Globalisierung: „Wir sollten unsere Abhängigkeit von China reduzieren“
IMAGO/ZUMA Wire
Chin droht Taiwan mit einer gewaltsamen Einnahme. Worum geht es in dem Konflikt?
Aus Sicht der Kommunistischen Partei gehört Taiwan zur Volksrepublik China und ist seit dem Bürgerkrieg 1949 eine abtrünnige Provinz. Seit mehr als 70 Jahren ist es Pekings Ziel, die Kontrolle über Taiwan zurückzuerlangen. Unter Partei- und Staatschef Xi Jinping hat dieses Vorhaben eine hohe Priorität bekommen und die Volksbefreiungsarmee wird aufgerüstet, um Taiwan gegebenenfalls auch gewaltsam erobern zu können. Die Militärübungen nach Pelosis Besuch sind Teil dieser Vorbereitungen.
Warum ist Taiwan für China so wichtig?
Für die Kommunistische Partei ist das eine Frage der nationalen Einheit und der eigenen Glaubwürdigkeit. Der Anspruch auf Taiwan ist so sehr Teil des nationalen Bewusstseins, dass die Partei da keine Kompromisse machen wird – zumal Xi überzeugt ist, dass die Zeit auf Pekings Seite sei.
Welche Rolle spielen die USA dabei?
Für die USA geht es um ihre Vormachtstellung in der Pazifik-Region und als führende Weltmacht überhaupt. In Taiwan prallen die Ansprüche der beiden Großmächte aufeinander. Die USA haben sich 1979 mit dem Taiwan Relations Act dazu bekannt, Taiwan zu unterstützen, sich gegen eine mögliche Invasion zu verteidigen. Seitdem hat sich das Verhältnis zwischen Washington und Peking natürlich grundsätzlich verändert, und heute geht es im Taiwan-Konflikt immer auch um die Frage, ob und wie die beiden Großmächte nebeneinander existieren können. Eine Eskalation des Konflikts hätte weltweite Auswirkungen, nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich, vor allem weil Taiwan bei Computer-Chips weltweit führend ist.
Einiges erinnert an der aktuellen Situation an den Überfalls Russlands auf die Ukraine im Februar. Auch er begann mit einem Militärmanöver. Wiederholt sich das Szenario gerade?
Die Parallelen drängen sich natürlich auf – auch für Peking. Dort wird sehr genau beobachtet, wie der Westen auf die russische Aggression gegenüber der Ukraine reagiert hat. Ein Sanktionspaket, wie es die G7-Staaten gegen Russland verhängt haben, würde auch China schwer treffen. Käme es in Taiwan tatsächlich zu einer militärischen Auseinandersetzung, wäre das Eskalationsrisiko aber noch viel größer als in der Ukraine, das wäre eine noch viel gefährlichere globale Krise.
China wie Taiwan gehören zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Was würde eine Zuspitzung des Konflikts für die deutsche Wirtschaft bedeuten?
Die Situation spitzt sich ja nicht erst seit kurzem zu. Schon in den letzten Jahren ist China als Markt und Wirtschaftspartner für viele Unternehmen deutlich riskanter geworden. Das bedeutet nicht, dass die Unternehmen in China keine Geschäfte mehr machen, im Gegenteil: Für viele läuft es derzeit in China sehr gut. Aber die Unternehmen versuchen, ihr Chinageschäft vom Rest der Welt unabhängiger zu machen, vor allem durch Lokalisierung. Die Devise heißt „in China für China“. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Sollte sich der Konflikt zwischen China und den USA aber in Richtung einer militärischen Konfrontation zuspitzen, würde das allerdings alles bisherige Engagement in Frage stellen. Das hätte dann tiefgreifende Folgen für das gesamte Weltwirtschaftssystem.
Zurzeit merkt Deutschland bei der Energieversorgung schmerzhaft, wie gefährlich es sein kann, von einem Land abhängig zu sein. Lassen sich daraus Lehren für den Umgang mit China ziehen?
