Gastbeitrag: Ende der Hoffnung in Afghanistan?
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Im 17. Jahr nach 9/11 und dem Beginn der Intervention stehen Afghanistan und die internationale Gemeinschaft an einem Scheideweg. Deutschlands längster, kostenintensivster und opferreichster Auslandseinsatz erweckt kaum mehr öffentliches Interesse. Es dominiert das Bild eines scheinbar „verlorenen Landes“, seit fast 40 Jahren geprägt von Konflikten und Gewalt.
Afghanistan: ein Land im Krieg
Dabei hat Deutschland als eine der größten bilateralen Gebernationen in Afghanistan durchaus zu Fortschritten beigetragen: etwa in den Bereichen militärisches und polizeiliches Training, Bildung, medizinische Versorgung, Gesundheit und Armutsbekämpfung. Auch hat Afghanistan, zumindest in den großen Städten, eine aktive Zivilgesellschaft und Medienlandschaft.
Gleichzeitig dürfen wir gerade im Lichte der jüngsten furchtbaren Ereignisse eine ehrliche Bestandsaufnahme nicht scheuen. Afghanistan ist ein Land im Krieg. Eine neue BBC-Studie schätzt, dass die Taliban in bis zu 70 Prozent des Landes aktiv sind. Zu immer mehr Anschlägen bekennt sich der sogenannte „Islamische Staat“. In Kabul, inzwischen einer der gefährlichsten Orte des Landes, scheinen sich Taliban und IS einen Wettbewerb um Anschläge zu liefern. Ihre Botschaft: „Niemand ist sicher, jeden kann es treffen.“ Die zivilen Opferzahlen liegen weiter auf Rekordniveau, die militärischen und polizeilichen sind noch einmal höher. Die neue US-Strategie, von Nato und afghanischer Regierung als Erfolg bewertet, bedeutet eine massive Ausweitung von Luftschlägen, Drohnenangriffen und damit verbunden auch den Tod unbeteiligter Zivilisten. Die Zahl der Binnenvertriebenen steigt weiter.
Verbesserungen unwahrscheinlich
Unsicherheit in Afghanistan hat zudem viele Gesichter. Zu Anschlägen kommen kriminelle Netzwerke, korrupte Sicherheitsorgane, private Milizen, eine regelrechte Entführungsmafia, aber auch sexuelle Gewalt, um nur einige Beispiele zu nennen.
Auch im Norden Afghanistans, dem Schwerpunkt des deutschen Engagements, ist eine Verschlechterung der Sicherheitslage in vielen Provinzen festzustellen; gerade in Gebieten, die wir in der Vergangenheit für vermeintlich sicher hielten. Viele Fortschritte ließen sich nicht verstetigen, Errungenschaften blieben fragil. Eine Verbesserung der Lage ist mit Blick auf die bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, eine zerstrittene Regierung an ihren Kapazitätsgrenzen und eine weiter zunehmende politische Fragmentierung im Land nicht wahrscheinlich.
Immer weniger zivile Hilfe
Und wir? Als internationale Gemeinschaft war die Antwort auf die sich zuspitzende Lage gerade für zivile Organisationen notgedrungen, sich mehr und mehr aus der Fläche zurückzuziehen. Save the Children, das Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen – auch humanitäre Helfer wurden wiederholt zur Zielscheibe. Der Raum für ziviles Engagement schrumpft dramatisch. Die verheerenden Anschläge auf das deutsche Generalkonsulat in Mazar-i Sharif im November 2016 und vor der Botschaft in Kabul im Mai 2017 stehen als traurige Symbole für diese Entwicklung. Viele Ausländer sehen von Afghanistan lediglich noch die Hauptstadt Kabul, und auch das nur äußerst eingeschränkt.
Zeit also, das Land aufzugeben, den Kopf in den Sand zu stecken? Keineswegs! Afghanistan braucht unsere fortgesetzte Solidarität. Gerade jetzt, wo die Dinge eine dramatische Entwicklung nehmen.
Strategiediskussion tut dringend Not
Gleichzeitig ist ein unkritisches „Weiter so“ keine Option. Eine gesamtheitliche Evaluierung des deutschen Afghanistan-Engagements als Grundlage für eine umfassende Strategiediskussion tut dringend Not. Eine solche hat als bisher einziges Nato-Land Norwegen unternommen. Sie kann ein Beispiel sein.
Ich selbst arbeite in Kabul, gemeinsam mit afghanischen Freunden, Partnern und Kollegen. Mein Respekt und meine Bewunderung gelten ihnen – ihrem unfassbaren Mut, ihrer Widerstandskraft, ihrer Menschlichkeit. Viele bleiben in Afghanistan und arbeiten bis zur Erschöpfung gegen ein Schicksal, das offenbar eine Wette gegen ihr Land abgeschlossen hat. Viele andere verlassen Afghanistan, weil sie für sich inmitten von Gewalt und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit keine Zukunft sehen. Alle verdienen sie unseren Respekt und Empathie.
Ehrliches Interesse für einen vergessenen Krieg
Wie wir die Menschen in Afghanistan und auch unsere Außenpolitik unterstützen können? Indem wir wieder ein ehrliches Interesse zeigen für einen vergessenen Krieg, und zwar unabhängig von innenpolitischen Anlässen. In der aktuellen Krisensituation wäre es schon ein Erfolg, wenn die Dinge am Hindukusch nicht noch schlimmer werden. Dabei können und müssen wir helfen.
ist Leiter des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Asien mit Sitz in Singapur. Er war zuvor Büroleiter in Afghanistan und hat Politikwissenschaft u.a. an der Harvard Universität und St. Andrews studiert.