Gertz: "Bei der Polizeiausbildung haben wir jämmerlich versagt"
vorwärts-online: Herr Gertz, Sie haben gesagt, in Afghanistan herrscht Krieg. Woran machen Sie das fest?
Bernhard Gertz : Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass die Taliban in immer größerer Zahl zurückkommen und dass sie sich in Teilen sogar schon zu so etwas wie symmetrischer
Kriegführung verabreden.
Wenn Sie sich z.B. vor Augen halten, was vor etwa vier Wochen unseren französischen Kameraden nicht allzu weit von Kabul entfernt passiert ist. Die sind von drei Talibangruppen, die sich erstmals zu einer gemeinsamen Aktion zusammengeschlossen haben, stundenlang beschossen worden. Die hatten sich in einem Talkessel verschanzt, dort auf die Franzosen gewartet und haben denen ein symmetrisches Gefecht geliefert.
Das heißt, das ist nicht die Aktion von Terroristen, die irgendwo eine Bombe hochgehen lassen und dann möglichst schnell abhauen, sondern die haben sogar Reserven zugeführt. Wenn das kein
Krieg ist, dann weiß ich nicht, welche Vokabel dafür passt.
Sie haben im Zusammenhang mit dem ISAF-Einsatz von viel Stückwerk gesprochen. Was meinen Sie konkret?
Ich meine gar nicht den militärischen Teil des ISAF-Einsatzes. Der hat ja vernünftigen Sinn und vernünftige Konturen. Das Problem ist, dass in Afghanistan die Koordination zwischen den zivilen Aufbaumaßnahmen und dem militärischen Vorgehen absolut nicht stattfindet.
Die Koordinationsmechanismen, die es auf dem Papier gibt mit Präsident Karsai und der afghanischen Regierung, werden nicht genutzt. Das heißt: Im Grunde geht der zivile Aufbauprozess und der militärische Prozess weitgehend unkoordiniert nebeneinanderher. Und auf der zivilen, auf der Wiederaufbauseite gibt es nach wie vor außerordentlich große Lücken.
Wo zum Beispiel?
Denken Sie nur an die Polizeiausbildung. Ich habe mit Interesse gelesen, dass das Bundesinnenministerium neuestens verlauten lässt, man hätte seit 2002 22.000 Polizisten ausgebildet. Das halte ich für eine geradezu dreiste Lüge.
Sie zweifeln das an?
Das ist völliger Stuss. Wir haben ab 2002 bis 2007, als wir die Verantwortung für die Polizeiausbildung an die EU losgeworden sind, nie mehr als 40 deutsche Polizeibeamte im Land gehabt. Und davon waren immer ungefähr 37 in Kabul, einer in Kundus, einer in Faizabad und einer in Masar-e Scharif. Wie wollen Sie denn da 22.000 Polizisten ausbilden?
Die einzigen, die im Norden Afghanistans in größerer Stückzahl Polizei auf der unteren Ebene ausbilden, sind unsere Feldjäger in Masar-e Scharif. Und das ist eigentlich nicht deren Aufgabe.
Und wenn man sich damit brüstet, man hätte inzwischen 60 deutsche Beamte in Afghanistan, was ich, mit Verlaub, zunächst mal nicht glaube, bevor ich es nicht Schwarz auf Weiß gesehen habe, dann
ist das immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn um diesem Land, das siebenmal so groß ist, wie Deutschland, Sicherheitsstrukturen zu geben, braucht man in der Fläche präsente, loyale
und vollständig und ausreichend bezahlte Polizeikräfte, damit man sie nicht ausbildet uns sie sich nächste Woche beim Nächstbesten verdingen, wie das leider häufig passiert ist.
Brauchen wir mehr deutsche Polizisten in Afghanistan?
Ich will mich gar nicht auf Deutschland konzentrieren. Das ist ein Versagen aller Beteiligten, die sich verabredet haben, in diesem Land Sicherheitsstrukturen aufzubauen damit wir auch mal eine Perspektive bekommen, uns aus dieser Aufgabe zurückziehen zu können. Da haben wir jämmerlich versagt. Wir haben inzwischen 2008 und wir sind immer noch mehr oder weniger am Anfang, was die Sicherheitsstrukturen angeht.
