus der ganzen Welt.

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