In Griechenland grassiert die Wahlmüdigkeit
„Ich weiß noch nicht, ob ich meine Stimme einfach ungültig mache oder sie einer Splitterpartei gebe,“ erklärt ein 31-jähriger Programmier. Bei der letzten Wahl hatte er für Tsipras gestimmt, doch sein Vertrauen in den ehemaligen Ministerpräsidenten ist gebrochen.
Tsipras-Wähler in Griechenland sind bitter enttäuscht
Vielen Griechen geht es ähnlich wie ihm. Das Regierungsbekenntnis zur neuen, alten Sparpolitik ist ein herber Rückschlag. Gerade die Leute, die der Syriza im Januar noch ihre Stimme gegeben, und diese in Tsipras Sparkursreferendum bekräftigt hatten, leiden am meisten unter den Auswirkungen des Krisenmanagements. Doch Arbeitslose, perspektivlose Studenten und sozial Benachteiligte sind längst nicht die einzigen, die an eine linke Regierung geglaubt hatten. Auch Selbständige, die in Griechenland mit dem schlechten Steuersystem kämpfen, und systemmüde Konservative wollten einen Wechsel.
Doch dieser blieb aus. Das wäre unter Umständen zu verkraften gewesen, wenn Tsipras dem Volk gegenüber mit offenen Karten gespielt hätte. Schließlich war es vor allem Vorschussvertrauen, von dem der Syriza-Chef profitierte. Den großen Plan aber, den man in Tsipras’ Schublade vermutet hatte und den es nach der Amtsübernahme nur noch umzusetzen galt, hat sich für viele als Trugschluss herausgestellt. Dies ist natürlich zu nicht geringen Teilen auch auf die Institutionen zurückzuführen, die sich allen Alternativen konsequent in den Weg gestellt hatten. Doch man hoffte auf mehr. „Offensichtlich sind sie zu amateurhaft zum Regieren. Ich hätte eine umfassende Strategie erwartet,“ bekräftigt der Programmierer.
Pokerface statt klarer Worte
Stattdessen scheint es, als habe Tsipras sich verzockt. „Es kann ja sein, dass er die richtigen Ideen hatte und die einfach nicht umsetzen konnte. Aber ich hätte mir dann gewünscht, dass er das offen sagt im Sinne von ‚Leute, ich wollte die Dinge grundsätzlich anders gestalten, bin aber gescheitert.’ Damit hätte ich umgehen können,“ erklärt ein 34-jähriger Übersetzer. Genau hier scheint der Kern dafür zu liegen, dass nicht nur der linke Flügel der Partei weggebrochen ist, sondern auch das Vertrauen beim Volk in Scherben liegt. Die Griechen sind es gewohnt, von ihrer Regierung betrogen zu werden. Doch genau dort hoffte man bei Tsipras auf den Retter aus dem Licht.
Stattdessen ist nun schwer zu sagen, wie man ihn einschätzen soll. Dass er weiter vorne liegt, ist nicht zuletzt auch auf die mangelnde Konkurrenz zurückzuführen. So gilt es zu entscheiden, ob man dem Syriza-Chef, der in nur sieben Monaten vom Hoffnungsträger zum systeminhärenten Realpolitiker geworden ist, noch einmal die Stimme gibt; oder aber ob die konservative Nea Dimokratia erneut das Ruder in die Hand nimmt. Fakt ist auch, dass viele in Griechenland generell keinen Sinn mehr darin sehen, überhaupt zu wählen. Die Athener Regierung wird als machtlos gegenüber dem allmächtigen Europa gesehen. Man fühlt sich fremdregiert und betrogen.
„Unsere Stimme wird nicht gehört“
Vor allem junge Wähler, die – anders als ihre Eltern – keine Stammpartei haben, sind von dieser Stimmung eingenommen. „Schön, dass Demokratie in Wahlen und Referenden ausgeübt wird. Aber spielt es letztendlich eine Rolle, was wir sagen? Im Endeffekt lassen sich die Politiker von unserer Meinung nicht beeinflussen und tun das, was die Troika macht. Das ist demütigend und ich denke nicht, dass meine Stimme trotz der zahlreichen Wahlen gehört wird,“ sagt ein junger Athener, der nach den Wahlen wieder zum Studium nach Deutschland zurückkehrt.
So wird sich zeigen, ob die Griechen Tsipras am Sonntag noch einmal einen Regierungsauftrag erteilen oder nicht. Die Stimmung im Land kommt lähmender Gleichgültigkeit nahe. Auch wenn der resignierte Ministerpräsident in Umfragen gerade vorn liegt, ist der Sieg nach einem kurzen, ereignislosen Wahlkampf alles andere als sicher. Dabei steht auch die Frage, mit wem regiert wird. Eventuell kommt es zur großen Koalition, egal, ob nun die Syriza oder Nea Dimokratia das Rennen macht. Die Faschisten halten sich als drittstärkste Partei und die Griechen sparen weiter. Das schlimmste jedoch ist vor allem eins: Das Land hat sich von der Krise nicht einmal ansatzweise erholt.
Florian Schmitz ist freier Autor und lebt in Thessaloniki. Auf seinem Blog eudyssee.net berichtet er über die positiven und negativen Auswirkungen der Krise.