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Grexit: Griechenland kurz vor dem Abschied aus dem Euro

Griechenlands Parlament stimmt für ein Referendum im Schuldenstreit, die Eurostaaten lehnen eine weitere Verlängerung der Hilfen für Athen ab. Griechenland steht damit kurz vor dem Ausstieg aus dem Euro, die Europäische Union vor der größten Bewährungsprobe seit Einführung der Gemeinschaftswährung.
von Peter Riesbeck · 28. Juni 2015
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Sie haben es tatsächlich getan. In der Nacht zu Sonntag hat das griechische Parlament für ein Referendum über das geforderte Sparpaket gestimmt: Am 5. Juli werden Griechenlands Wähler darüber entscheiden, ob sie den Sparplan der Regierung mittragen oder nicht – und damit, ob das Land Mitglied der Eurozone bleibt.

Nur Stunden zuvor hatten die Eurostaaten aus Verärgerung über die Ankündigung des Referendums eine Verlängerung des zweiten Hilfspakets abgelehnt. Von einem „traurigen Tag“, sprach Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. „Eine Übereinkunft ist missglückt“, sagte der niederländische Sozialdemokrat. Griechenland steht damit vor dem Abschied aus der Eurozone, die Europäische Union vor der größten Bewährungsprobe seit Einführung der Gemeinschaftswährung.

Ärger der Euro-Länder auf Athen

Mittlerweile hat die Debatte über die Deutungshoheit und die Frage, wer für die Vorgänge die Verantwortung trägt begonnen. „Mit der Unterstützung durch unser Volks, werden wir das Ultimatum zurückweisen, das ein Affront ist gegen Europas demokratische Tradition“, ließ Griechenlands Linkspremier Alexis Tsipras verlauten. Er bemühte die legitimatorische Kraft des Souveräns. Die Europartner beriefen sich auf die Fakten und die Umstände der vergangenen Tage: Fünf Mal binnen zehn Tagen hatte die Eurogruppe beraten, zweimal hatte binnen einer Woche ein Gipfel getagt, am Freitag hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs sozialdemokratischer Präsident François Hollande einen letzten Vermittlungsversuch unternommen.

15,5 Milliarden Euro hatten die Euroländer Griechenland im Gespräch mit Tsipras zugesagt. Der Ministerpräsident reiste ab und ließ am Freitagabend aus Athen erst das Verhandlungsangebot zurückweisen, um dann kurz vor Mitternacht ein Referendum anzukündigen. Von Vertrauensbruch war in Brüssel zu hören. Das Verhandlungsmandat sei entzogen, erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor den Beratungen der Eurofinanzminister am Sonnabend. Nach einer ersten Sitzungsrunde erklärte Eurogruppenchef Dijsselbloem: „Das Hilfsprogramm läuft am Dienstagabend ab. Daran können wir nichts ändern.“

Die Eurogruppe tagte zu achtzehnt – ohne Griechenland

Dann zogen sich die Finanzminister der Eurostaaten erneut zu Gesprächen zurück. In der Runde von 18. Einer fehlte: der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis. Er reiste ab und war bei den Beratungen nicht mehr anwesend: eine Eurogruppe ohne Griechenland – ein symbolisches Bild.

Varoufakis habe sich selbst verabschiedet, wollte Dijsselbloem hinterher vorschnellen Schlüssen entgegentreten. Frankreichs Finanzminister Michel Sapin kündigte einen weiteren Vermittlungsversuch an. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz erklärte in der ARD: „Die Tür bleibt offen.“ Und Finanzminister Schäuble sagte: „Griechenland bleibt und ist Mitglied der Eurozone und Europas.“

Juristisch stimmt das. Ein Ausscheiden aus der Eurozone ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Rechtlich wäre er über Artikel 50 des Lissabonner Vertrags nur über einen Austritt aus der EU möglich. Aber: Wo ein Wille sei, sei auch ein Weg, hieß es in Brüssel. Das sind die rechtlichen Probleme.

EU will übergreifen der Krise mit allen Mitteln verhindern

Heikler sind die politischen und ökonomischen Auswirkungen. Am 30. Juni muss das Land einen Kredit beim Währungsfonds IWF in Höhe von 1,6 Milliarden Euro zurückzahlen. Geld, das Griechenland nicht hat. Weitere Hilfen sind nicht zu erwarten, am 30. Juni läuft nun auch das zweite Hilfspaket aus. Griechenland droht die Staatspleite. Aus Plan B werde jetzt Plan A, sagte Finnlands Finanzminister Alexander Stubb in Brüssel: Griechenland steht vor dem Abschied aus Euro. Und Europa vor einer neuen Welle der Eurokrise. Ökonomisch und politisch. In Spanien demonstrierten Anhänger der Linksbewegung „Podemos“ am Wochenende für Tsipras und seinen Wege des Referendums.

Von „schwierigen Tagen“ sprach Bundesfinanzminister Schäuble in Brüssel, versprach aber auch: „Wir werden alles unternehmen, um eine weitere Ansteckungsgefahr zu verhindern.“ Rettungsschirm ESM, Bankenrettungsfonds SRM – Europa wird nun seine Instrumente testen müssen, um ein Ausgreifen der Krise auf Portugal, Spanien und Italien zu verhindern. Das könnte mitunter teuer werden.

Ist die europäische Integration umkehrbar?

Auch die politischen Kosten für Europa sind hoch. Es geht um das Erscheinungsbild der EU und die Frage: Ist die europäische Integration umkehrbar? Und es geht um die wirtschaftlichen Folgen. Am Wochenende bildeten sich in Griechenland lange Schlangen vor den Geldautomaten. Viele spuckten keine Scheine mehr aus. Ziehen die Sparer weiter Geld ab, drohen Griechenlands Banken zu kippen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) muss am Montag über weitere Notkredite befinden, sieht weitere Hilfen aber kritisch, so war zu hören. Über Griechenlands Zukunft im Euro und Europa entscheidet nun nicht allein am kommenden Sonntag der griechische Wähler. Griechenlands Zukunft liegt jetzt in den Händen der griechischen Sparer.

Autor*in
Peter Riesbeck

ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.

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