Griechenland: Der Countdown läuft
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich zuversichtlich. „Eine Einigung noch in dieser Woche ist möglich“, sagte er zu den Beratungen der Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten zum Sparplan des griechischen Links-Premiers Alexis Tsipras im Schuldenstreit mit Athen. Die griechische Regierung will bis Ende 2016 rund acht Milliarden Euro über höhere Steuern eintreiben, schon am Mittwoch beraten die Finanzminister der Euroländer in Brüssel über den Sparplan. Auch ein Anstieg des Rentenalters steht auf dem Programm. Das weckt Unmut. Tsipras muss um seine Mehrheit im Parlament fürchten, oppositionelle Parteien wie die pro-europäische To Potami deuten ihre Unterstützung an. Auch für Kanzlerin Angela Merkel bleiben Unwägbarkeiten. In der Debatte ist auch ein Schuldenschnitt für Griechenland. Ein Wort, das die CDU-Vorsitzende am Montagabend in Brüssel nicht mal aussprechen mochte. Ein Blick auf den Deal und mögliche Widrigkeiten.
Tsipras Sparprogramm: „Ein guter Vorschlag“, twitterte Junckers Kabinettschef Martin Selmayr. Im Kern sieht er in diesem Jahr zusätzliche Einnahmen durch Steuererhöhungen von 2,7 Milliarden Euro und im kommenden Jahr von 5,2 Milliarden Euro vor. So soll die Mehrwertsteuer angehoben werden, Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 500.000 Euro pro Jahr sollen eine Konzernsteuer zahlen. Dennoch bleibt der Währungsfonds IWF mit Blick auf die griechische Steuerverwaltung skeptisch. Er bevorzugt Einsparungen auf der Ausgabenseite. Allein durch Kürzungen in der Rentenkasse sollen bis Ende des kommenden Jahres zwei Milliarden Euro eingespart werden. Das birgt politisches Konfliktpotenzial – auch in Tsipras‘ Linkspartei Syrizia. Weiterer Rückschlag für Tsipras: Über seinen Vorschlag wird nicht im Kreis der Staats- und Regierungschefs entschieden. Am Mittwoch beraten die Euro-Finanzminister über den griechischen Sparplan. Dort geht es nicht um einen politischen Deal, sondern um kühle Zahlen. Harte Verhandlungen drohen.
Zeitplan: Am Mittwoch tagen die Finanzminister der Eurogruppe, am Donnerstag und Freitag kommen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in Brüssel zu einem regulären Gipfel zusammen. Denkbar wäre ein weiterer Eurozonensondergipfel am Rande des Treffens oder eine weitere Runde der Euro-Finanzminister am Freitagabend nach Gipfelschluss. Das böte die Chance in der Nacht zu Sonnabend, wenn Banken und Börsen weltweit ruhen, auch Unangenehmes zu beschließen, etwa Kapitalmarktkontrollen.
„Die Zeit wird knapp – nicht nur für Griechenland auch für uns“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Montagabend in Brüssel. Tsipras Regierung wartet auf die Auszahlung der weiteren Hilfen von 7,2 Milliarden Euro von Eurostaaten und IWF. Am 30. Juni läuft das derzeitige Hilfsprogramm für Griechenland aus, an diesem Tag muss Griechenland einen Kredit von 1,6 Milliarden Euro bedienen. Zuvor werden Löhne und Gehälter von Staatsbediensteten fällig. Es pressiert also. In Deutschland, Finnland und den Niederlanden müssen zudem die nationalen Parlamente dem Deal zustimmen. Der Bundestag könnte am Montag oder Dienstag entscheiden. Technisch zu spät für die Auszahlung der Hilfsgelder. Vermutlich müsste die Europäische Zentralbank (EZB) mit kurzfristigen Krediten einspringen. Politisch heikel, aber finanztechnisch machbar, versichern Experten.
Unwägbarkeiten: Die gibt es zu genüge. Auch das Parlament in Griechenland muss den Sparplan absegnen. Tsipras droht Widerstand vom linken Flügel seiner Partei. Oppositionsparteien wie To Potami haben Unterstützung signalisiert. Riskant bleibt auch das Verhalten des griechischen Sparers in die Verhandlungen. Seit Jahresbeginn haben sie 30 Milliarden Euro von ihren Konten geräumt, verlieren die Sparer das Vertrauen und kommt es zum Banksturm, könnten Griechenlands Banken kippen. Die Debatte über einen Kapitalmarktkontrollen, sprich Beschränkungen beim Geldtransfer ins Ausland, dürfte die Stimmung weiter anheizen. Es kommt also auch für die Psyche des griechischen Sparers an.
Gewinner/Verlierer: Ein beliebtes Spiel im Politgeschäft. Von einer „Lose-Lose-Situation“ sprach Ratspräsident Donald Tusk am Montagabend. Er sprach über Griechenland und die EU und den Fall einer Nichteinigung. Aber auch ein Deal hat Folgen. Tsipras müsste Wahlversprechen brechen, eventuell stehen in Griechenland Neuwahlen an.
Auch Kanzlerin Angela Merkel hat viel zu verlieren. Zur Debatte im Kreis der Staats- und Regierungschef stand nämlich auch ein Schuldenschnitt für Griechenland, das bestätigte der belgische Premier Charles Michel. Auch Frankreichs sozialdemokratischer Präsident Francois Hollande bevorzugt einen Schuldenschnitt. Merkel aber mochte auf ihrer Pressekonferenz mit Blick auf die unruhige Unions-Bundestagsfraktion nur von „Finanzierbarkeit“ sprechen. Der Hilfspartner IWF besteht auf Schuldentragfähigkeit. Da könnte es für Griechenland Erleichterungen geben, wie immer die mit Rücksicht auf Geber und Nehmer genannt werden. Nicht im zweiten Programm, das stellte Merkel klar. Aber schon am 20. Juli muss Griechenland 3,5 Milliarden Euro an die EZB überweisen. Dann droht die nächste Hängepartie – und vielleicht ein drittes Hilfsprogramm mit einem Schuldendeal. So viel steht fest: Der Deal mit Griechenland birgt noch viel Konfliktpotenzial – auch innenpolitisch in Deutschland.
ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.