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Gabriela Heinrich: „Im Moment ist Moskau kein verlässlicher Partner“

Der Giftanschlag auf Alexej Nawalny belastet die deutsch-russischen Beziehungen. Trotzdem müsse man mit Moskau im Gespräch bleiben, sagt die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gabriela Heinrich.
von Claudia Detsch · 9. September 2020
Keine Grundlage für eine strategische Partnerschaft: Der Giftanschlag auf den Oppositionelle Alexej Nawalny belastet die deutsch-russischen Beziehungen.
Keine Grundlage für eine strategische Partnerschaft: Der Giftanschlag auf den Oppositionelle Alexej Nawalny belastet die deutsch-russischen Beziehungen.

Die Vergiftung Alexej Nawalnys hat zu erheblichen diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und Russland geführt. Insbesondere die Verwendung eines chemischen Nervenkampfstoffs ruft Bestürzung hervor. Warum ist dieser Punkt so wichtig?

Es ist unglaublich erschreckend, wenn Menschen in einem zivilisierten Land durch einen chemischen Nervenkampfstoff vergiftet werden können. Das ist ja nicht einfach nur der Versuch, einen führenden Oppositionellen zu töten und seine Mitstreiter einzuschüchtern. Das allein wäre schlimm genug. Aber bei der versuchten Tötung von Alexej Nawalny wurde ein weltweit geächteter Kampfstoff eingesetzt und damit eine extrem wichtige Norm verletzt. Das Verbot und die Ächtung von Chemiewaffen bewahren uns und die Welt vor den Abgründen der Kriegsführung mit menschenverachtenden Mitteln. Der Einsatz von Chemiewaffen muss ein Tabu bleiben.

Welche Möglichkeiten einer Reaktion haben Deutschland und die EU konkret?

Die bisherige klare Kommunikation ist sicher ein erster, wichtiger Schritt. Die Verantwortlichen müssen verstehen, dass sie sich nicht in einem rechtsfreien Raum bewegen. Die EU verfügt aber auch über stärkere Mittel. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim gelten zielgerichtete Sanktionen. Russland ist seither nicht mehr Teil der G8, hat die Chance auf eine Aufnahme in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorerst vertan und wird von Wirtschaftssanktionen belastet, die unter anderem den Finanzsektor treffen. Auch gegen verantwortliche Individuen und Einrichtungen wurden Sanktionen in der Form von EU-weiten Einreiseverboten und dem Einfrieren von Vermögenswerten in der EU verhängt. Diese Sanktionen können gemeinsam mit unseren europäischen Partnern erweitert und verschärft werden. Sie können so gestaltet werden, dass sie die tatsächlich Verantwortlichen, beispielsweise die Profiteure von Korruption oder die Verantwortlichen für Menschenrechtsverbrechen, treffen und nicht die Bevölkerung als Ganzes.

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sieht durch den Fall Nawalny das Ende der Idee einer strategischen Partnerschaft mit Russland gekommen. Trifft das zu? 

Das Festhalten an dieser Idee ist aktuell zumindest sehr schwierig. Auf der einen Seite gibt es innerhalb Russlands viele – auch gerade junge Menschen –, die unsere Grundwerte teilen und an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Klar ist aber auch, dass sich dieser Anschlag in eine lange Liste reiht: der Tiergarten-Mord, der Giftanschlag auf Sergej Skripal und weitere Anschläge, um ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen. Das ist in der Tat keine Grundlage für eine strategische Partnerschaft.

Wir Europäer haben immer wieder Angebote an Russland gemacht, um den Dialog aufrecht zu erhalten und Zusammenarbeit zu ermöglichen – zuletzt auch Frankreichs Präsident Macron. Die Bilanz ist ernüchternd. Russland oder genauer gesagt die aktuelle russische Führung scheint kein Interesse daran zu haben, ein berechenbarer und verlässlicher Partner zu sein. Präsident Putin steht darüber hinaus auch innenpolitisch für ein gesellschaftspolitisches Roll-Back, das mit unseren Werten nicht vereinbar ist.

Ohne eine Kooperation mit Russland rückt die Lösung der Konflikte in der Ukraine, in Syrien oder Libyen in weite Ferne. Können wir es uns vor diesem Hintergrund überhaupt erlauben, dass die Beziehungen zu Moskau weiter erodieren?

Der Dialog wird immer und auch weiterhin wichtig sein. Aber zu einer guten Beziehung – und sei sie nur von gemeinsamen Interessen geprägt – gehören zwei, die das auch wollen. Im Moment ist Moskau kein verlässlicher oder berechenbarer Partner, aber ein Gegenüber, mit dem wir – mit der gebotenen Vorsicht – im Austausch bleiben müssen.

Forderungen werden laut, aus dem gemeinsamen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 auszusteigen. Wäre das der richtige Schritt? 

Mehrfach haben wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten deutlich gemacht, dass bei der Diskussion über die Reaktion auf diesen Anschlag alle Optionen auf dem Tisch liegen. Den Ausstieg aus Nord Stream 2 fordern aber diejenigen, die schon immer gegen dieses Projekt waren und vergessen, dass es ein europäisches Projekt ist. Ich bezweifle auch, dass die Verengung auf Nord Stream 2 die aktuellen Probleme lösen kann. Jetzt muss vor allem erst einmal eine Untersuchung der zuständigen internationalen Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) zu dem Giftstoff erfolgen. Russland ist Mitglied in dieser Organisation und verpflichtet, bei der Aufklärung zu helfen. Wenn die Ergebnisse dann – mit oder ohne Beteiligung Russlands – vorliegen, werden wir uns mit unseren europäischen Partnern und darüber hinaus auf eine angemessene Reaktion verständigen.

Das Interview erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Claudia Detsch

leitet die Redaktion des IPG-Journals. Sie ist Soziologin und war Herausgeberin der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Nueva Sociedad mit Sitz in Buenos Aires. Von 2008 bis 2012 leitete sie das Büro der FES in Ecuador.

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