Griechenland-Referendum: Harsche Kritik an Tsipras-Regierung
Die Unterrichtung dauert deutlich länger als geplant. Mit 45 Minuten Verspätung traten am Nachmittag Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel vor die Hauptstadtpresse. Fast zwei Stunden hatten sie den Fraktions- und Parteichefs aller im Bundestag vertretenen Parteien die Geschehnisse rund um das Scheitern des Treffens der Eurogruppe am Wochenende erläutert. Ihre Botschaft war deutlich: Griechenland ist schuld.
Natürlich drückte es Angela Merkel etwas diplomatischer aus: „Der Wille zum Kompromiss ist auf griechischer Seite nicht vorhanden“, sagte die Kanzlerin. Doch klar war, dass sie vom Vorgehen des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zusehends genervt ist. Dieser hatte am Wochenende vollkommen unerwartet angekündigt, das griechische Volk am kommenden Sonntag über die Sparauflagen von Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds abstimmen zu lassen. Die Eurogruppe hatte daraufhin die Verlängerung der Finanzhilfen über den 30. Juni hinaus abgelehnt.
Merkel: „Niemand kann 100 Prozent bekommen.“
Solch ein Referendum sei zwar das „legitime Recht“ des griechischen Volkes, stellte Merkel klar, doch lasse sich die Eurozone nicht von Griechenland erpressen. „Eigenverantwortung und Solidarität sind zwei Seiten derselben Medaille. Niemand kann 100 Prozent bekommen.“ Und doch bleibt die Bundesregierung weiter gesprächsbereit. „Wir werden uns nicht verschließen, sollte die griechische Regierung nach dem Referendum um weitere Verhandlungen bitten“, kündigte die Bundeskanzlerin an.
„Der Euro scheitert nicht an dem bevorstehenden Referendum, aber daran, wenn Verbindlichkeiten reduziert werden“, unterstrich Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Der griechischen Regierung warf er vor „ideologisch eine andere Eurozone“ zu wollen. „Europa kann nicht dauerhaft bedingungslose Finanzhilfen geben“, stellte Gabriel klar. Sollten sich die griechischen Bürger am Sonntag gegen die Sparpläne und damit gegen den Euro aussprechen, werde es keine weiteren Verhandlungen geben.
Martin Schulz will in Griechenland für EU-Pläne werben
„Die Entscheidung dieses Referendums betrifft uns alle“, unterstrich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz als er wenige Minuten später in Brüssel vor die Presse trat. Er hatte zuvor mit den Vorsitzenden aller im Europaparlament vertretenen Fraktionen über die Griechenland-Krise beraten. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum die griechische Regierung die Verhandlungen abgebrochen hat“, sagte ein sichtlich konsternierter Schulz.
Er könne „nur empfehlen“, dass das griechische Volk am Sonntag mit Ja und damit für den Verbleib im Euro stimme. Schulz selbst will dafür werben und erwägt, im Laufe der Woche nach Griechenland zu reisen, „um den griechischen Wählern die Position Europas zu erklären“. Um Zeit zu gewinnen müsse allerdings eine „Brücke“ zwischen dem Auslaufen der Hilfszahlungen am Dienstag um Mitternacht und dem Ergebnis des Referendums am Sonntag Abend gebaut werden. Wie diese aussehen könnte, ließ Schulz offen.
EU-Kommissionspräsident Juncker fühlt sich „verraten“
Bereits am Vormittag hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das griechische Volk aufgerufen, beim geplanten Referendum gegen die Empfehlung der eigenen Regierung zu stimmen. „Wenn die Griechen mit Ja stimmen, ist das ein Zeichen an die EU und die Welt, dass Griechenland im Euro bleiben will“, sagte Juncker in Brüssel.
Der griechischen Regierung machte Juncker schwere Vorwürfe und zeigte sich auch persönlich angegriffen von der Entscheidung, die Verhandlungen mit EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds abzubrechen. „Nach allen Anstrengungen, die ich unternommen habe, fühle ich mich ein wenig verraten, denn die Menschen berücksichtigen meine persönlichen und die Anstrengungen vieler anderer Menschen nicht genug“, so Juncker.
Zur Stunde kommen die Bundestagsfraktionen zu Sondersitzungen zusammen. Neben ihrer eigenen will Bundeskanzlerin Angela Merkel auch der SPD-Fraktion über die Griechenland-Krise berichten.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.