Griechenland: So gehen Griechen mit dem anstehenden Referendum um
In den vergangenen Tagen haben die Menschen in Griechenland wirklich genug erlebt. Seit vergangener Woche beginnt jeder Tag mit einer Überraschung, denn neue Regierungsankündigungen kommen immer nach Mitternacht. Und so wachen die Griechen jeden Morgen auf und hören davon, was nun schon wieder beschlossen wurde.
„Ja“ oder „Nein“ zum Grexit
Angefangen bei dem Referendum, welches der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras überraschend angekündigt hat. Die Geschichte zeigt, dass Referenden durchaus genutzt werden können, um die Bürger zu manipulieren, zum Beispiel durch eine komplizierte oder tendenziöse Fragestellungen. An diesem Sonntag sind die griechischen Bürger dazu aufgerufen, über eine technische Frage abzustimmen. Eine technische Frage, über die sie erst vor zwei Tagen informiert wurden, also nur eine Woche vor der Abstimmung. Sie sind sich nicht sicher, was auf dem Spiel steht und welche Frage sie überhaupt beantworten sollen: „Ja“ oder „Nein“ zu weiteren Sparmaßnahmen oder gar zu einem möglichen Grexit? Ach ja, das Referendum findet in derselben Woche statt, in der zum ersten Mal in der Geschichte Griechenlands eine Kapitalkontrolle beschlossen wurde. Das bedeutet, die Banken werden für mindestens eine Woche geschlossen bleiben. Nur 60 Euro können pro Tag bar abgehoben werden, mit ungewissen Konsequenzen für die gesamte Wirtschaft.
Es ist klar, dass die griechische Regierung trickst: Sich für ein Referendum zu entscheiden, ist die eine Sache. Wie viele Fragen dabei offen bleiben und wie wenig weitere Informationen die Bevölkerung erhält, die andere. Vor allem ist die griechische Regierung nicht ehrlich zu den Griechen: Sie macht keine klare Aussage darüber, was die beiden Optionen – „Ja“ oder „Nein“ – jeweils zur Folge haben. Wird das Ergebnis von der Abstimmung am Sonntag genutzt, um die griechische Position für weitere Verhandlungen zu stärken? Oder ist es ein Werkzeug für die Regierung Tsipras, Griechenland weiter in die Krise zu treiben? Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Tage kann man nur raten, was als nächstes kommt.
Junge Griechen als Opfer verpasster Reformen
Während sie versuchen zu verstehen, welche Vorschläge die europäischen Institutionen ihnen machen, erkennen die Griechen, dass weitere schmerzvolle Maßnahmen bevorstehen. Aber warum? Hat die Vorgängerregierung es einfach verpasst, Reformen durchzuführen, weshalb jetzt mehr Steuern und Einschnitte anstehen – oder gibt es wirklich kein Entkommen aus dieser Schulden-Sackgasse? Was gerade passiert ist etwas, das Griechen nie zuvor erlebt haben, insbesondere nicht die jüngere Generation. Die hat von solchen Ereignissen bisher nur im Geschichtsbuch gelesen. Junge Griechen sind nun die Opfer von Fehlern, welche die Generationen vor ihnen gemacht haben. Sie müssen zusehen, wie über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen für ihre Zukunft getroffen wurden und werden.
In den Verhandlungen über weitere Hilfskredite für Griechenland zeigt sich ein fortlaufendes Versagen beider Seiten, zu kommunizieren und zu verhandeln. Die bereits blutende griechische Wirtschaft wird von der Troika weiter zur Ader gelassen, die griechische Regierung nimmt eine starrköpfige Haltung an. Und wer zahlt den Preis für die politischen Entscheidungen? Die griechische Bevölkerung.
Die Griechen sind gespalten in zwei Lager
Was noch alarmierender ist: Die aktuelle Situation hat die protestierenden Griechen auf den Straßen in zwei Lager geteilt. Es gibt das „Ja, wir bleiben in Europa“-Lager und das „Nein zu den Vorschlägen der Kreditgeber“-Lager. Die Rhetorik zwischen diesen beiden Lagern wird immer aggressiver. Auch das hat die jüngere Generation gerade erst in der Schule gelernt: Griechenland hat eine Vergangenheit mit vielen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen – und bei diesen sind insgesamt mehr Griechen gestorben als in den zwei Weltkriegen.
Als ich letzten Samstag im Parlament mit Syriza-Abgeordneten sprach, versicherten diese mir, die Frage des Referendums habe nichts mit dem Verbleib in der Eurozone zu tun. Stattdessen gehe es nur um weitere Verhandlungen über Hilfsmaßnahmen und Sparprogramme. Soll ich ihnen glauben? Jeden Tag gehen Vorschläge zwischen der Troika und der griechischen Regierung hin und her. Wie alle Griechen habe ich mittlerweile völlig den Überblick verloren.
Die Athenerin Elina Makri studierte Internationales und Europäisches Recht in Frankreich und Belgien. 2006 gründete Makri den griechischen Zweig des mehrsprachigen Europamagazins Cafebabel.com. 2012 gewann sie mit Cafebabel Athen und dem Projekt „Europe on the ground“ den Jugendkarlspreis. Makri ist Mitgründerin von Oikomedia.com, einer Netzwerk-Plattform für Journalisten und Redakteurin von Dialoggers.eu, einem deutsch-griechischen Medienprojekt.