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Gernot Erler: „Die antiwestliche Politik Russlands wird nicht mehr hingenommen“

Der Konflikt zwischen Russland und den westlichen Ländern eskaliert. Das liegt laut Experten an den unterschiedlichen Zielen beider Seiten. Ein weiterer Grund: Der Westen nehme das Verhalten Russlands nicht mehr hin.
von Fabian Schweyher · 24. April 2018
Der Kreml in Moskau
Der Kreml in Moskau

Die Diagnose von Reiner Schwalb fällt harsch aus, immerhin vergleicht der Brigadegeneral die russische Außenpolitik mit einer psychischen Störung. Er sehe eine „Paranoia der Bedrohung von innen und außen“. Schwalb ist nicht irgendwer. Der Soldat arbeitet in Moskau, als Militärattaché der deutschen Botschaft. An diesem Montagabend sitzt er in Berlin im Bundespresseamt. Dorthin hat die Deutsche Atlantische Gesellschaft zu einer Debatte zur russischen Außen- und Sicherheitspolitik geladen.

Das Feindbild des Westens

Schwalb führt aus, dass der Kreml einerseits aufgrund der angeblichen Bedrohung einen „Sicherheitsbereich“ um Russland herum verlange. Auslöser dafür sei die historische Erfahrung mit den Russlandfeldzügen Napoleons 1812 und Adolf Hitlers 1941, als das Land von eigentlich verbündeten Partnern angegriffen wurde. Andererseits fühle sich der Kreml laut Schwalb von innen bedroht, etwa durch Volksaufstände. „Revolutionen sind aus russischer Sicht immer von außen gesteuert.“

Die Maidan-Revolution 2013/2014 in der Ukraine habe die russische Führung als „regime change“ durch die USA betrachtet, erklärt Gernot Erler (SPD) – wie schon die Farbrevolutionen in Georgien 2003 und der Ukraine 2004 zuvor. Der frühere Russlandbeauftragte der Bundesregierung sieht im russischen Verhältnis zum Westen eine „Entfremdung mit Folgen“. Nach dem Ende der Sowjetunion habe die politische Klasse den Machtverlust nie akzeptiert. Die NATO-Osterweiterung sei als „antirussische Politik“ gewertet worden. Erler führt aus: Das Denken des Kremls sei beeinflusst von einem Feindbild des Westens.

Dialog gefordert

In Folge der Maidan-Revolution sei daher ein „gefährlicher Eskalationsprozess“ ausgelöst worden: Ostukraine-Konflikt, Krim-Annektion, ballistische Raketen in der Enklave Kaliningrad, NATO-Eingreiftruppe im Baltikum und russische Truppen auf der anderen Seite der Grenze, Anhebung der US-Rüstungsausgaben, Militärmanöver auf beiden Seiten, anfliegende russische Militärmaschinen in fremde Lufträume.

Erlers Fazit: „Im Moment ist ein Ende der Eskalation nicht in Sicht.“ Hinzu kommt: „Die antiwestliche Politik Russlands wird nicht mehr hingenommen.“ Erler verweist auf den Giftanschlag auf den Doppelspion Skripal in Großbritannien, in dessen Folge fast 30 Staaten russische Diplomaten ausgewiesen hatten. „Wir brauchen einen Dialog mit Russland“, fordert der frühere Staatsminister.

Unerwartete Prioritäten

Nur wie lässt sich das russische Agieren verstehen? Brigadegeneral Reiner Schwalb sieht drei Prioritäten, die Putin verfolgt: Sicherheit und Respekt, gefolgt von ökonomischer Entwicklung. Die ersten beiden Punkte seien mit der Modernisierung des Militärs und der Rückkehr auf die Bühne der internationalen Politik erreicht worden. Der Militärattaché geht deshalb davon aus, dass als nächstes die ökonomische Entwicklung angegangen werde.

„Wir dachten, dass die Ökonomie handlungsanleitend ist“, beschreibt auch Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Diese Vorstellung sei falsch gewesen. Für die russische Politik stehe die „Regimestabilität“ an erster Stelle. Überhaupt werde Russland entweder vom Westen über- oder unterschätzt. „Russland ist bei Weitem mehr als eine Regionalmacht, aber keine globale Großmacht.“ Außerdem: Während westliche Staaten ein rationales Handeln erwarten, spiele die russische Führung mit ihrer Unberechenbarkeit.

Hybrider Krieg

Dazu gehört auch der Umgang mit Fakten, etwa im Fall des Malaysia-Airlines-Flugs 17; das Flugzeug wurde 2014 mit einer Buk-Rakete aus dem Separatistengebiet in der Ostukraine abgeschossen. Dabei werden gezielt massenweise irreführende Erklärungen verbreitet – „bis sich niemand mehr traut, sich festzulegen“, so Gernot Erler. Das habe Methode. „Die Desinformation belastet unser Verhältnis“, sagt er. „Wir brauchen Vertrauen in der internationalen Politik und ich will es auch von Russland haben, aber dort wird es zerstört.“

Reiner Schwalb erklärt sich das russische Verhalten damit, dass sich Russland in einem hybriden Krieg fühle. „Wenn sich Russland in die Ecke gedrängt fühlt, wird es weiter hybrid agieren“, kündigt er im Bundespresseamt an. Deswegen seien Gespräche wichtig. „Wir sollten Russland deutlich machen, dass die EU und die NATO zur Stabilität innerhalb Europas beitragen und dass damit auch Russland seine Ruhe hat.“ Er ist sich sicher, dass das Verhältnis mit dem Kreml erst dann entspannt werden könne, wenn der Ukraine-Konflikt gelöst sei.

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