Beim Streitkräfteaufbau ist es in jüngster Zeit ein bisschen besser geworden, aber auch da haben wir jahrelang Zeit verloren.
Ein Problem war doch immer, dass es von deutscher Seite zu wenig Polizisten gab, die überhaupt dort hinwollen, und dass sich Bayern weigert, Polizisten zu entsenden.
Darüber habe ich mich mit den Kollegen unterhalten, auch von der Bundespolizei und auch mit Kollegen aus den Gewerkschaften. Es hat immer mehr Freiwillige gegeben als deutsche Innenminister bereit gewesen sind, nach Afghanistan zu entsenden. Das ist Punkt eins.
Zweitens sind diejenigen, die entsandt worden sind, nicht etwa dafür belohnt worden, dass sie den Mut gehabt haben, unter den Risiken, die in diesem Land bestehen, eine solche Aufgabe zu meistern, sondern man hat dann die, die zu Hause geblieben sind, an ihnen vorbei befördert. Das heißt, dass es wenig Motivation dafür gegeben hat, eine freiwillige Meldung in Betracht zu ziehen. Das ist ein ziemlich übler Zustand.
Und dann gibt es Bundesländer wie z.B. den Freistaat Bayern, der offensichtlich aus prinzipiellen Erwägungen noch nie einen einzigen Beamten dorthin geschickt hat. Ich finde das schon ziemlich dreist, wenn man auf der einen Seite behauptet, man stünde hinter der Bundeswehr, auf der anderen Seite die eigenen Soldaten, auch die aus Bayern, dann so schmählich im Stich lässt. Der Aufbau von Sicherheitsstrukturen dient auch dem Schutz der deutschen Soldaten.
Der Bundestag entscheidet demnächst über ein neues Mandat für Afghanistan. Es soll zusätzliche 1000 Soldaten geben, auch der Einsatz von Awacs-Flugzeugen wird erwogen. Wie sehen Sie das Mandat?
Wir sind dazu verurteilt, diesen Weg zu gehen. Daran führt nichts vorbei. Wir haben ja in der Vergangenheit schon zusätzliche Aufgaben übernommen. Deswegen brauchen wir größere Flexibilität, mehr Spielraum, um je nach Lageentwicklung zusätzliche Sicherungskräfte für unsere Einrichtungen im Norden Afghanistans bereitstellen zu können.
Und die Awacs-Flugzeuge sind unabdingbar notwendig. Denn es gibt in Afghanistan keine Infrastruktur für Luftverkehrsführung. Da wir aber immer mehr Luftfahrzeuge über Afghanistan am Himmel haben, wird es dringend notwendig, dass das tatsächlich so gelenkt wird, dass es nicht womöglich noch zu Kollisionen kommt.
Dass die Daten dann auch zur Führung von Jagdbombern genutzt werden könnten, sollte man gemeinsam mit den Partnern ausschließen.
Bleibt es dabei, dass die Bundeswehr nur im Norden operiert?
Ich denke, die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie sich auf den Norden konzentriert. Denn wie die jüngste Entwicklung zeigt, leben wir dort nicht auf einer Insel der Seligen, sondern müssen damit rechnen, dass sich auch dort die Taliban dort immer stärker in Szene setzen und unsere Soldaten bedrängen. Deswegen haben wir genug auf dem eigenen Hof zu tun, bevor wir uns Gedanken darüber machen, was wir noch tun könnten.
Im Übrigen will ich noch mal wiederholen: Was ich von der Bundesregierung wünsche und von der Staatengemeinschaft insgesamt, ist ein entschiedenes Mehr beim zivilen Wiederaufbau. Die militärische Seite ist eigentlich ganz gut bereedert, militärisch allein kann man in Afghanistan definitiv nicht erfolgreich sein. Man muss die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern, damit sie ein Motiv haben, den Zustand heute besser zu finden als den, den es früher gab.
Interview: Karsten Wiedemann