Die Verflechtung mit China ist eine ganz andere als mit Russland. Bei Russland dreht sich für uns ja alles um die Energieversorgung. Die ist lebensnotwendig, aber im Kern geht es um nur drei Produkte: Gas, Öl, Kohle. Im Fall von China ist das deutlich komplexer. Aus China beziehen wir tausende Produkte, und bei einigen ist China der weltweit dominierende Hersteller, wie wir in der Corona-Pandemie am Beispiel von Masken gelernt haben. Gleichzeitig ist China ein Schlüsselmarkt für deutsche Unternehmen. Die Abhängigkeiten sind nicht einseitig: China braucht auch uns, etwa als Technologielieferant. Aber Peking setzt seit einigen Jahren alles daran, eigene Abhängigkeiten abzubauen und unsere Abhängigkeiten politisch als Druckmittel einzusetzen. Wir sollten deshalb die Zeit nutzen, auch unsere Abhängigkeiten zu analysieren und zu reduzieren.
Woran denken Sie dabei?
Ein Mittel, das neuerdings diskutiert wird, ist eine Transparenzpflicht für Unternehmen, offenzulegen, welchen Anteil ihr Chinageschäft am Gesamtumsatz hat und wo es Abhängigkeiten gibt, etwa bei Rohstoffen oder Zulieferungen, die überwiegend aus China stammen. Das kann helfen, Risiken einzuschätzen, Abhängigkeiten rechtzeitig zu reduzieren und im Zweifelsfall auch staatliche Hilfen sinnvoll zu verteilen. In der Corona-Pandemie haben wir hier sehr dazugelernt.
China macht schon länger Politik, indem es Infrastrukturprojekte in anderen Ländern, vor allem in Afrika und Asien, finanziert. Stichwort: Neue Seidenstraße. Wie groß ist der chinesische Einfluss in diesen Ländern bereits?
Für die Länder des globalen Südens ist China ein mächtiger und wichtiger Akteur. Viele dieser Länder waren früher stark auf westlich dominierte Institutionen wie etwa die Weltbank angewiesen. Das hat sich gründlich geändert. China finanziert Projekte wie den Bau von Straßen, Wasserversorgung oder Telekommunikationsnetzen, meist aber zu viel einfacheren Bedingungen, als das bei Projekten westlicher Entwicklungszusammenarbeit der Fall ist. Gerade für autokratische Systeme ist China ein deutlich bequemerer Partner. Das hat Chinas Position enorm verbessert. Zudem versteht China Entwicklungsländer meist deutlich besser als westliche Staaten. Negative Aspekte der Zusammenarbeit werden da schnell mal ausgeblendet.
Die G7 wollen nun mit einem eigenen Investitionsprogramm die chinesische Vorherrschaft brechen. Kann das erfolgreich sein?
Rein in Zahlen betrachtet, geben die westlichen Länder schon jetzt deutlich mehr Geld für den Aufbau von Infrastruktur im globalen Süden aus als China. Man sollte aber nicht unterschätzen, dass der Westen in den vergangenen Jahren an Strahlkraft verloren hat, auch durch eigene Fehler und Arroganz, nicht zuletzt im Umgang mit der kolonialen Vergangenheit. Westlich geprägte demokratische Marktwirtschaften sind nicht mehr zwangsläufig die Vorbilder. Das Verhältnis zu China ist dagegen unbelastet und Peking verspricht ein alternatives Entwicklungsmodell. Trotzdem können die G7 mit ihrem Programm Erfolg haben, wenn den Worten endlich auch Taten folgen. Ankündigungen wie jüngst beim Gipfel in Elmau gab es ja schon häufiger, aber dann ist nicht viel passiert. Klar ist: Der Westen muss den Ländern des globalen Südens als Partner ernst nehmen und ihnen für die Zusammenarbeit gute Angebote machen – bessere als China.
node:vw-infobox
Das Interview wurde am 12. August 2022 veröffentlicht.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.