Gegner der neuen ägyptischen Verfassung blieben zu Hause
98 Prozent Zustimmung zu Ägyptens neuer Verfassung. Ein fast sowjet-sozialistisches Wahlergebnis. Es riecht zwar nach einem manipulierten Resultat, muss aber nicht sein, macht man die Wahlbeteiligung zum Maßstab für den Erfolg dieser landesweiten Abstimmung.
Nur 36,6 Prozent der Ägypter sind an den zwei Tagen zur Urne gegangen. Und überall dort, wo die Moslembrüder bei den letzten Wahlen stark waren, sank die Beteiligung sogar unter 30 Prozent. So in der Hauptstadt Kairo, aber auch in kleineren Städten wie Assiut oder Minja oder anderen Hochburgen der Moslembrüder wie dem Faijum, einer landwirtschaftlich geprägten Oase vor den Toren Kairos. Vor dem Referendum hatte diese inzwischen verbotene und zu Terrororganisation erklärte Islamistenbewegung zum Boykott der Abstimmung aufgerufen. Offensichtlich nicht ganz ohne Erfolg, obwohl die Gegner der Verfassung, Moslembrüder wie auch einige Liberale, von der Polizei und der Staatssicherheit massiv eingeschüchtert worden waren.
Gegner des Referendums riskierten ihr Leben oder wurden verhaftet
Kleber von Boykottplakaten oder Flugblattverteiler waren auf der Straße verhaftet und auf den Polizeistationen verprügelt worden. Wer gegen das Referendum demonstriert hatte, riskierte sogar sein Leben. Die Polizei schoss scharf. 12 Menschen, die meisten Moslembrüder, wurden während der beiden Wahltage getötet, Dutzende verletzt. Mehr als 400 Menschen nahm die Polizei nach eigenen Angaben fest.
Nur Ja-Sager gingen zur Wahl
Zur Wahl gegangen sind also offensichtlich nur die Ja-Sager. Daher die scheinbar überwältigende Zustimmung. Wer die Verfassung ablehnen wollte, stimmte nicht etwa mit „nein“ sondern ging gar nicht erst zur Urne. Und das waren nicht wenige. Die schlechte Wahlbeteiligung lässt zweierlei erkennen. Zum einen ist der Einfluss der Moslembrüder nicht wirklich gebrochen. Offenbar verfügen sie in ihren Hochburgen nach wie vor über Anhänger, die sie mobilisieren können, auch wenn die gesamte Führungsspitze der Bruderschaft inzwischen im Gefängnis sitzt und auf ihren Prozess wartet.
Auch die einfachen Moslembrüder riskieren sofort verhaftet zu werden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zu erkennen geben, hatte die Übergangsregierung sie doch vor drei Wochen pauschal zu Terroristen erklärt. Das macht sie zu Freiwild der Polizei. „Die eigentlichen Terroristen sind doch die Polizisten, die auf uns schießen“, erklärte mir diese Woche verbittert ein junger Student, doch er werde weiter gegen dieses Regime demonstrieren, selbst wenn er sein Leben opfern müsse. Gerade unter Studenten ist diese fanatisierte Haltung verbreitet. Universitäten gleichen daher mehr Heerlagern von Polizei und Militär denn Lernorten. Jede Demonstration soll im Keim unterdrückt werden.
Politische Lager bleiben unversöhnlich
Die politischen Lager stehen sich in Ägypten also immer unversöhnlicher gegenüber. Auf der einen Seite die Regierungsgegner auf der anderen die Unterstützer, von denen viele den Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sissi als ihr neues Politidol feiern. Am vergangenen Montag hatte Ägyptens oberster General noch angedeutet, er könne sich eine Kandidatur bei den Präsidentenwahlen durchaus vorstellen und damit die Abstimmung über die Verfassung zu einem Votum über seine Kandidatur gemacht. Meint er es ernst, dann dürfte ihm die Zustimmungsrate zur Verfassung sicherlich reichen, kaum aber die Wahlbeteiligung.
Die allerdings zeigt noch einen weiteren Trend: nicht alle, die an den beiden Wahltagen zu Hause geblieben waren, wollten damit nein zur Verfassung sagen. Dahinter steckte auch schlichte Wahlmüdigkeit. Das Lager der Politikverdrossenen wächst in Ägypten und damit auch die Sehnsucht nach einem starken Mann, der Ruhe, Sicherheit und Arbeitsplätze schafft. „As-Sissi“-Rufe waren am vergangenen Dienstag und Mittwoch jedenfalls vor etlichen Wahllokalen schon zu hören.