Griechenland: Alles bleibt so wie es ist, nur ist nichts mehr so wie es war
Ohne Arbeit, mit kleiner Rente, die nicht regelmäßig kommt - Griechenlands Bürgertum steht vor dem Abgrund. Es ist ein schmerzhafter Niedergang bis in den Ruin.
Athen in diesen kalten Tagen. Ein paar Straßen vom demonstrationserprobten Sygma-Platz entfernt. Eine kleine Gasse. Vom Souterrain eines feinen, schmalen Hauses geht eine Holztreppe hinab in einen matt beleuchteten langen Keller. Auf der Treppe alte Frauen und Männer. Am Eingang steht Kostas. Schaut auf die Wartenden. 72 Jahre ist er alt.
Als er 1941 geboren wird, ist Krieg in seinem Land. Gegen die Italiener zunächst. Dann gegen die Wehrmacht. 1968 flüchtet Kostas vor der furchtbaren Militärdiktatur in Griechenland nach Frankfurt am Main. Arbeitet bei Opel. Er lernt deutsch, seine Frau kommt nach, die Kinder werden geboren. Ab 1969 regiert Willy Brandt. Der einstige Exilant macht die deutschen Türen für die griechischen Exilanten auf. Dann, 1974, tritt Willy Brandt zurück. In Athen müssen die Obristen abdanken.
Als Griechen und Deutsche noch Freunde waren
In seinem Film Z, in der Hauptrolle Yves Montand, schildert der mit dem Oscar ausgezeichnete griechische Regisseur Costa Gavras die Diktatur zwischen 1967 und 1974 in Griechenland. Frankreich und Deutschland sind in jenen Jahren die Fluchtpunkte für tausende Griechen. Und Mikis Theodorakis, der große alte Mann der zeitgenössischen griechischen Musik, gibt Anfang der 70ger Jahre seine ersten Konzerte. Ausverkauft sind sie. Die jungen Griechen und die jungen Deutschen sind Freunde. Die einen haben eine Diktatur hinter sich. Die anderen erleiden sie gerade. Kostas wird diese Zeit, diese Erlebnisse, diese Freundlichkeit der Deutschen nie vergessen.
Nun also steht er in dieser schmalen Gasse vor diesem Kellereingang. Am Ende der Schlange ein Mann mit einer dicken, dunklen Hornbrille. Ein alter, notdürftig geflickter Burberry-Mantel von verstaubter Eleganz. Die dünnen, grauen Haare sind nach hinter rechts gekämmt. Der Schal ist auch grau. Die alten, braunen Schuhe sind geputzt. Der schwarze Gehstock hat einen Silber glänzenden Knauf. Es ist zugig hier. Kostas spricht mit ihm. Er hat kein Einkommen mehr. Seine Frau ist bettlägerig. Kinder haben sie keine. Bauingenieur war er. Die Baublase ist geplatzt. 2009 war das. Seitdem ist er ohne Arbeit. Die Rente ist klein. Er will nicht sagen wie wenig. Und unregelmäßig kommt sie auch.
Ohne Armut, mit kleiner Rente, die unregelmäßig kommt
Sein Bruder zahlt seit einiger Zeit die Miete. Er lebt in Deutschland. Der alte Mann spricht leise. Schaut nach unten. Will nicht angesehen – will nicht gesehen werden. Er steht nach Lebensmitteln an. Die werden unregelmäßig hier verteilt. Das sind nicht die, die immer arm waren, die hier stehen. Hier warten verschämt, die aus dem Bürgertum Abgestürzten. Als Griechenland in die Luft fliegt und plötzlich nichts mehr so ist wie es war. Vielen flog alles um die Ohren, nur wenigen nicht. Das waren die Familien, die vorher regiert und viel Geld verdient haben. Das sind die Familien, die heute regieren und immer noch viel Geld verdienen. „Alles bleibt so wie es ist, nur ist nichts mehr so wie es war,“ heißt es in Griechenland. Petros Markakis, der große zeitgenössische Schriftsteller des Landes, formuliert es so: „Es handelt sich um einen Irrsinn mit einem Kurzzeitgedächtnis.
Er spricht über den schmerzhaften Niedergang bis in den Ruin: „Die neue griechische Tragödie ist zu sehen. In den Läden, Straßen und Büros. In Wohnblocks, auf Plätzen, in Wirtshäusern. Das bittere Ende einer verblödeten Konsumgesellschaft, eines aufgeblasenen Nationalismus der Orthodoxie, der Verschwendungssucht der politischen Klasse, der Staatsdiener, der Neureichen und der Trickser.“ Gibt es einen Ausweg?, hat Markakis sich vor kurzem in einem Gespräch gefragt: „Keiner weiß ihn!“
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).