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Griechenland und die Inflation: Oft bleibt nur sparen, sparen, sparen

Die bürgerliche Regierung in Athen reagierte spät auf die Inflation, unter der die Bevölkerung immer mehr leidet. Die Wut wächst. Das könnte die Konservativen bei den nächsten Parlamentswahlen teuer zu stehen kommen.
von Arne Schildberg · 1. August 2022
Proteste in Athen: Am 24. Mai 2022 gehen in der griechischen Hauptstadt Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung auf die Straße, um gegen die Sparpolitik der griechischen Regierung zu demonstrieren.
Proteste in Athen: Am 24. Mai 2022 gehen in der griechischen Hauptstadt Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung auf die Straße, um gegen die Sparpolitik der griechischen Regierung zu demonstrieren.

Ein Winter „fern der Krisen“ und ohne zu frieren, im ewigen griechischen Frühling – dazu lädt Tourismusminister Vassilis Kikilias Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland ein. „Gemeinsam frieren unter griechischer Sonne“ sollte die Einladung aber eher lauten. Denn die meisten Häuser und Wohnungen in Griechenland haben eine schlechte Bausubstanz mit mangelhafter Isolierung und veralteten Heizungen. In vielen Mehrfamilienhäusern wird gar seit Jahren nicht mehr geheizt, weil sich die Haushalte die Kosten seit der Wirtschaftskrise nicht mehr leisten können. Wohlige Raumtemperaturen von 22 Grad dürften sich da kaum einstellen.

30 Prozent von Armut bedroht

Dieser zynische PR-Gag der konservativen Regierung zeigt nicht nur, wie abgehoben diese ist, sondern auch, wie sehr die Inflation die griechische Bevölkerung trifft: Nach mehr als zehn Jahren Wirtschaftskrise, gefolgt von der Pandemie, sind viele griechische Haushalte am Rande ihrer finanziellen Möglichkeiten, 30 Prozent sind von Armut bedroht. Daher trifft die Inflation Griechenland besonders hart. Während das Thema der Energiekosten schon seit Monaten Tagesgespräch war, ist jetzt auch die allgemeine Teuerung hinzugekommen, und viele Familien verkürzen den Sommerurlaub oder können ihn sich gar nicht mehr leisten.

Wie schwer die Inflation sich auswirkt, zeigt auch der Aufruf zum Generalstreik: Die Gewerkschafts-Dachverbände GSEE und ADEDY organisierten am 6. April einen Generalstreik, der den öffentlichen Verkehr in Athen lahmlegte. Gefordert wurden Gehaltserhöhungen in der Höhe des Inflationsausgleichs, die Wiedereinführung des 13. und 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst, ein steuerfreies Existenzminimum von 12 000 Euro sowie eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 751 Euro.

Die nächsten Wahlen drohen

Die aktivistischen Maßnahmen der Regierung müssen vor dem Hintergrund der nahenden Wahlen gesehen werden, die irgendwann zwischen September 2022 und dem Frühjahr 2023 stattfinden. Erleichterungen für die Bevölkerung sind direkte Zuschüsse an die Haushalte durch Benzingutscheine („Benzin-Pass“) – so soll die nächste Runde bis zu 100 Euro in die Taschen von 3,1 Millionen Autofahrern spülen. Zuvor hatte die Regierung mit dem „Power-Pass-Programm“ eine Erleichterung bei der Stromrechnung von bis zu 600 Euro für bedürftige Haushalte angekündigt.

Die Oppositionspartei SYRIZA beschuldigte die Regierung, die Verbraucher hinters Licht zu führen, weil die durchschnittlichen Auszahlungen viel niedriger ausgefallen sind. Hinzu kommt, dass die Regierung auch einen weiteren „Inflationsscheck“ anbieten dürfte. Dieser könnte – so Medienberichte – bedürftigen Haushalten mit einem Jahreseinkommen von bis zu 7.200 Euro und einem Vermögen von weniger als 200.000 Euro zur Verfügung stehen. Im Haushalt wird das eine weitere Lücke von 250 bis 300 Millionen Euro reißen.

Auch hier Abhängigkeit von russischem Gas

Gestiegenen Preisen kann man so begegnen, aber was, wenn die Versorgung mit russischem Gas unterbrochen wird? Wenn Russland das Gas abdreht, fehlen zwischen 40 und 50 Prozent der Gasversorgung. Neue Gaslieferungen aus dem östlichen Mittelmeer aus Israel und Ägypten sind derzeit noch Zukunftsmusik. Kurzfristig soll die Energieversorgung des Landes über die TAP-Pipeline, die Gas aus Aserbaidschan liefert, und durch Flüssiggas teilweise ersetzt werden. Zusätzlich sind neue Flüssiggasterminals im Bau und alte werden erweitert.

Hauptsäule der Stromversorgung Griechenlands im Krisenmodus ist die Ankurbelung der Braunkohleförderung in den nächsten zwölf Monaten, obwohl bis 2028 aus der Kohleverstromung ausgestiegen werden sollte. Nun ist die Rückkehr der Braunkohle in vollem Gange. Sechs Kraftwerke sind im Juni wieder voll in Betrieb. Der Anteil der Braunkohle am Energiemix der staatlichen Stromgesellschaft DEI lag im Juni bei 34 Prozent, gegenüber 19,9 Prozent im Mai.  

Den Gürtel enger schnallen

Sparen, sparen, sparen ist ansonsten das Motto für die Bevölkerung. Eine besonders unkonventionelle Maßnahme: Wer jetzt seine alte Klimaanlage gegen ein neues, energieeffizientes Gerät tauscht, bekommt vom Staat die Hälfte des Kaufpreises erstattet – und kann sich in Zukunft auf eine niedrigere Stromrechnung freuen. Auch für den Kauf neuer Kühlschränke und Tiefkühltruhen gibt es Zuschüsse. Etwa 200.000 Haushalte sollen laut Regierung solche Zuschüsse erhalten und pro Familienhaushalt so 150 bis 300 Euro pro Jahr gespart werden.

Dieser Artikel erschien zuerst im IPG-Journal.

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Arne Schildberg

Arne Schildberg leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Zuvor war er unter anderem Büroleiter der FES in Addis Abeba, Äthiopien.

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